In den Bücherkellern des Vatikans (Geltsamer 4.2)

 

<– Geltsamer 4.1

An dieser Stelle wird Klammers Lektüre von seiner heimkehrenden Frau Irene unterbrochen. Er ist fassungslos. Solch ein Buch hat er nie geschrieben. Es ist ihm ein Rätsel, warum sein Name auf dem Titelblatt steht. Und noch etwas ist merkwürdig: In den Anmerkungen des Jesuitenpaters findet sich ein Hinweis auf Klammers vor dem 2. Weltkrieg in der UdSSR verschollenen Großvater mütterlicherseits, Sebastian Kerr, der das Expeditionstagebuch der Ärztin anscheinend um 1930 herum in Berlin in die Hände bekam. Der wenig später vor den Nazis ins Ausland geflüchtete Kerr war wie sein Enkel Schriftsteller und Lyriker gewesen; sein Hauptwerk ist der in den Wirren seines Exils verloren gegangene Roman ›Die Hyänen von Berlin‹. Und genau auf das 1. Kapitel dieses Buches von Kerr stößt Klammer zu seinem vollkommenen Erstaunen in Dr. Geltsamers erinnerten Memoiren, als er sie später am Abend ein weiteres Mal aufschlägt, um seine begonnene Lektüre fortzusetzen. Auf welche Weise das Expeditionstagebuch der brasilianischen Ärztin von den Seiten des schwarzen Buches verschwinden und wie durch Zauberhand durch ›Die Hyänen von Berlin‹ ersetzt werden konnte, bleibt Klammer ein Rätsel. Ein Anruf unterbricht seine Überlegungen. Es ist seine Tochter Isa. Sie ruft aus Südamerika an, um ihn zu fragen, ob ihre Freundin Mercedes ihm das ›Buch‹ gegeben habe. Isa wird offensichtlich verfolgt, denn plötzlich wird ihr Anruf unterbrochen und eine Männerstimme behauptet am anderen Ende der Leitung, man hätte Isa entführt und werde sich am nächsten Tag wieder melden.

Mit diesem Cliffhanger endet der 1. Band der fünf- oder sechsteiligen Trilogie, die du gerade liest, liebe Leserin. Erinnerst du dich wieder? Gut, dann machen wir gleich weiter:

Zu Beginn des 2. Bandes finden wir Nikolaus M. Klammer am frühen Morgen in seinem Wohnzimmer vor. Er hat nicht geschlafen, sondern in den ›Hyänen von Berlin‹ gelesen, dem Roman, den ihm das unheimliche schwarze Buch auf so ungewöhnliche Weise präsentiert hat. Er hat vergeblich darauf gewartet, dass die Entführer seiner Tochter wieder Kontakt mit ihm aufnehmen.

Im ersten Kapitel der ›Hyänen‹ beschreibt sein Großvater Sebastian, wie er Ende Januar 1929 von Augsburg aus in Berlin eintrifft, weil er in der Hauptstadt der Weimarer Republik Bertolt Brecht treffen will, von dem sich der junge Mann Unterstützung bei seiner Karriere als noch unbekannter und zu entdeckender Autor erhofft. Schließlich stammt der berühmte Brecht ebenfalls aus der Fuggerstadt und teilt auch sonst einige weitere biografische Details mit Sebastian. Er fährt zuerst in den Berliner Vorort Tegel, wo er sich auf Vermittlung seines Vaters fürs Erste im Haushalt des reichen Ingenieurs Eduard Gere einquartieren möchte. Doch der Empfang durch das Hausmädchen Karla ist kühl und abweisend. Es scheint ein dunkler Schatten über der jüdischen Familie zu schweben. Die Dame des Hauses ist an einem Nervenleiden erkrankt, das sie in ein abgedunkeltes Zimmer zwingt, der Hausherr ist alles andere als über den Besuch des Sohns seines alten Kriegskameraden erfreut. Allein Greta, die Tochter, und ihr Bruder Gregor empfangen Sebastian freundlich und laden ihn ein, mit ihnen gemeinsam das Berliner Nachtleben zu erkunden. Schon bald manifestiert sich die Bedrohung, die wie ein Damoklesschwert über den Geres zu hängen scheint: Die barsche Karla wird am helllichten Tag von einem unheimlichen Eindringling überfallen. Nur das beherzte Eingreifen von Sebastian kann Schlimmeres verhindern. Er jagt dem Einbrecher, dessen Augen merkwürdig leuchten, in die Flucht. Der Mann lässt dabei einen ziegelsteinförmigen Gegenstand zurück. Wie sich herausstellt, ist er eine Maschine mit unbekannter Funktion, auf der ein Pentagramm mit einem Kugelkreuz darin eingraviert ist. Später entdeckt Sebastian das ungewöhnliche Symbol auch auf einem Plakat eines Berliner Nachtlokals namens Haricot Doré – dem Goldhasen. Es ist auf der Abbildung als Anhänger der Halskette der am Abend auftretenden Schönheitstänzerin Lokwi auszumachen.

Nikolaus Klammer kennt das eigentümliche Pentagramm. Er hat es auf einer Illustration in einem Sachbuch über Geheimgesellschaften von einem gewissen Roman Gaitania gesehen, das ihm sein Verleger Karl-Heinz Welkenbaum als Rezensionsexemplar zugesendet hat. Klammer wird klar, dass ›Roman Gaitania‹ ein Anagramm ist. Bei ihm und dem Jesuiten Gaetano Marini, der das Tagebuch der Ärztin Elena Kuiper herausgegeben hat, handelt es sich um ein und dieselbe Person. Klammer unterbricht seine Lektüre und versucht, von seinem Verleger Näheres über den Pater zu erfahren. Doch Welkenbaum und seine Lebensgefährtin Verena Salva sind über ein verlängertes Wochenende nach Rom verreist. Da sich die Entführer seiner Tochter Isa noch immer nicht gemeldet haben, entscheidet sich Klammer endlich, von sich aus etwas zu unternehmen und nicht mehr länger zu warten. Er fährt nach Augsburg, weil er die Buchhandlung aufsuchen will, in der er am Vortag Dr. Geltsamers erinnerte Memoiren erworben hat. Doch das Antiquariat ist über Nacht verschwunden. In den leeren und scheinbar schon lange verlassenen Geschäftsräumen, in denen er keine Spuren mehr von einer Buchhandlung findet, stößt er nur auf ein paar Hinweise, die auf Italien hindeuten; unter anderem auf einen Abriss aus einer Zeitung. Auf ihm ist eine Fotografie zu sehen, auf der Pater Marini mit den anderen Mitgliedern der vatikanischen Glaubenskongregation zu erkennen ist. Klammer flieht aus dem leeren Laden, in dem eine seltsame Atmosphäre herrscht, als wären in ihm die physikalischen Gesetze von Zeit und Raum durcheinandergeraten. Wieder zu Hause angekommen, stellt der Autor fest, dass sich die Entführer, die vielleicht nur blufften, noch immer nicht gemeldet haben. Dafür hat Isa erneut angerufen, wie er von seiner Frau erfährt. Seine Tochter hat ihm eine verschlüsselte Botschaft hinterlassen, die ihn auffordert, die Vicolo della Volpe in Rom aufzusuchen. Das ist eine schmale Gasse, in der sich erstaunlicherweise auch das Hotel Raphaël befindet, in dem Welkenbaum mit seiner jungen Freundin abgestiegen ist. Klammer reist noch in der darauffolgenden Nacht mit der Bahn nach Rom. Im Zug liest er weiter in dem Roman seines Großvaters.

Sebastian Kerr berichtet darin, wie er immer tiefer in die Rätsel und Schicksale der Geres verstrickt wird. Zwischen Greta und Karla gehen seltsame und intime Dinge vor, die er sich nicht erklären kann. Die Dame des Hauses teilt ihm vertraulich mit, die Geres seien eine Familie von ›Pagen‹, deren Aufgabe es seit Jahrhunderten sei, eine bestimmte Personengruppe zu schützen. Das Erkennungszeichen der Pagen sei das Pentagramm mit dem Kreuz. Ihre bösen Gegenspieler wären ein Geheimbund, der sich die ›Hyänen‹ nenne und sehr mächtig sei. Mehr kann Sebastian nicht in Erfahrung bringen, da ihn Greta und Gregor mit in die Berliner Innenstadt nehmen. Spät in der Nacht landen sie schließlich im Haricot Doré, wo Sebastian einen begeisternden Tanz von Lokwi miterlebt. Er verliebt sich Hals über Kopf in das Dschungelmädchen. Er wird nach der Vorführung von einer schwangeren Frau angesprochen, die sich als Elena Kuiper zu erkennen gibt und sich mit Lokwi in der Homosexuellen-Bar vor den Hyänen versteckt. Sie übergibt dem jungen Autor ihr Tagebuch und einen Anhänger, den er niemals ablegen solle. Bevor die Ärztin jedoch ihre Geschichte erzählen kann, beginnt im Haricot Doré eine Polizeirazzia. Die Geschwister, Elena, Sebastian und auch Lokwi entkommen knapp dem Zugriff der Gendarmen, werden jedoch hinter dem Lokal von dem Einbrecher vom Vormittag und von einem korrupten Polizisten gestellt. Die bewaffneten Männer verlangen die Herausgabe des Tagebuchs der Ärztin. Die Situation eskaliert in einem Kampf und einer wilden Verfolgungsjagd. Sie endet durch einen plötzlichen Unfall, als kein geringerer als Bertolt Brecht, der mit seiner Frau Helene Weigel in seinem Auto zufällig das dämonische Mitglied der Hyänen überfährt, das ihm unvorsichtig vor den Kühlergrill seines Steyr VI läuft. Es stellt sich dabei heraus, dass dieser unheimliche Mann ein künstlicher Mensch, ein Roboter, ist. Auch Karla, die Hausangestellte der Geres, ist übrigens ein Maschinenwesen, das allerdings aufseiten der Pagen steht und sie unterstützt. Das Buch verbleibt in Sebastians Händen; gemeinsam mit Brecht flieht die Gruppe in seinem Auto in die Nacht.

[Fortsetzung nächsten Freitag …]

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