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Antilopen – Ein Theaterstück (1. Akt. Szenen 4 – 5, Zwischenspiel)

VIERTE SZENE.

Anton Jetzt kommt das Loch.

Steffi Das Loch? Erzähl.

Anton Nicht was du denkst. Das Verlegenheitsloch. Weißt. Das kommt. Immer. Gehört zum Spiel. Da müssen wir durch.

Steffi Erzähl mir doch vom Onanieren. Ich lang…

Anton So. Ich bin ein guter Erzähler. Aber was. Habe ich denn nicht alles gesagt?

Steffi Ist das wild? Ist das ehrlich? Ist das echt?

Anton Koketterie. Sollte man mit „c“ schreiben: Coquetterie. Ich bin selten. Ehrlich, meine ich. Ich gebe nur Antworten. Manchmal ohne Fragen, manchmal die falschen. Ich reagiere. Ehrlich. Du sagst es: langweilig.

Steffi Ich hasse dich.

Anton küsst Steffi auf die Wange. Entschuldige. Ich mag dich. Das ist wichtig. Vergiss den Rest. Ich habe mich entschlossen, ehrlich zu sein. Das ist der Punkt. Ab jetzt. Alles, was vorher war, vergiss es.

Steffi Jetzt bist du auch noch langweilig.

Anton Ich sag dir was. Du willst es hören. Du wartest drauf. Du sitzt nur deshalb hier. Sitzt da und wartest drauf. Aber keiner hat es dir gesagt. Bis ich kam, ehrlich, wie ich bin. Also. Du. Du bist es. Du bist langweilig. genießerisch. Ster-bens-lang-wei-lig. Gut. Ich hör auf, vergiss es. Wollte nur ehrlich sein. Ich habs dir versprochen. Du bist auf der miesen Tour. Ich mag dich, aber jetzt geh ich Scheißen. Das ist noch viel besser.

Anton geht ab. Schweigen.

FÜNFTE SZENE.

Steffi Ich bin allein. Jetzt erzähle ich. längere Pause. Sie musste reagieren. Wenn sie es jetzt nicht tat, würde sie bald tot sein. Das Gesicht ihres Gegenübers verzog sich zu einem hässlichen Grinsen. Die Nerven lagen bloß. Der kleine Lauf seiner Pistole starrte wie ein Spanner auf das Piercing in ihrem Bauchnabel. Eine Unachtsamkeit. Darauf wartete sie. Wenn er nur eine Unachtsamkeit begehen würde! Sie würde ihre Chance nutzen.

Die Tür knarrte vom Wind, sein Kopf zuckte aufgeregt zurück.

„ Jetzt“, dachte sie, „jetzt.“

Sie riss ihr Bein hoch, schlug seine Waffe zur Seite. Ein Schuss pumpte aus dem Lauf, bohrte sich gipssprühend in die Wand. Die Pistole flog durch die Luft. Das andere Bein in die Höhe, in die Eier. Ein Tritt und es ist vorbei.

Er sackte zusammen, keuchend, Schaum vor dem Mund, das fette Schwein. Er ist hilflos. Verdammt, er japst.

Sie trat nach, in sein Gesicht. Etwas knirschte. Die Nase platzte wie eine Wanze unter ihren scharfen Pumps.

„Seine Waffe“, dachte sie plötzlich. Ein Schritt, ein Bücken, eine fließende Bewegung. Sie war schnell. Bevor er wieder zur Besinnung kam, hatte sie das ganze Magazin geleert.

Dann war Ruhe, sie hatte sich befreit.

Penibel untersuchte sie die gelochte Leiche. Aber den Brief fand sie nicht. Er hatte ihn nicht, er war der falsche. Die Suche ging weiter.

Pause.

Und ich sitze hier in einem Café. Ja, hast recht, undu ohne Namen. Ich bin langweilig und mir ist. Alles. Das. Es ist blond. Wo passiert es? Kann heute noch etwas kommen? Oder morgen? Oder überhaupt? Ich erdrücke mich selbst, aber ich kann. Was soll? Zum. Weil alle so. Ich sind. Fragen, weil nur die Frage, nicht die Antwort zählt. Man stellt fest. Sich fest. Langweilig. Ich sagte es schon. Selbst das ist langweilig. Bernd und Gitte kommen herein. Sie halten sich umarmt, bleiben vor Steffi stehen, küssen sich demonstrativ. Ist das alles? Morgen wollen sie sich nicht mehr kennen. Ich liebe dich. Oh, oh. Oh, ja. Oh. Nur diese Nacht. Mir ist laut zum Sterben!

Bernd Na? Noch immer das gleiche Thema? Wird es dir nicht? Ich meine, langweilig?

Gitte Macht es dir was aus, wenn wir. Ich meine, gehen?

Bernd zu Gitte. Zu dir.

Gitte Spinnst du? Meine Eltern.

Bernd Ich… hab auch Eltern.

Gitte Ja, dann.

Steffi lacht

Bernd Wo ist Anton?

Steffi Undu heißt Anton. Ja. Ist beim Scheißen.

Bernd Seine Lieblingsbeschäftigung. Er hat eine Bude allein. Vielleicht. Ich meine, bei ihm. Das müsste, auch wenn der das nicht mag. Ich muss ihn fragen. Dem schmiert man um den Bart, das geht. Anton ist ganz eitel. Frag ihn nach seinen Waffen.

Gitte Ich werde ganz lieb zu ihm sein. Weißt du, ich bin eine ganz Liebe. Mein Betragen ist tadelsfrei. Ich bin aufmerksam im Unterricht.

Bernd Habe ich bemerkt.

Gitte zu Steffi Oder versuchst es du? Ich glaub. Da läuft was zwischen euch.

Steffi Der Anton ist ein Arsch.

Gitte Gut.

Steffi Ja.

Gitte Du hast Geschmack.

Steffi Eben.

Bernd Verstehe ich das?

Steffi Er ist ein Arsch, aber du, du bist blond. Klar bin ich nett zu ihm. Wie kommst du zu so einem tollen Freund?

Bernd So toll ist er auch nicht. Alles Tünche. Und vieles von mir abgeschaut. Ne kleine Nummer. Der tut nur so.

Steffi Und du bist Bruce Wayne.

Bernd Wie ich ihn. Mein Gott, er saß, ich daneben. Gemeinsame Bekannte. So geht das. Wir mögen uns. Weil wir uns mögen. Das ist ganz einfach.

Anton kommt herein. Er setzt sich an einen anderen Tisch, redet dort mit Bekannten (Improvisation mit dem Publikum). Gitte, Steffi und Bernd beobachten ihn eine Weile, lauern.

Bernd Anton. lauter Anton!

Anton Gleich.

Bernd Sofort!

Anton Entschuldigt bitte. Meine Alte wird eifersüchtig. Kommt an den Tisch der anderen. Also, wo brennt’s?

Bernd Setz dich.

Anton Ich sitze.

Gitte Du bist ja einer.

Steffi Wie war’s denn beim Scheißen?

Anton Ihr wollt was. Ich merk das. Falsche Antwort. Nein.

VORHANG

ZWISCHENSPIEL.

Kellnerin steht vor dem Vorhang. Die anderen sind nur zu hören.

Kellnerin kommt nach vorn, schlüpft wie eine Tänzerin durch die Vorhangfalten, zwinkert dem Publikum zu. Ursprünglich hatten die Berge große Flügel. Sie flogen über den Himmel und landeten auf der Erde, wo es ihnen passte. Die Erde erzitterte dann und schwankte. Gott hatte irgendwann von den Erdbeben genug und schnitt ihnen die Flügel ab. Er machte die Berge an der Erde fest, damit diese endlich zur Ruhe kam und die Menschen nicht mehr erschraken. Die Flügel warf Gott hoch hinauf in die Luft. Aus ihnen wurden Wolken. Seit diesem fernen Tag sammeln sich die Wolken um die Gipfel der Berge und weinen. Schweigt und überlegt. Auf der Dokumenta hat ein Künstler mal die Zeit zu seinem Thema gemacht.

Bernd hinter dem Vorhang. On Kawara.

Kellnerin Klugscheißer. Als ob irgend jemand hier On Kawara kennt!

Bernd one million years (past and future), um genau zu sein.

Kellnerin Ja! one million years. So lange ist das. Aber das ist mein Monolog. Mensch, Bernd! Es ist der einzige, den ich habe. Im zweiten Akt, verstehst du, da komme ich nicht mehr vor. lauscht. Also. Da haben zwei Leute Jahreszahlen vorgelesen. Auf der Dokumenta. Abwechselnd. Jahreszahlen.

Bernd Beliebige Jahreszahlen zwischen neunhundertachtundneunzigtausendeinunddreißig vor Christus und eine Million und eintausendneunhundertfünfundneunzig. Der eine hatte die Zahlen vor 1970, der andere die danach. 1970 war der Knackpunkt. Warum? Frage ich mich.

Kellnerin Bernd! Du Arsch! Lass mich erzählen!

Bernd 230.354 vor Christus.

Anton 67.987.

Gitte 1993.

Steffi 654.744 .

Gitte lacht 1993, in dem Jahr bin ich geboren.

Kellnerin Dabei geschah etwas Interessantes. Manche Jahreszahlen stoßen das Gedächtnis an. Sie sind eine Markierung in der Zeit. Wie ein Berg.

Anton 1492.

Kellnerin Ja. Ein Künstler und seine Zeit. Die Zeit fliegt dahin. Heißt es. Aber das ist falsch. Der Standpunkt ist verkehrt. Es ist nicht die Zeit, die sich bewegt. Sie ist ein Monolith.

Steffi 654.745.

Kellnerin Ein Beispiel: Du sitzt in einem Zug. Der Zug neben dir fährt an. Kennst das schon? Du glaubst, du fährst, aber es ist der andere Zug. Anders.

Bernd 230.353 vor Christus.

Kellnerin Anders. Du siehst an einem Kamin hinauf. Die Wolken bewegen sich hinter ihm. Du meinst, der Kamin fällt um. Doch nicht er bewegt sich. Das ist nur Einbildung. Wie dein Zug. Er steht still. Wie die Zeit.

Gitte 1984. Orwell.

Kellnerin schreit Ist ja gut. Sie haben es kapiert.

Wendet sich ans Publikum.

Ihr habt es doch? Kapiert, meine ich? Gut. Gut. Weiter. Die Zeit ist ein Monolith. Wie eine lange Mauer. Du wirst an der Mauer vorbeigezogen. Ein kleines Stück weit. Glaubst, die Mauer bewegt sich, aber dein Standpunkt ist falsch. Die Mauer ist sich gleich, sie bewegt sich nicht, sie verändert sich nicht. Die Zeit ist sich gleich, sie bewegt sich nicht, sie verändert sich nicht. Du bleibst nicht gleich, du bewegst dich und du veränderst dich. Die Zeit. Nicht.

Bernd Ist ja gut. Sie haben es kapiert. Die Zeit steht still. Na und?

Kellnerin unbeirrt Zeit heißt Ortsveränderung. Wir gehen. Von hier nach dort. Nicht die Zeiten ändern sich. Wir ändern uns in der Zeit.

Bernd Na und?

Kellnerin Na und. Bald bin ich alt. Bald bin ich tot.

Steffi Gehen wir jetzt? Oder was? 654.746. 654.747. 657.748.

Anton singt in the year twentyfive-twentyfive.

Bernd fällt ein when man is still alive

Kellnerin Wir sind die Flügel. Die Zeit ist der Berg, um den wir kreisen. Und weinen.

Ab, winkt noch einmal.

[Zum 2. Akt —>]

 

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