Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch: Ich wanderte am Samstag in den Vogesen und zwar rund um den Felsrücken des Kleinen Belchen, der den Altvorderen angeblich so wichtig für das Festlegen der Jahreszeit war. Ich habe mir inzwischen von einem Experten glaubhaft erläutern lassen, dass dieses Belchen-System vielleicht nur in der Einbildung der Archäologen und der Kelten-Nostalgiker existiert und hier Bedeutungen in Zufälligkeiten gelesen wurden. Manchmal ist ein Berg eben nur ein Berg.
Eines aber ist sicher: Der Menschenschlag, der an den Flanken des petit ballon seinen Bauernhof und seine Gaststätte betreibt und dort eine bodenständige elsässische Küche anbietet, ist kein Nachfahre der Kelten. Ich hatte bei der Mittagsrast in der Ferme-Auberge Rothenbrunnen, wo die Nichtvegetarier eine üppige Fleischpastete und ich eine Käseauswahl zu sich nahmen, ausreichend Gelegenheit für ethnosoziologische Studien, die aufgrund Leibesfülle und Behäbigkeit der Probanden auf allemannische Vorfahren hindeuteten. Dort oben hat niemand daran Interesse, sein scheußliches französisches Bier aus den Schädeln der geschlagenen Feinde – fast hätte ich „Gäste“ gesagt – zu trinken oder sie in einem großen Topf zu garen. (Obwohl – wenn ich an die Pastete denke oder an das diabolische Aussehen der dortigen Kühe…)

Themenwechsel:
Das Wandergebiet ist sehr überschaubar und die Einkehrmöglichkeiten liegen wenn schon nicht auf Sicht-, so doch zumindest auf Rufweite. Egal, welchen der Rundwege man einschlägt, man kommt zwangsläufig an der einen oder anderen Auberge vorbei, die einen zur Rast verleitet. Auf diese Weise vergehen die Stunden wie im Flug. Ob’s nun am kleinen Weißen oder am Pastis oder doch an der Aussicht liegt, man geht die Wege immer beschwingter. Ein lohnender Ausflug, den man allerdings auf dem gleichen Pfad wieder zurückmachen muss, aber sich keinesfalls entgehen lassen sollte, führt über einen Grat zu einem Nebengipfel des petit ballon, der nicht ohne Grund le Steinberg heißt, weil dort markant zerklüftete Granitfelsen wie liegengelassenes Spielzeug von Riesen aus dem Boden ragen. Diese pittoresken (hab’s wieder geschafft!) Felsbrocken sehen tatsächlich so aus, als hätten sie die Kelten zu Ritualzwecken aufgestellt, aber sie sind natürlich geschaffen und reizen, auf ihnen herumzuklettern oder faul unter ihnen im Schatten zu liegen.
Den kahlen Rundgipfel des Kleinen Belchen selbst ziert eine unglaublich hässliche lebensgroße Lourdes-Madonna auf einer Säule, aber der Blick über das Rheintal bis hinüber zum Feldberg und den Schweizer Jura (auch dieses Wort hat seinen Ursprung im Keltischen) ist an klaren Tagen überwältigend und lohnt allein schon den nicht allzu schweißtreibenden Aufstieg.
Wenn dann die spezielle Kuhrasse der Gegend mit ihrem dominanten „Silberrücken“ zum Gemolkenwerden wie trunken zurück in die Ställe wankt, ist es auch für den Wanderer Zeit, zum Abendessen einzukehren. Und nun komme ich endlich zum Siasskass, der als Spezialität der Vogesen ein Dessert-Muss (nicht Dessert-Mus) ist.
Es ist ein Euphemismus, das Essen in den Ferme-Auberges als reichlich und schwer verdaulich zu beschreiben. Hauptzutat und Krönung jeder Speise sind die dort hergestellten Käsesorten: So gibt es auf der Karte unter anderem panierten Bergkäse (Tomme), mit stinkigem Münsterkäse überbackene Bratkartoffeln (Brägele) oder Ziegenkäsetoasts, aber natürlich auch Cordon bleu und Käsenudeln.
Der Siasskass (Süßkäse) ist eine Wagenrad Frischkäse, vom Aussehen einem Mozarella, geschmacklich und von der Konsistenz eher einem panna cotta nahe. Er wird mit gezuckerter Sahne und – zumindest kam es mir so vor – mindestens einem halben Liter Kirschwasser übergossen; letzteres wohl, um die Verdaubarkeit zu erhöhen. Die erste Hälfte des Siasskas isst man noch trotz der magenfüllenden Brägele begeistert, dann stellt sich schnell ein flaues Gefühl der Bedrängung ein, das in eine Übelkeit mündet, die ihresgleichen sucht und durch den Anblick im Teller noch verstärkt wird.
Da ich von seiner Mutter gelernt habe, den Wirt zu ehren und den Teller immer zu leeren, noch einmal mein Rat: Übernachten Sie dort oben, nüchtern Sie sich aus und fahren Sie auf keinen Fall wie ich auf steilen Serpentinen-Schlangenlinien wieder den Berg hinunter. Ihr Magen wird es ihnen danken.
Eine Antwort auf „Die Kelten und der Siasskass (II)“
[…] Hartnäckigkeit, mit der immer wieder nach “Siasskass” gefahndet wird, den ich in einem Artikel als nahezu ungenießbare elsässische Kalorienbombe beschrieb. Die andere, bei weitem größere […]