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Adventliche Süchte

Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen!
Oscar Wilde 

Jetzt naht sie wieder in rasantem Tempo, jene Zeit, die man aus unerfindlichen Gründen in dem südlichen, al­penländischen Raum, den ich bewohne, eine ‘staade’ (für die Nordlichter: ‘stille’) nennt, obwohl sie in normalen Jahren die mit Ab­stand hektischte im Jahreskreis ist. Jedermann und vor allem -frau hetzt von Er­ledigung zu Geschenkeeinkauf, von Adventsfeier zu Famili­enfest, von Glühwein- zu Bratwurststand und alle Werbefritzen und Marktschreier brüllen ihre Warenangebo­te mit allerlei Glitzerzeug und Lametta behängt in die winterlich verschneite und frühe Nacht oder schicken sie mir als Müll aufs Handy. Als würde man sich in einer Zeitschleife befinden, wird gefühlt der Abstand zwischen zwei Hl. Abenden immer kürzer und obzwar die Discounter schon im September mit prallgefüllten Regalen voller Schokoladenweihnachts­männermilitärparaden (so ein Wortwurm geht nur im Deutschen, einfach wundervoll!) vorwarnen, überfällt mich Weihnachten immer wieder überraschend.

„Was, nur noch eine Woche?“ – Kurze, stockende, kopf­schüttelnde Fassungslosigkeit. „Eben war doch noch Herbstanfang.“

Alle Jahre wieder versuche ich die Adventstage zu ent­schleunigen und will als zwar durchaus sentimentaler, aber nichts desto weniger vollkommen, um nicht zu sagen, verstockt Ungläubiger – besonders wenn ich die Haare geschnitten habe -; wohl eher ‘agnostischer’ Mensch, meine Familie geduldig dazu überreden, dem diesjähri­gen Weihnachtsstress auszuweichen und das Fest irgendwann im Juli zu feiern, stoße aber für mich vollkommen unbegreiflich auf wenig Verständnis.

„In diesem Jahr brauchen wir doch keinen Baum! Ein Gesteck tut es auch!“, versuche ich es trotz besseren Wis­sens.

„Schnickschnack! Zu Weihnachten gehört ein Baum! Aber auf die Geschenke könnten wir vielleicht verzich­ten.“ (1)

„Genau meine Meinung. Am besten sind wir Weihnach­ten überhaupt nicht zuhause.“

„Weihnachten sind wir immer zuhause. Wie in jedem Jahr. Die Söhne kommen und am Sebastianstag auch deine ganze Sippschaft. Ich weiß noch gar nicht, wie wir die alle im Wohnzimmer unterbringen.“

„Wenn wir auf den Baum verzichten würden, hätten wir mehr Platz …“

„Ein Baum muss sein. Punkt. Aber ich werde in diesem Jahr vielleicht ein paar Loibla(2) weniger backen, vielleicht nur die halben Rezepte. Du bist dick genug.“ (3)

Damit bin ich bei meinem Thema angelangt. Und diesmal regt es mich wirklich auf. Ich gestehe es: Ich bin süchtig nach Weihnachtsbackwerk und Süßigkeiten. In jedem Herbst, wenn die ersten Anzeichen für einen nahenden Advent nicht mehr zu übersehen sind, Lebkuchenfirmen mir fürsorglich ihre Prospekte ins Haus schicken, der Teeladen meines Vertrauens sein leicht vergilbtes Schild mit dem einen verheißungsvollen Wort wiederfindet und ins Schaufenster hängt: „Lebkuchenbruch“, ich kompli­zierte Umwege beim Einkaufen mache, um den Süßwa­renauslagen auszuweichen, dann ist es wieder so weit: Dann reift bei mir der Entschluss, auf keinen Fall wie­der in meine seelische und körperliche Abhängigkeit von Spekulatius und den unbeschreiblich leckeren Zimtsternen meiner Frau zu verfal­len. Dich, Gewürzspekulatius, der du so genial mit Tee harmonierst, aber in allen Zahnzwischenräumen kleben bleibst, mit deinen 70 Kalorien pro Stück, der du das rei­ne Fett bist, extrem ungesund und dabei sicher auch noch krebserregend, dich, Teufel, lasse ich in diesem Jahr nicht in meine Nähe! Weiche von mir, du mit schwarzer Scho­kolade überzogener Lebkuchen, saftig, nussig und mit einer Überfülle an Geschmack gesegnet, dass mein Großvater dich sogar in sein Bier eintunkte, du diaboli­sche Erfindung mit deinen 388 Kalorien, zu fast der Hälfte bist du aus ungesundem Zucker! Nicht mit mir, diesmal nicht! Ich werde stark sein und den Versuchungen widerste­hen.

Ein Teil der diesjährigen Auswahl. Dass das Bild etwas unscharf ist, liegt an den Tränen der Rührung, die ich beim Fotografieren in den Augen hatte.

Und tatsächlich gelingt es mir, mich im November noch zurückzuhalten, ich bin ja ein erwachsener, mitten im Leben stehender Mann, der sich und seine unterirdi­schen Gelüste im Griff hat. Ich bin rein, esse Salat, Obst und jetzt gerade in der dunklen Jahreszeit viel Gemüse. Ich bin ein Mönch, ein Gesundheitsapostel. Dann – pünktlich zum ersten Advent – hat Frau Klammerle gebacken. Zimtsterne, Florentiner, Vanillekipferl, Gewürz- und Stollenbollen, Schokoladenbrot, Betmännchen, Ausstecherle, Maronen, und, und, und … aber weniger dieses Jahr, nur die Hälf­te. Behauptet sie zumindest. Aber sie macht Fotos von ihren Werken und verschickt sie über „WhatsApp“ an nei­dische Freundinnen. Plötzlich liegen da auch Spekulati­us und wagenradgroße Lebkuchen beim Vorrat, Schoko-Klammer-Nikoläuse (ja, der Scherz ist alt …) und andere weihnachtliche Leckereien. Habe ich die gekauft? Ich kann mich nicht erinnern, ich war wohl nicht bei Sin­nen, schlafwandelte wahrscheinlich durch den Supermarkt.

Und der Inhalt unseres Adventskalenders wird von Jahr zu Jahr süßer und größer.

Also, eine Sünde kann ja nicht schaden, nur ein „Loib­le“, frisch vom Blech. Ich bin wie ein trockener Alkoholi­ker: Ein einziger Zimtstern stürzt mich zurück in die Sucht. Und ich esse und esse und esse. Und zwischendurch esse ich. Was soll man auch im Home-Office anderes tun? Ich nehme heimlich die Batterien aus der Personen­waage im Bad. Die zeigt eh immer zuviel an. Denn auch meine winterlichen sportli­chen Aktivitäten wie extreme-christkindlemarket-going und hot-glowwine-trinking helfen nur bedingt, das Gewicht zu wahren und in diesem Jahr fallen sie ja flach. Ich werde mir schnell noch ein paar weitere Hosen im Online-Shop besorgen müssen und im Frühjahr, versprochen: Da werde ich wieder fasten. Bis Ostern. Dann gibt es Schokoeier, Osterhasenhohlfiguren, Osterzopf …

Ach, wie schwach ist doch der Mensch, wenn er Nikolaus M. Klammer heißt. (4)

Einen schönen Advent wünscht Euch allen

Nikolaus Klammer

 

 

 

 

 

 


(1) Achtung, eine Warnung an die Männer, die diese Glosse lesen. Frau Klammerle sagt zwar wie jedes Jahr, dass sie keine Geschenke will, aber sie meint es nicht so.  Mein Rat: Glaube niemals deiner Frau, wenn sie an ihrem Geburtstag oder eben zu Weihnachten ver­kündet, in diesem Jahr brauche sie keine Geschenke! Das ist eine ganz gemeine Falle. Kaufe daher das größte, teuerste und wundervollste Geschenk, das du finden kannst. Überrasche sie, denn sie hat sicher ebenfalls et­was ganz Tolles für dich, wenn es wahrscheinlich auch nicht die neue Playstation ist, die du dir eigentlich wünscht, sondern vielleicht ein Wellness-Gutschein für zwei, da­mit du wieder etwas in Form kommst nach der Weih­nachtsvöllerei.

(2) Loibla, auf Augschburgerisch auch Plätzle genannt. Mein westbayerisch-hochdeutsches Wörterbuch übersetzt unzureichend mit „kleines Weihnachtsgebäck, Plätzchen“. Jedes Jahr ver­fällt Frau Klammerle in der Woche vor dem ersten Ad­vent der Blätzle-Backwahn-Sekte. Das ist ihre Sucht.  Wer tolle Rezepte kennt, darf sie gerne schicken; Frau Klammerle ist stets dem Neuen aufgeschlossen und ich bin gerne bereit, dieses Neue auch zu probieren.

(3) Diese Drohung machte sie tatsächlich im vorletzten Jahr wahr: Sie hat keine Loibla gebacken und meine Söhne und ich saßen 4 entsetzliche Adventswochen auf dem Trockenen. Die Herren Söhne verfielen in eine fassungslose Schockstarre und ich in eine solch entsetzliche Depression, dass wir das traurigste Weihnachten ever erlebten. Ein Horror, der in diesem Jahr nicht stattfindet, da Frau Klammerle unser Flehen erhört und wieder gebacken hat.

(4) Diese und viele weitere Geschichten findet ihr hier:

Noch einmal davon gekommen

Dieser schöne Band ist für wenig Geld überall im Buchhandel (natürlich auch als Ebook) erhältlich und ein ideales Weihnachsgeschenk für jung und alt. Kommt Leute! Unterstützt mal zur Abwechslung einen hungernden Autor.

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