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Die Wahrheit über Jürgen – Ein Künstlerroman (Teil 33)

[Zum ersten Teil]

»Ah, meine kleine Resa, das ist ja eine liebe Über­raschung, dich mal wieder zu sehen. Du machst dich lei­der auf Festen der Familie sehr rar. Was kann ich denn für dich tun?« Ich neidete ihm die sonore und men­schenfreundliche Klangfarbe, die er mühelos in seine Stimme legte und mit der er trotz aller intimer Wärme klarmachte, dass er sich nur herabließ und weit über uns stand.

»Das ist meine Frage an Sie, Dr. Pauli. Was ma­chen Sie hier?«, entgegnete Theresa. Dabei legte sie eine zornige Betonung auf die förmliche Anrede. Sie deutete auf das Ge­mälde. »Weiß Jür­gen, dass Sie hier sein Atelier plün­dern?« Paulis Lächeln verstärkte sich, man konnte nun sein Zahnfleisch sehen. Sein Ton wurde um eine gallige Spur kälter:

»Ich plündere nicht, kleine Dame. Achte auf deine Worte. Ich nehme in Ver­wahrung, was mir, beziehungsweise, was mei­nem Herrn Vater gehört; der, wie dir bekannt sein dürfte, der Besitzer dieses Hauses ist und sich nun erlaubt, auf die­se Weise seine Mietaußenstände bei Kapitän Nemo ein­zuholen.« Er kicherte, von seiner eigenen Eloquenz ein­genommen. »Das ist eine völlig legale, es ist sogar eine verantwortungsvolle Tat, die, ich muss es wiederholen, mit Plünderung nichts zu tun hat. Ich verbitte mir ent­schieden deine doch recht böswilligen Formulierun­gen.« Wenn er sich im­mer so ausdrückte, musste eine Stadtratssitzung mit ihm die Hölle auf Erden sein.

»Ich denke, die Polizei wäre da nicht ganz Ihrer Mei­nung«, mischte ich mich ein und trat näher. Mich streif­te nur ein kurzer Blick des Politikers und er war voller abgrundtiefer Verachtung.

»Ich glaube nicht, dass wir uns kennen, Herr …«, be­merkte er ruhig und musterte die Lippen schür­zend meine alte und schmutzige Jeans. Obwohl ich mir vor­genommen hatte, dem Kulturreferenten reso­lut entge­genzutreten, machte mich seine Gering­schätzung und seine unnahbare Aura nervös. Ich stotterte unsicher meinen Namen. Ich hatte nicht erwartet, dass er mich kannte, aber er war natürlich bestens informiert. »Georg Hauser, so, so … Es tut mir leid, aber ich habe Sie nicht sofort erkannt. Bei unserer letzten Begegnung waren Sie, wie soll ich mich ausdrücken … etwas deran­giert?« Er grinste breit und kicherte amüsiert. »Sie sind doch der junge Mann, der einmal einen unfreundlichen Artikel über meinen Neffen veröffentlicht hat und, so­weit ich mich erinnere, auch einige derbe Kritik an mei­ner Amtsführung. Sie haben mir unter anderem Nepotismus vor geworfen«, stellte er im Ton einer Urteilsverkündung fest und rückte seine Brille zurecht. Er kannte seine Feinde, die Hausaufgaben waren gemacht. Bei seiner Geste bemerkte ich ein paar Farbflecken an seiner Hand, die er sich wahrscheinlich zugezogen hatte, als er in Nix‘ Atelier gewühlt hatte. Das holte ihn für mich von seinem Podest. Er war für mich nur noch ein aufgeblasener Popanz und ich lachte ihm ins Gesicht. Er ging einen Schritt auf mich zu, verlor aber nicht seine Ruhe.

»Sie wollen also die Polizei rufen, Herr …? Ent­schuldigen Sie, aber ich habe Ihren Namen erneut vergessen. Bitte, das steht Ihnen völlig frei. Aber be­vor Sie sich zu diesem Schritt entschließen, den Sie – da bin ich mir sicher – bereuen wer­den, empfehle ich Ihrer Aufmerksam­keit diese schriftliche Einverständniserklärung vom feinen Herrn Künstler.« Er hatte aus einer Tasche seines Jacketts schnell einen gefalteten Zettel ge­zaubert, den er nun umständlich öff­nete und mir un­ter die Nase hielt. Als ich nach ihm grei­fen wollte, zuckte seine Hand zurück. »Ich denke, Sie benötigen zum Lesen nur die Au­gen, nicht etwa die Hände. Ich gebe zu, dass die Form dieses Schriftstückes etwas ungewöhnlich ist, aber der Text ist doch unmissverständlich.« Ich kniff die Augen zusam­men und entzifferte zwei hastig hingeschmierte Sätze, die – das konnte ich erkennen, ohne Graphologe zu sein – von einem sehr aufgereg­ten Menschen stammten. Aber es war eindeutig die unverwechselbare Handschrift von Jonas. Der Wort­laut war:

»Hiermit gestatte ich meinem Onkel, dem Stadtrat Dr. Arno S. Pauli, in meiner Wohnung in der Ste­phansgasse 8 nach Gutdünken zu walten. Insbeson­dere meine dort lagernden fertiggestellten Bilder und Collagen lege ich in seine Obhut und beauftrage ihn, sie nötigenfalls zur Deckung meiner Schulden zu veräußern. Jürgen Nieder­meier, Jonas Nix.« Interessant waren Datum und Ort, die in der obe­ren Ecke standen: »München, den 24. Oktober 199.« Das war der heutige Tag.

Pauli hielt den Zettel nun auch vor Theresas Ge­sicht, während er mich weiter abkanzelte. »Haben Sie die Erklärung gelesen? Ist Ihnen auch der Sinn klar und verständlich? Nun, es steht Ihnen frei, deswegen die Polizei zu belästigen. Ich werde die Beamten dann allerdings auf Ihr unberechtigtes Eindrin­gen in dieser Wohnung aufmerksam machen müs­sen, Herr!«, drohte er. Mir platzte der Kragen und ich entschloss mich zu einem Gegenangriff.

»Haben Sie Nix diesen Text diktiert?« Für einen Au­genblick sah Pauli mich verblüfft an, dann schrie er mir feucht ins Gesicht:

»Wissen Sie überhaupt, wen Sie vor sich haben? Sie lä­cherliches Stück Mensch wollen mir drohen! Ver­schwinden Sie hier endlich, bevor ich die Polizei rufe!« Eine ge­schwollene Zornader erschien auf sei­ner Stirn. Er zer­knüllte die Einzugsermächtigung in seiner Faust und machte den Eindruck, als wolle er mich eigenhändig vor die Tür setzen.

»Er ist gemeinsam mit mir hier«, sagte in diesem Au­genblick Theresa erstaunlich gelassen, aber bestimmt. »Und ich habe ja wohl das Recht, mich in Jürgens Wohnung aufzuhalten. Solange ich nicht wünsche, dass er geht, bleibt er. Ver­stehen Sie mich, Dr. Arno S. Pau­li?« Theresa erstaunte mich immer wieder. Ich hatte ihr nach allem, was ich von ihr wusste, nicht so viel Willensstärke zugetraut. Pauli nickte stumm. »Wie Sie es zustande gebracht haben, dass Jürgen die­sen Wisch unterschrieb, weiß ich nicht und ich will es auch nicht wissen«, fuhr sie fort, »aber mich würde in­teressieren, was für Schulden er bei Ihnen hat, schließ­lich hat er in den letzten Monaten gut verdient.« Pauli fiel ihr in die letzten Worte.

»Gut verdient, Resa? Das ist ein Witz! Keinen Pfen­nig hat er verdient, dein sauberer Freund. Wie der Kuckuck ist er mir und seiner Mutter auf den Ta­schen gelegen; aber seine Bilder wollte er nicht ver­kaufen. Er hat be­hauptet, die Ausstellung im Rat­haus habe ihm gezeigt, er sei noch nicht so weit. Das ist dumme Koketterie! Da­bei weiß er genau, dass ein wirklicher Markt für seine Kunst existiert. Es ist, als hätte man auf jemanden wie ihn gewartet. Jedes seiner Gemälde, das dann doch ei­nen Weg zu einem Käufer fand, musste ich ihm buch­stäblich aus den Händen reißen. Ich habe ihm immer den gesamten Erlös überwiesen, und nicht einmal eine Vermitt­lungsprovision einbehalten, die mir doch sicher zu­stand. Er hat dieses Geld, über dreißigtausend Mark, einfach verpulvert. Du glaubst mir nicht, ja? Dann komm ….«, er packte Theresa bei der Hand, » … komm, ich zeige dir etwas Interessantes.«

Er zog sie in den Raum, aus dem er vorhin gekom­men war. Ich folgte den beiden. Das Zimmer war etwa zwan­zig Quadratmeter groß und zu einem Drittel mit Lein­wänden verstellt, die gegeneinander gelehnt waren und uns ihre Rücken mit den Titeln und dem Entstehungs­datum zeigten. Es mochten um die vierzig meist groß­formatige Bilder sein. Die Gemälde, die in seinen Kof­ferraum passten, schien Pauli schon aussortiert zu ha­ben. Es war an den Staubrinnen auf dem Fußboden zu erkennen, dass der Raum normalerweise voller war. Hier war au­genscheinlich Nix Lager. Trotz des geöff­neten Fens­ters war hier jener entsetzliche Geruch, der mir vor­hin schon latent aufgefallen war, von einer schier atemberaubenden Intensität, es stank erbärmlich nach Verwesung und Farben, Leim und Blut. The­resa rümpfte angewidert die Nase, sah sich aber neugierig um.

»Ich war noch nie in Jürgens Lager. Woher haben Sie den Schlüssel?«

»Er hat ihn mir selbst gegeben, damit ich mir die Gemäl­de ho­len kann. Doch die Bilder sind es nicht, die ich ich dir zeigen will. Schau hin.« Pauli führte sie zu der gegen­überliegenden Wand, an der ein großer Stereoturm stand. Um ihn war eine Regalwand her­um gebaut, darin befand sich eine imposante, das ganze Regal ausfüllen­de Schallplattensammlung. Pauli deutete auf die Plat­ten.

[Zum 34. Teil …]

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