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Die Verliese des elfenbeinernen Palastes – Flucht aus dem Elfenbein-Palast (1)

[Zum Anfang der Leseprobe …]

Die Verliese des elfenbeinernen Palastes
»Der Weg, der in den Tag führt«
Band 2

Kapitel 2
Flucht aus dem Elfenbein-Palast (1)

Juel presste sich gegen die Wand und machte sich so dünn, wie es ihm bei seinem beträchtli­chen Leibesum­fang überhaupt möglich war. An­schließend spähten er und sein vorwitziger Bauch vor­sichtig in den ihren Weg kreuzenden Flur hin­ein. Nie­mand war zu sehen. »Das Glück bleibt uns treu«, sagte er zu dem ein paar Schrit­te hinter ihm stehenden Se­lin, der aufmerksam den Lageplan studierte, den ihm Muhar bei ihrer kurz­en Besprechung in der Garderobe überreicht hatte und der den Bereich rund um den Thronsaal abbildete.

»Wir müssen nach rechts«, erwiderte der junge Mann zö­gernd und runzelte dabei die Stirn. Juel nickte und trat in den Korridor. »Nein, halt …«, Selin drehte die Karte, »besser geradeaus …«, er wendete sie ein zweites Mal, »… oder doch eher nach links.« Er kratzte sich un­schlüssig am Kopf und Juel kehrte seufzend zurück. Er riss Selin das Papier aus der Hand und warf einen kurz­en Blick darauf.

»Nach rechts«, kommandierte er dann nüchtern, »und du gehst voran.« Selin gehorchte ergeben und betrat den von dem Dicken erwählten Korridor, der sich leicht bog und wahrscheinlich in einem großen Kreis um den Thron­saal herumführte. »Unser Ziel müsste die fünfte Tür auf der linken Seite sein. Wenn ich dieser Karte glauben darf, führt sie in das Umkleidezimmer des Namenlo­sen, durch das man direkt in den Thronsaal gelangen kann«, erläuterte Juel und schwor bei sich, sich nie mehr in seinem Le­ben auf ein Abenteuer mit einem so unerfahrenen und weltfremden Jüngling einzulassen. Doch bei diesem Gedanken hatte er auch das unbestimme Gefühl, sein Schicksal würde ihn gerade leise auslachen.

»Diese hier?«, flüsterte Selin ohne Not, denn sie waren offensichtlich in diesem Teil des Palastes vollkommen allein. Es waren nicht einmal mehr die aufgeregten Schreie und der Kampflärm zu hören, die seit kurzer Zeit von den Gasträumen und dem Palasthof her ertön­ten und den Beginn von Ómers Aufstand markiert und wie erhofft alle Wachen fortgelockt hatten. Die dicken Teppiche an den Wänden schluckten zudem jedes Geräusch. Der dicke Kaufmann und Dieb in Personal-u­nion schüttelte resignierend den Kopf.

»Non, gegenüber …« Juel trat vor die Tür und klopfte frech. Als ihm nie­mand antwortete, versuchte er die Klinke. Wie er es er­wartet hatte, war der Raum dahin­ter verschlossen. Wäre Selin allein gewesen, wäre an dieser Stelle be­reits die Suche nach dem „Weg, der in den Tag führt“, beendet gewesen. Wenn er überhaupt bis hierher ge­funden hätte. Die Gil­de hatte recht ge­habt: Dies war kein kleiner Raubzug für Laien, hier war ein Meister von Nöten. Während Selin aufgeregte Blicke nach beiden Seiten warf, beugte sich Juel zum Schlüsselloch hinab und fischte aus dem Stehkragen seines Hemds zwei dünne, me­tallene Klingen, mit deren Hilfe er die Verriegelung im Handumdrehen geknackt hatte. Die Tür öffnete sich nach innen und Juel richtete sich zufrieden wieder auf.

»Enfin,Voilà! Gelernt ist gelernt«, sagte er und machte eine Handbewegung, als würde er Selin in seine eigene Wohnung einladen. Die beiden traten hintereinander in Garderobe, die durch eine Decke aus Buntglas von oben in ein blasses, geheimnis­voll wirkendes, blaues Licht getaucht wurde und erstaunlich geräumig war. Hier roch es würzig nach Sandelholz und Zimmet. Juel verschloss die Tür hinter ihnen sorgfältig, trat dann neugierig an einen der ausladenden Wandschrän­ke heran, öffnete ihn in aller Seelenruhe und spähte interessiert in ihn hinein. Er stieß dort auf Hunderte von kostbaren Um­hängen und Tuniken; der Namenlose besaß anschei­nend für jeden Tag, vielleicht sogar für jede Stunde des Jahres eine andere Klei­dung. Der Kaufmann prüfte zwischen zwei Fingern die Quali­tät der Stoffe und nickte an­erkennend.

»Davon würde isch gerne etwas in mein Warensorti­ment aufnehmen«, sagte er bedauernd, aber er schloss den Schrank wieder, ohne sich zu bedienen. Dann stell­te er sich neben Selin, der überrascht hinter einer durchbrochenen, faltbaren Wand aus edlem Holz stand und den Badebereich bewunderte, der gut dreimal so groß wie sein eigenes Zimmer im Hause seines Großva­ters war. Der vergoldete Toilettensitz neben dem riesi­gen Waschtisch hatte sogar eine eigene Wasserspü­lung.

»Je ne pense pas! Es sind bestimmt zwanzig Jahre vergangen, seit isch so etwas zuletzt gese’en ‘abe«, stellte Juel fest und wirkte auf Selin ein wenig traurig.

»Und ich habe so etwas noch nie gesehen«, erwiderte er und berührte vorsichtig das Porzellan der Wasch­schüssel, in der  zwei Kinder problemlos hätten baden können. Doch zu diesem Zweck war auch noch eine geräumige Wanne in den Boden eingelassen. Juel nahm ein großes Stück Seife, das an deren Beckenrand lag und roch daran. Dann steckte er es schulterzuckend ein.

»Isch frage misch, wie wohl das Salle de bain in den intimen Räumen des Namenlosen aussieht, wenn in diesem nicht oft benutzen Bad schon solch ein Prunk ‘errscht«, sagte er und ein wenig Neid klang aus seiner Stimme. »Jetzt aber ‘urtig – wir ‘aben nicht die ganze Nacht Zeit.« Er ging mit schnellem Schritt zur dem Eingang ge­genüberliegenden Tür, die ebenfalls ordent­lich verschlossen war, deren Schlüssel allerdings von Innen im Schloss steckte. Se­lin folgte ihm zögernd, denn es fiel ihm schwer, sich von dem Luxus und all dem Glanz loszureißen. Wie sehr unterschied sich diese nie geahnte Pracht von der Ärm­lichkeit in seinem eigenen Zuhause, in dem ihm ein Trog mit brackigem, bereits von seiner Tante be­nutztem Flusswasser zur Körperpflege diente und der Ab­tritt ein Loch in der Erde mit einem Brett zum Sit­zen darüber war. In diesem Bad hier hätte sich dage­gen eine ganze Armee-Abteilung waschen, parfümieren und mit den wertvollsten Stoffen einkleiden können.

Juel öffnete die zweite Tür und winkte ihm zu. Nebeneinander betraten die beiden endlich den Thron­saal. Die tagsüber so geschmacklos rosafarbenen Wände und mit floralen Mustern überzogenen Säulen schimmerten im Licht der wenigen Feuerschalen so dunkelrot, als wären sie mit frischem Blut gestrichen. Selin stockte der Atem. Die Ausmaße und die erhabene Ausstrahlung des Saals, den er noch nie betreten hatte, schüchterte ihn ein. Er verharrte und starrte hinüber zu dem bedrohlich wirkenden Falkenthron, der, auf einem Absatz ruhend, im Zentrum des kreisrunden Raumes stand. Aber Juel, der bereits am Nachmittag zusammen mit Ómer eine Audienz beim Bişra gehabt hatte, zog ihn weiter.

»Komm jetzt! Wir sind nicht auf Besichtigungstour«, zischte er ungeduldig, nun ebenfalls flüsternd. Während sie vorsichtig die Deckung der Säulen verließen und in die Mitte des Rauimes traten, spähten sie links und rechts in die Nischen und in die Schatten, in denen sie versteckte Treuwächter befürchteten. Doch anstatt von gerüsteten Männern mit gezückten Schwertern, wurden sie von einer lauten Frauenstimme begrüßt:

»Da seid ihr ja endlich! Ich warte schon eine halbe Ewigkeit auf euch.« Die beiden heimlichen Eindringlin­ge zuckten ertappt zusammen und Juel tastete sofort nervös nach dem Dolch, den ihm Muhar zugesteckt hatte. Doch Selin machte nach einer kurzen Schreckse­kunde eine beruhi­gende Geste. Er hatte die Frau an ih­rer Stimme er­kannt, die nun wie ein Geist neben einer der Säulen auftauchte, die im Kreis um den Saal liefen und die hohe Kuppel der Rotunde trugen. Auch wenn ihm voll­kommen schleierhaft war, auf welchem Weg Jalah in das Allerheiligste des Palastes eingedrungen war und warum sie die beiden Einbrecher hier erwarte­te, freute er sich zuerst über das plötzliche Erscheinen der Die­nerin seiner geliebten Semira. Dann erst wurde ihm die Bedeutung ihres Auftauchens bewusst:

»Wie viele Leute sind eigentlich eingeweiht?«, fragte er.

»Ihr habt euch ja ganz schön Zeit gelassen«, antworte­te Jalah mehr zu Juel als zu Selin hin und kam so sorg­los näher geschlendert, als ginge sie durch den Bazaar und nicht durch den verbotenen Thronsaal ihres gna­denlosen Herr­schers. Der Dicke nahm die gefiederte Maske, die er noch immer trug, vom Gesicht und ließ sie achtlos auf den Teppich zu seinen Füßen fallen. Er sah sich misstrauisch um.

»Diese geschwätzigen Märchenerzähler fanden ein­fach kein Ende und im Anschluss verlief die Revolution wohl nicht ganz so, wie sisch der Vezir das gedacht ‘atte«, entschuldigte er sich. Jalah nickte wissend:

»Ich habe ein paar Treuwächter belauscht, die vor der Tür zu den Verliesen wachten. Ómers schöner Plan wurde ausgerechnet von seiner eigenen Tochter verra­ten, die mehr zu ihrem Mann als zu ihrem Vater hält.«

Juel lächelte boshaft. »’ast du eine Familie, dann brauchst du keine weiteren Feinde mehr. Aber warum bist du eigentlich ‘ier? Misstraut die Gilde uns?«

»Sei nicht beleidigt, Ludo sorriento. Aber wir trauen dir nicht mehr als einem hungrigen Köter, den man in der Speisekammer alleingelassen hat. Und die Meister meinten, du wür­dest vielleicht etwas Unterstützung benötigen. Nicht beim Raub der Falkenaugen«, sie deu­tete zu dem Thron hinüber, der auf seinem Podest auf­ragte und einen düsteren und bedrohlichen Schatten auf sie warf, »sondern bei der anschließenden Flucht. Es gibt ganz in der Nähe einen geheimen Ausgang aus dem Palast, der nur der Diebesgilde bekannt ist. Durch ihn werden wir so unauffällig verschwinden, wie wir gekommen sind.«

Juel hob ironisch die Augenbrauen. »Und das Ganze ‘at nicht zufällig etwas mit der Be­fürchtung der Meister zu tun, die Brillanten könnten unter gewissen Umständen nicht ihren Weg in les meins der Gilde finden, sondern vielleicht zufällig in meiner Tasche verbleiben? Warum habt ihr mich über’aupt in diese verworrene und gefährliche Ge­schichte verwi­ckelt, wenn ihr mir nicht traut?«

»Du weißt, dass die Gilde nie ihren gesamten Einsatz auf ein einziges Blatt verwettet, sondern immer noch ein weiteres As im Ärmel hat«, erwiderte Jalah achsel­zuckend.

»Und dieser Trumpf bist du, Mädchen? Incroyable!« Der Dicke verbeugte sich spöttisch.

»Was wäre gewesen, wenn du dich nicht vom Fest hät­test entfernen können oder der Thron weiterhin be­wacht gewesen wäre?«, fragte die Diebin. Sie wirkte nicht beleidigt über das Misstrauen des Ludo sorriento. »Es wäre doch wirklich schade um die günstige Gele­genheit gewesen. Du kennst das dritte Gesetz der Gil­de: “Vier Hände stehlen mehr als zwei.” Außerdem hatte ich noch einen weiteren Auftrag.«

Juel hob erstaunt die Augenbrauen und wollte sich schon erkundigen, wovon die Diebin sprach, aber da räusperte sich Selin unge­duldig.

»Das ist ja alles schön und gut«, mischte er sich in das Geplänkel der beiden ein. Er war bis jetzt stumm im Schlagschatten des archaischen Herrschersitzes ge­standen und hatte ihn interessiert betrachtet. Seine merkwürdige, düstere Ausstrahlung schien ihn unwi­derstehlich anzuziehen, als würde ihm eine leise Stim­me schmeichlerisch zuflüstern, auf ihm Platz zu nehmen. »Wäre es jetzt aber nicht an der Zeit, den “Weg, der in den Tag führt” zu suchen? Ich meine, deswegen sind wir doch da, oder?«

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, erklang ein kaum unterdrückter Aufschrei aus dem Hintergrund des Raums und die drei drehten sich ertappt herum. Wie aus dem Nichts tauchten plötzlich sowohl in Jalahs wie auch Juels Hand Dolche auf.

»Zeig dich!«, zischte der Meisterdieb drohend und aus der Deckung einer weiteren Säule trat schüchtern eine schlanke Frau ins Licht.

»Semira!« – »Herrin!«, riefen Selin und Jalah gleichzei­tig. Semira eilte nach vorne und fiel in die Arme ihres überraschten Freun­des, der dabei nicht wusste, wie ihm geschah. Juel sah zuerst zu der Dienerin, dann zu dem Paar und ent­schied sich, dass im Moment keine Gefahr drohte. Er senkte kopfschüttelnd seine Waffe und brummte missvergnügt:

»Na, prima. Ceҫec Binsas verwöhntes Töchterchen darf auch mitspielen. Warum haben wir nicht gleich Einladungen zu dieser Schatzsuche verschickt? Wer hat sich sonst noch in die­sem Thronsaal versteckt – Hierion Éderwerfh viel­leicht? Es heißt ja, dieser Erzschurken-Abbas habe überall seine schmutzigen Finger im Spiel.«

»Du bist nahe dran, mein alter Freund. Aber du warst ja schon immer der Weitsichtigere von uns beiden.«

Eine weitere Gestalt trat aus ihrer Deckung hervor und kam nähergehumpelt. Sie war in schmutzige, zer­rissene Lumpen gehüllt und bewegte sich schleppend und vorsichtig, als habe sie große Schmerzen. Der halb­nackte Mann wirkte unglaublich mager – er war nur noch ein Knochengerüst, über dem sich wie ein viel zu en­ger Handschuh eine dünne, lederartige Haut spann­te. Es sah tatsächlich so aus, als habe sich eine lebende Lei­che aus ihrem Wüstengrab erhoben, in dem sie jahr­hundertelang ausgetrocknet worden war. Juel erschauderte, doch dann erkannte er sein Gegen­über und verstand:

»War dies dein anderer Auftrag, Jalah? Hast du den verschollenen Meister aus dem Kerker des Namenlosen befreit? Adelf von Süderbal, ich kann es kaum glau­ben!«, stieß er fassungslos her­vor, während die Diebin eifrig nickte.

»Die Damen und Herren der “Flinken Finger” haben von einem an­onymen Auftraggeber diesen äußerst lu­krativen Auf­trag angenommen, den Botschafter von Italmar aus dem Kerker des Palastes zu befreien, falls er dort aus irgend­einem Grund hineingelangen sollte. Ómers Palastrevolte war der beste Zeit­punkt für die Ausführung dieses Ge­schäfts«, erklärte sie, aber Juel hörte ihr kaum zu.

»Der Pechvogel! Ich hielt dich für tot und verscharrt«, stotterte er; noch immer wie vor den Kopf geschlagen. Er hätte eher mit dem Auftau­chen seiner eigenen Großmutter gerechnet, als mit dem Mönch, mit dem ihn in der Vergangenheit so viel ver­bunden hatte und der, hörte man auf die Gerüchte in der Stadt, bei einem Attentatsversuch auf den Namen­losen ums Leben gekommen war. War dies tatsächlich sein rächender Geist?

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