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1977 – Ein Sommer in Berlin

“Ich half beim Ausräumen dieser Möbel mit – da war ich schon Ende Zwanzig. Bei jener Gelegen­heit wagte ich es zum ersten Mal, mich in den Sessel mei­nes Großvaters zu setzen. Es war ein hässliches, abgewetz­tes, mit grünem Cord bezogenes Ding mit dunkelbraunen, hölzernen Armlehnen. Hier hatte ich ihn während meiner Ferien jeden Abend ab acht Uhr sitzen sehen, ein mit dem Fernseher ver­bundenes Hörgerät im Ohr, über dem er wie schüt­zende eine Hand zur Muschel formte, die Augen hin­ter der dicken Brille halb geschlossen.

Während ich saß und mir den alten Mann noch ein­mal be­wusst machen wollte, bemerkte ich plötzlich, wie meine Daumen an einer Unebenheit der Armleh­nen links und rechts rieben. Ich sah hinunter. In den Lack waren dort Mul­den gekratzt, die bis in das helle Holz des Sessels reichten. Diese Gruben hatte die Tie­fe und Form meiner Finger. Mit Schaudern stellte ich fest, dass ich das Werk meines Groß­vaters fortsetzte. Er hatte in jahrelanger nervöser Arbeit seine Dau­men immer tiefer in das Holz gerieben.”

Ein Zahnarztbesuch, besorgniserregende Zahlen, herbstliche Gärten, Meine Berliner Großeltern im Sommer 1977

 

Nikolaus erzählt …

Der Podcast von Nikolaus Klammer

Literarisches, Persönliches und Heiteres aus Diedorf und Augsburg.

“Ich half beim Ausräumen dieser Möbel mit – da war ich schon Ende Zwanzig. Bei jener Gelegen­heit wagte ich es zum ersten Mal, mich in den Sessel mei­nes Großvaters zu setzen. Es war ein hässliches, abgewetz­tes, mit grünem Cord bezogenes Ding mit dunkelbraunen, hölzernen Armlehnen. Hier hatte ich ihn während meiner Ferien jeden Abend ab acht Uhr sitzen sehen, ein mit dem Fernseher ver­bundenes Hörgerät im Ohr, über dem er wie schüt­zende eine Hand zur Muschel formte, die Augen hin­ter der dicken Brille halb geschlossen.

Während ich saß und mir den alten Mann noch ein­mal be­wusst machen wollte, bemerkte ich plötzlich, wie meine Daumen an einer Unebenheit der Armleh­nen links und rechts rieben. Ich sah hinunter. In den Lack waren dort Mul­den gekratzt, die bis in das helle Holz des Sessels reichten. Diese Gruben hatte die Tie­fe und Form meiner Finger. Mit Schaudern stellte ich fest, dass ich das Werk meines Groß­vaters fortsetzte. Er hatte in jahrelanger nervöser Arbeit seine Dau­men immer tiefer in das Holz gerieben.”

Ein Zahnarztbesuch, besorgniserregende Zahlen, herbstliche Gärten, Meine Berliner Großeltern im Sommer 1977 

Erzähler: Nikolaus Klammer

Musik: “Selins Thema”,  von Heinz Christian

 

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