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Die Wahrheit über Jürgen – Ein Künstlerroman (Teil 12)

[Zum ersten Teil]

»Was zum Teufel denkst du dir da aus? Bist du derart nei­disch?«, fragte Mischka lediglich, zuckte mit den Schultern und streichelte mir ein letztes Mal über die Hand, die er während meines Vortrags genommen hatte. Ohne meine Antwort abzuwarten, ließ er mich mit der dum­men Ausrede, da seien noch Bekannte, die er begrüßen müsse, allein und ging eilig hinter Klammer her. Ich ließ ihn tatsächlich vollkommen überrumpelt und sprachlos gehen. Ich konnte diese Reaktion nicht fassen. Dann erkannte ich plötzlich mit heftiger Scham: Seine Betroffenheit rühte nicht da­her, dass ich seine Meinung zurecht kritisiert hat­te, sondern das Gegenteil war der Fall. Er hatte sich während meiner Rechtfertigungen wie ein Mathematiklehrer benommen, dem ein verstockter Schüler weismachen will, es hätten alle außer ihm unrecht und man könne durchaus durch die Null teilen. Mischka hatte meine Meinung zur Kenntnis genommen, konnte sie aber nicht ernst nehmen. Er schob sie Zanksucht, Unwis­senheit oder momentaner Geistesverwirrung zu. Des­halb ließ er mich stehen. Für ihn war ich ein Geisterfahrer auf einer vollen Autobahn – mein Verhalten konnte nur in einer Katastrophe enden. Er ging, weil meine Kritik sei­ner Kritik nicht das Niveau hatte, sich mit ihr näher aus­einanderzusetzen.

Ich stand nun sehr alleine mitten in dem Trubel, als hätte jemand eine Käseglocke über mich gestülpt. Mitten unter den lachenden und hin und her schlendernden Leuten, die sich alle sehr gut zu unterhalten schienen, war ich im legendä­ren Auge des Sturms angekommen. Hoffentlich kehrte mein eben erst überwun­den geglaubter Verfolgungswahn nicht wieder zurück. Ich benötigte Ablenkung und sah mich nach Alfons Ander­naj um, der ein Garant dafür war. Der Poet war wahrscheinlich von ein paar Bewunderern und Spöttern umringt, die er bestimmt gerade großzügig mit Ausschnitten aus seinem Œuvre unterhielt. Zu mei­nem Bedauern konnte ich ihn nicht mehr finden. Ich blieb deshalb unschlüssig neben zwei anderen interes­santen Leuten stehen, die ich beide kannte. Vielleicht konnten sie mich auf Andernajs Spur bringen, da der eine von ihnen, Horst Favelka, sein bester Freund war, der den Alkoholiker während seiner Phasen bei sich übernachten ließ und ihm auch sonst über die Runden half. Favelka war irgendwann einmal ein ordentlicher und sauber gekleideter Ange­stelltencharakter gewesen, aber die Kunst hat ihn verdorben. Er gab sich übertrieben intellektuell, war dabei allerdings ziemlich naiv, obwohl er auch arrogant und verletzend sein konnte. Der Bruch, der durch sein geordnetes Leben ging, waren eben seine enge Bekanntschaft mit dem Schmuddelpoeten und seine eigenen literarischen Ergüsse. Das waren phra­senhafte Essays und Artikel zu ausgelutschten Zeitthe­men. Wenn wirklich niemand mehr an einer Geschichte interessiert war, griff sie Favelka auf. Dann war sie reif für ihn, wie er mir einmal erklärte. Er war vollkommen von der weltpolitischen Bedeutung seiner Texte über­zeugt und verschwendete sein in dem Schreib­warengeschäft seines Vaters sauer verdientes Geld, um sich der Öffentlichkeit zu Gehör zu bringen. Alle zwei Monate mietete er einen Saal im Bürgerzentrum, klebte Plakate und verteilte Handzettel. Nicht einmal Ander­naj ging zu diesen politischen Vorträgen. Was ihn an Favelka band, liegt auf der Hand, was umgekehrt Favelka in ihm sah, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Werner, den Horst Favelka mit unbrauchbaren Texten überhäufte, war der schlichten Meinung, dass er schizophren sei und ei­gentlich in eine geschlossene Anstalt gehöre. Übrigens war Favelka immer in tausend Projekte verwickelt. Sein neuestes, wie immer aussichtsloses Hobby war eine Li­teratur- und Musikkneipe, mit der er bei gehobener Mittelmeerküche ein Podium für Nachwuchskünstler aufbauen wollte. Wenn ihm sein Vater nicht immer wieder missgelaunt als finanzielles Fallnetz ge­dient hätte, dann hätte er wahrscheinlich mit Andernaj gemeinsam betteln müssen.

Die Frau, mit der sich Favelka unterhielt, war keine an­dere als Clara Szczesny, unsere erfolgreichste Autorin, was in dieser Stadt allerdings nicht allzu viel zu sagen hat. Sie war je­doch die einzige Schriftstellerin hier, die einen Autorenvertrag mit dem Fischerverlag in der Tasche hatte und jährlichem Rhythmus Bücher veröffentlichte. Sie und ihr Mann konnte von ihrer Literatur leben. Ihre reichlich unanständigen Beziehungsdramen in exotischen Landschaften und längst vergangenen Zeiten wurden ausschließlich von Frauen gelesen und sie bekam immer ausgezeichnete Kritiken in den Feuilletons der überregionalen Zeitungen. Unser Heimatblatt hingegen– wie das in dieser Stadt eben so ist -, ignorierte sie vollkommen. Die Szc­zesny, die Mitte Vierzig war, fiel überall auf. Sie war außergewöhnlich gutaussehend und immer auf das Geschmackvollste gekleidet. Ob­wohl sie glücklich verheiratet war und zwei bereits erwachsene Kinder hatte, konnte sie sich vor männlichen und übrigens auch weibli­chen Zudringlichkeiten kaum retten. Sie hatte des­halb eine frostige Aura von Unnahbarkeit und Hoheit um sich ge­schaffen, die sogar einen Nikolaus Klammer vor Neid erblassen ließ.

Ich blieb auch deshalb bei den beiden stehen, weil sie sich gerade über das harmlose Thema „steigende Mietpreise“ unterhielten. Aber es war wie verhext. Obwohl ich mir sicher war, das Paar so vollkommen in ihre seichte Konversation vertieft vorzufinden, dass sie nicht wahrnahmen, wer da neben ihnen stand, wechsel­ten sie sofort ihren Gesprächsgegenstand. Die Szczesny fragte:

»Warst du eigentlich schon in der Ausstellung im Rathaus, Horst?«

Ich sackte in mich zusammen, ergab mich meinem Schick­sal. Ich fühlte mich wie ein Katalysator, der überall die Reaktion Nix hervorruft.

»Nein, dazu hatte ich noch keine Zeit«, erwiderte Favel­ka zu meiner Erleichterung. »Habe ich etwas versäumt?«

»Ja und Nein. Die Ausstellung ist sehenswert, vielleicht ein wenig überladen, aber überzeugend angeordnet. Und sie hat Atmosphäre. Ich bin keine gewaltige Freun­din von moderner Malerei. Ich weiß auch nicht, ob ich das, was dieser Nix macht, überhaupt als Malerei dekla­rieren will.« Clara stockte kurz.

»Und weißt du, warum das so ist?«, fragte er und klang wirklich zornig. »Ich will es dir erklären, Clara. Er ist mit einem unserer Bonzen verwandt, mit Pauli, dem Kulturoberhei­ni himself. So läuft das in dieser Scheißstadt. Nepotismus, Seilschaften, Amigos und Bestechlichkeit, soweit das Auge reicht – parteiübergreifend. Ich war nicht in der Ausstellung, aber eines weiß ich: Ich kenne sicher ein halbes Dutzend Maler vor Ort, die besser sind als der Nix; unser Gastgeber hier inbegriffen. Was sage ich, ein Dutzend … Aber das ist egal, das zählt hier nicht. Ich sehe schon jetzt, wie der BBK Liebkind macht und dem Jüngelchen mit Hochrufen den Kunstpreis der Stadt in den Arsch schiebt.«

Der Zeitpunkt war für mich ge­kommen, mich in das Gespräch zu mischen. Obwohl ich glaubte, Favelka schoss mit seinem Zorn über das Ziel hinaus, hörte ich aus seinen Worten eine Gemeinsamkeit heraus. In der Verzweiflung sucht man sich die seltsamsten Verbündeten.

»Du klingst ganz schön verbittert. Aber warum betrifft dich das so? Das ist halt unser unabänderlicher Alltag. Diese Stadt ist ein Loch. Dir kommt Nix allerdings nicht in den Weg. Du nimmst doch in einer anderen Sparte an dem Kampf um den Kunstpreis teil«, warf ich ein. Es machte nicht den Ein­druck, als würden sich die beiden durch meine Einmi­schung gestört fühlen.

»Ist das deine Art von Humor, Georg?« erregte sich Fa­velka. Er wandte sich nun zu mir, kam mit seiner Nase ganz nah an meine heran. Sein Aftershave war so scharf wie seine Worte.

»Kampf? Habe ich dich richtig verstanden? Wenn du es noch nicht weißt, wie das mit diesem Preis in der Sparte Lite­ratur abläuft, dann erzähle ich es dir gerne. Du hast recht, ich habe im letzten Jahr eine Arbeit eingereicht, als einer von zwei Leuten, die den Mut hatten, gegen Markus Wimperle anzutreten. Der andere war übrigens Nikolaus Klammer, er hat allerdings ein Anonym verwendet. Wir beide sind keine Pro­tegés wie er, wir haben niemanden mit Geld und Lobby im Rücken. Du weißt, unser großer Dichter Wimperle spielt mit dem Herausge­ber der Tageszeitung Squash und steht auf der Stadtratsliste der CSU. Jeder seiner schmalen Bände wird im Feuilleton besprochen und liegt ganz vorne in den Schaufenstern der Buchhandlungen der Stadt. Selbstverständlich bekam er für seinen Blöd­sinn den Preis; das war schon vorher ausgemachte Sa­che. Das ist es aber nicht, was mich getroffen hat, denn ich habe mir keine Illusionen gemacht. Ich habe meinen Essay über die Sintifrage eingereicht. Er hätte, wenn man mal den Inhalt, über den sich gut streiten lässt, beiseite lässt, zumindest den stilistischen Ansprüchen der fünf Jurymitglieder genügen müssen. Nochmal: Mir ging es nicht um den Preis. Ich hatte extra den Leseexemplaren des Essays eine Seite beigelegt, in der ich die Kritiker um die Übermittlung einer kurzen Meinung bat. Bei drei Be­werbern, von denen einer mit kurzen Gedichten ins Rennen ging, war diese Bitte keinesfalls vermessen. Ich erhielt nach etwa drei Monaten einen Formbrief mit ei­ner vervielfältigten Ablehnung. Nicht einmal die Unter­schrift war echt. Anbei lagen die verschickten Kopien meines Essays. Ich bin mir vollkommen sicher, dass sie von der Jury nicht einmal durchgeblättert wur­den. In der Zeitung klagten sie anschließend, wie weni­ge Literaten in unserer Stadt sich für den Preis interessieren würden. Und da fragst du mich allen Ernstes, ob ich verbittert bin, Schorsch? Ich wünsche mir oft, mir stünde statt eines Kugelschreibers und Papier eine Pistole zur Gegenwehr zur Verfügung. Dann könnte ich meiner Er­bitterung mehr Nachdruck verleihen. Glaub mir, das war das letzte Mal, dass ich an dieser Farce teilgenom­men habe. Ich bin mir zu gut, um mich auf diese Weise behandeln zu lassen. I Ich bin einer der führenden Schriftsteller dieser Stadt und ihrer Umgebung. Das kann ich behaupten, ohne zu lügen. Diese Arschlöcher be­handeln mich stattdessen, als wäre ich Luft für sie! Ich, Horst Favelka!«

[Zum 13. Teil …]

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