Bis zum Ende. Achtung: Auch im 2. Akt tauchen Wörter auf und werden Handlungen beschrieben, die empfindliche Gemüter verletzen könnten! Das Stück ist nicht für Jugendliche geeignet (obwohl die heutzutage ganz andere Dinge gewöhnt sind).
Bitte nur auf eigene Verantwortung weiterlesen.
2. AKT.
ERSTE SZENE.
Antons Bude. Sein Wohnzimmer. An den Wänden hängen die gleichen Bilder wie im Lokal. Links ein Sofa, ein Couchtisch, ein paar Stühle. Rechts führt eine Tür ins Schlafzimmer. Anton hockt im Hintergrund vor einer Stereoanlage und durchwühlt seine CD-Sammlung. Manchmal zögert er bei einer Platte, legt sie dann aber wieder zurück. Die Mädchen sitzen auf dem Boden vor dem Sofa. Sie halten sich wieder an den Händen. Bernd steht vorn. Er liest einen Text von einem Blatt ab.
Bernd sehr pathetisch So stehe ich vor euch, mich zu rechtfertigen und muss doch Vorsicht walten lassen, damit mir meine Rede nicht zur Klage wird. Ihr habt recht. Wir achteten unserer Väter wenig: spotteten über die Worte, die ihnen die Weisheit riet. Wir belachten sie, die wir ehren sollten. Waren überzeugt, allein zu wissen, wie man richtig lebt. Dies war aber kein Verbrechen. Nur eine Schuld, die zu tragen uns unser Gewissen zwang. Ja. Wir waren jung und stolz. Roh oft. Eros Pfeile trafen uns so achtlos, dass die Scham mir Stille auferzwingt. Die Werte der Väter galten uns gleich. Wir schufen eigene. Wohl andere. Aber genau so tiefe und ehrfürchtige. Wir erkannten. Die Götter waren tot. Deshalb war unsere Ehrfurcht nicht ihrem Grabe. Wir hatten nicht Sorge um die Toten. Ihrer ist der Himmel. Wir kümmerten uns um die Lebenden. Das war unser Ziel. Es kann sein. Wir haben versagt. Es ist wahrscheinlich. Aber dies ist kein Verbrechen. Nur eine Schuld.
Anton Bernd, Bernd, Bernd.
Bernd hebt warnend die Hand. Wenn ihr uns aber Verbrecher nennt. Weil wir zusahen, wie die Welt zugrunde ging. Die Welt, die ihr uns überreicht habt. So lasst euch sagen. Ihr hattet sie schon dem Untergang geweiht. Nie hätten wir unmündigen Kinder die Erde von dem Fieberwahn, der sie schüttelte, heilen können. Vielleicht das Fieber aufhalten. Wer weiß. Heilen? Nein. Gut. Wir haben versagt. Wir waren jung und unerfahren. Aber das ist kein Verbrechen. Nur eine Schuld.
Anton Geht das. Noch lange so. Meine ich. Ach je.
Bernd zornig Wir hätten den Mächtigen, die eurer Welt entsprungen waren und sie sklavten, unsere Stirn bieten sollen. Wir hätten unseren Widerstand brüllen sollen. Aber der Zorn hatte unsere Stimmen heiser gemacht und eure Schulmeister uns gelehrt, stumm die Stirn zu senken. Aber das ist kein Verbrechen. Das ist unsere Schuld. Er verstummt mit einer dramatischen Geste, wartet auf Beifall.
Anton Der Künstler hat sich gerade für vierzig Euro den Kühlschrank gefüllt. Das ist deine Kunst? Bernd nickt eifrig. Weißt du. Das ist keine Kunst. Die hängt an den Wänden. Das ist blond. Das ist. Das ist.
Bernd Musst es nicht aussprechen. Hat mit deiner Verdauung zu tun. Stimmts. Spar es dir auf. Für deinen Monolog. Der fehlt noch. Dann sind wir alle durch.
Gitte steht auf, nimmt nun Bernd an der Hand. Komm. Du Künstler. Mir gefällt das. Ich mag volle Kühlschränke.
Sie zieht den Widerstrebenden durch die Tür ins nächste Zimmer. Anton und Steffi sehen den beiden nach.
Bernd Stimme aus dem Schlafzimmer Hat doch. Genau, was ich will. Und da sage noch einer. Brotlose Kunst. Frauen und Schokolade.
Gitte Stimme aus dem Schlafzimmer Sei still. Sei nett zu mir. Ich bin nett zu dir.
Tür fällt zu.
Steffi Ich liebe dich nur diese Nacht. Oh, oh, oh. I-gitte. Hab ich schon gesagt.
ZWEITE SZENE.
Anton spielt ein Stück von Pearl Jam an. Gefällt dir das. lauter Gefällt dir das. schreit Gefällt! Dir! Das!
Steffi Nein.
Anton Oh. Was dann.
Steffi Hm?
Anton stellt die Anlage ab. Was dann?
Steffi Nein. Und da sage einer. Ich hätte keinen Geschmack.
Anton Nein.
Pause.
Steffi Und du? Schreibst du?
Anton Wie Bernd? Nein. Na ja. Ab und an ein Gedicht. So ein paar Wörter, die nur mir Sinn geben. Ich nicht. Bernd schreibt. Ich habe geilen Stuhlgang. Ist das gleiche. Vom Ergebnis her. Abwischen. Runterspülen. Man befreit sich. Der Darm wird leer. Ein schönes Gefühl. Kennst du das? Du hast am Abend Bier getrunken. Das geht nur mit Bier. Viel Bier. Dunkler Doppelbock. Fettes Essen, reichlich Bier. Aber keinen Schnaps. Der Rausch muss allein vom Bier kommen. Das muss man können. Die meisten nuckeln an ihrer Halben ewig rum. Dann schaffst du es nicht. Du musst es auf den Punkt bringen. Schaum wegblasen. Ansetzen. Nicht schlucken, laufen lassen. Du musst ganz entspannt sein. Eins mit dir. Das Glas an die Unterlippe. Gemeinsam mit dem Kopf hoch. In den Nacken. Das Bier schwappt über. Es fließt die Speiseröhre runter. Gleitet. Ein Zen-Moment.
Steffi Nein. Zen. War mal. Als wir alle Buddhisten waren. Ist langweilig.
Anton Also gut.
Steffi Nein. Zen. Nein.
Anton Habs. Kapiert. Mein ich. Aber es ist wichtig. Du darfst dich von nichts ablenken lassen. Erst fett essen. Dann saufen. Vier Liter. Eine Viertelstunde. Mindestens. Geh dann sofort ins Bett. Bevor dich der Rausch wachhält und du den Rest des Abends aufm Klo bist. Am nächsten Morgen wachst du auf. Hast ein Riesending. Einen Mordsständer in der Hose. Meine ich. Weißt ja. Die Männer.
Steffi Zen. Ob Buddha? Oder Jesus? Eine Morgenlatte hatten?
Anton Egal. Das Bier drückt jetzt nach vorne. Das Essen nach hinten. Du darfst dich nicht eilen. Stehe langsam auf. Gehe langsam aufs Klo. Setz dich. Das ist der Moment. Der Stuhl ist ganz weich. Wie Schokoladenmus. Flutscht es. Raus damit. Das ist Befriedigung. Der absolute Stuhlgang. Keine Anstrengung. Es geht einfach. So stelle ich mir das unbewusste Schreiben vor. Es läuft. Und ist gut. Du weißt. Es ist gut. Da brauche ich sonst nichts. Nichts mehr. Aber perfekt ist nichts. Das Problem ist der Ständer. Wenn du auf der Schüssel sitzt. Er ragt darüber hinaus. Schmerzt. Aber erst pissen und warten. Das geht nicht.
Steffi Mach lieber wieder Musik.
Anton legt Nick Cave auf. Steffi sagt etwas, sie ist nicht zu verstehen. Anton geht zur Tür, öffnet sie einen Spalt. Späht hinein.
DRITTE SZENE.
Die Musik wird plötzlich so leise, dass man Steffi hören kann.
Steffi Ich muss es nicht sehen. Ich stell es mir vor.
Pause.
Kaum hatte sie ihre Beine geöffnet, sprang er schon auf sie. Drängte sich keuchend heran. Mit geschlossenen Augen. Zog die Oberlippe bis zur Nase hoch. Bleckte seine vorstehenden Zähne. Grotesk. Er sah wie ein fickendes Kaninchen aus. Sie hatte den Eindruck, er hatte sogar die Ohren angelegt. Sie biss sich fest auf die Zunge, um nicht zu lachen.
Die Musik wird wieder lauter. Steffi ist kaum zu verstehen.
Sein Plan war es offensichtlich, ihren Körper zu ignorieren und sich ausschließlich um ihr Geschlecht zu kümmern. Er nahm sich nicht einmal die Zeit, ihre Brüste zu bewundern. Schon er in ihr. Und der Kerl fast hinterher.
Die Musik endet abrupt.
Ich könnte einen Sack über dem Kopf haben. Ach was. Wenn ich in Leinwand eingenäht wäre. Bis auf dieses kleine Loch. Er wäre genau so glücklich.
Steffi zögert, setzt dann noch einmal an.
Sie könnte einen Sack über dem Kopf haben. Wenn sie in Leinwand eingenäht wäre. Sie bewegt ihren Unterleib kaum, lässt ihn wühlen. Unterstützt ihn nicht. Aber sie klammert ihre Beine um ihn. Packt ihn mit einer Hand am Haarschopf. Fest. Zieht ihn gewaltsam zwischen ihre Brüste. Mit der freien Hand tastet sie nach dem Nachttisch. Öffnet die Schublade. Greift hinein. Umsonst. Auch hier ist kein Brief. Der Kerl verkrampft sich. Atmet zischend aus. Kippt zur Seite. Sie spürt feuchte Wärme. Sonst nichts.
Ein Schuss fällt. Anton springt zurück.
Anton Herr. Schaft. Nein.
Steffi deutet mit den Fingern eine Pistole an. Zwischen die Augen. Ich stelle es mir vor.
VIERTE SZENE.
Gitte kommt herein. Sie trägt nur Unterwäsche. In ihrer Hand hält sie eine Pistole. Ich war ganz in Ordnung. Ich habe Feuer. Schau mich an. Die mögen das. Ich habe Figur. Esse gesund. Gehe ins Studio. Zweimal. Mit Steffi spiele ich Squash. Einmal. In der Sauna schwitze ich. Regelmäßig. Schau doch. Das geht. Ich bin in Ordnung. Ich bin hübsch. Ich komme an. Meine Hüften. Na, die kann man sich absaugen lassen. Und dann gleich den Busen ein wenig größer. Nicht viel. Eine Körbchengröße reicht. Setzt sich neben Steffi. Ich spare schon jetzt Geld dafür. Für mich. Den Jungs ist das egal. Die interessieren sich nicht für meine Hüften. Die haben nur. Aber mein Bauch. Fühl mal, wie fest.
Steffi Ja.
Gitte Fest und warm.
Steffi Ja.
Gitte Lebendig.
Steffi Ja!
Gitte Geil!
Steffi Geil. Ja.
Gitte Aber die Jungs, die wollen. Ja. Ich bin in Ordnung.
Anton Die Waffe.
Gitte sieht auf die Pistole in ihrer Hand. Sie deutet mit dem Lauf auf Anton.
Gitte Die lag unter deinem Bett. In einer Schachtel. Ich habe eigentlich deine Pornos gesucht.
Anton macht einen Schritt zur Seite Die lag. Die ist ein Erbstück. Gut eingeölt. Mein Großvater war im Krieg. Ostfront. Das ist Standardausrüstung der Wehrmacht.
Steffi Erzähl.
Anton Es ist eine P38. Sie wurde von der Firma Carl Walther entwickelt. Die ersten Waffen wurden im August 1939 an das Heer ausgeliefert. Die Waffe ist 215 Millimeter lang, besitzt einen 125 Millimeter langen Lauf. Sie wiegt 0,94 Kilogramm. Leer.
Gitte Das Ding ist sauschwer.
Steffi Nicht die Waffe. Dein Großvater. Krieg. Der hat gelebt. Erzähl. Hat er. Ich meine Juden?
Anton unbeirrt Die P38 war viel einfacher zu fertigen. Unempfindlicher gegen Schmutz im Einsatz als die P8, das Vorläufermodell. Die Kugel hat am Lauf eine Geschwindigkeit von 355 Metern in der Sekunde, das Magazin fasst acht Schuß. Für die Waffe wurde auch ein Schalldämpfer geliefert. Den hab ich aber nicht.
Gitte Der Revolver ist geladen.
Anton Pistole. Es ist eine Pistole.
Steffi Gib.
Nimmt Gitte die Waffe aus der Hand.
Gitte Und entsichert. Das ist leichtsinnig.
Anton Habe ich eben nach dem Reinigen vergessen. Aber wer ahnt das schon.
Gitte Gefährlich. Und knallt ganz schön.
Steffi Die ist schwer. Macht Löcher. Steht auf, streckt wie in einem Krimi die Waffe mit beiden Händen von sich. Jetzt war sie am Zug. Sie sah Hoffnungslosigkeit in seinen Augen. Ziehlt mit der Waffe auf Anton. Er hatte seine Chance gehabt. Er hatte sie verspielt.
Anton Du. Die ist entsichert. Und der Abzug geht ganz leicht.
Gitte Ich wollte gar nicht schießen. Ich wollte ihn nur erschrecken. Wie heißt er?
Anton Bernd?
Gitte Bernd. Ja.
Steffi An ihn hatte sie Jahre verschwendet. Immer war er ihr entwischt. Jetzt stand er vor ihr. Und machte sich in die Hose.
Anton tritt vorsichtig auf Steffi zu. Hör zu. Jetzt wird der Witz blond.
Steffi Einfach so in die Hose.
Anton Ein Gedicht habe ich geschrieben. Das letzte Mal auf dem Klo. Willst du es hören?
Steffi Er stank und wusste. Es war das letzte, was er in diesem Leben tun würde.
Anton Komm. Ein Gedicht. Wir lernen es auswendig.
Er macht noch einen Schritt, steht nun direkt vor Steffi.
Gitte Das ging einfach los. Ich fuchtelte rum. Bernd. Ja. ein netter Name, er passt zu mir.
Steffi zielt auf Antons Stirn Merkwürdig, denkt sie. So ein kleines Stück Metall kann einen Menschen wie ihn töten. Ich muss nur den Finger krümmen. Wieviele Muskeln bewege ich da? Wieviele Kalorien werden verbraucht? Ein Zucken. Er ist tot.
Anton Es ist ein schönes Gedicht. Er hebt langsam die Hand Es handelt von Liebe.
Steffi Sie hat ihn einmal geliebt, dachte sie. Aber es war eine Lüge. In dieser kalten Welt gibt es so etwas nicht. Gefühle aus zweiter Hand. Nur der Tod ist echt. Man kann ihn nicht wiederholen. Üben. Er ist nur einmal. Er ist wirklich. Er ist nicht langweilig.
Steffi drückt den Lauf auf Antons Stirn.
Gitte Ich muss was mit meinem Haar machen.
Anton flüstert stockend. Seht. Diese blinden Narren. Auf den Wiesen des Mondes. Sie tanzen. Ihr Leben hinweg. Längere Pause. Ihr Leben. Hinweg.
Steffi Peng.
LETZTE SZENE.
Bernd kommt zur Tür herein. Er ist angekleidet, hat aber sein Sweatshirt verkehrt herum an Na, was steht ihr hier? Na.
Steffi senkt die Waffe, gibt sie Anton in die Hand. father.
Anton yes son.
Steffi i wanna kill you.
Gitte mother.
Steffi i wanna fuck you.
Bernd singt this is the end.
Anton Hab ich irgendwo. Auf einer best of.
Geht zu seiner Anlage, beginnt zu suchen.
Bernd zu Gitte. Du hast ihm ein Loch ins Kopfkissen geschossen. Ich bin allergisch gegen Federn. Aber es war nett. Mal was anderes. Du bist in Ordnung. Und ich auch. Ich werde dir eine Geschichte widmen. Wie heißt du?
Steffi setzt sich wieder. Seufzt. Und jetzt? Was? Jetzt. Und jetzt. Was?
Anton Das Geistige allein ist das Wirkliche. Der Papst hat Angst davor.
Bernd Mal wieder. Die falsche Antwort. Gehen wir tanzen. Ja?
Vorhang. Die Anfangsklänge des Doorstitels „The End“ sind zu hören.
Gitte Stimme hinter dem Vorhang. 1968. Das war ein gutes Jahr.
ENDE
Eine Antwort auf „Antilopen – Ein Theaterstück (2. Akt)“
[…] Antilopen – Ein Theaterstück (1. Akt – Szenen 1 – 3) Antilopen – Ein Theaterstück (2. Akt) → 9. September 2018 · 10:01 ↓ Zu den […]