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Darüber könnte ich ein Buch schreiben …

Verdammt! Das Hotel hatte uns zu lauter alten Leuten gesetzt! Links von mir saßen zwei leicht angegorene Damen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum trotz aller Konservierungskunst weit überschritten war. Sie flirteten angestrengt und ausdauernd mit dem gelifteten Kellner, der sie erfreut und schmierig umgockelte. Rechts hatte eine alle übertönende Vierergruppe rüstiger Münchener Platz genommen; zwei befreundete Pärchen, die sich lautstark in ihrem Hochstadtbayerisch ausgerechnet über – oh Gott! – die Schule unterhielten und sich dabei gierig über öltriefende Bratwürste, Rippchen und speckige Kotelett-Scheiben hermachten. Schmatzend und an Knochen nach den letzten Fleischfasern saugend diskutierten sie über unfähige Schulleiter, renitente, debile Schüler und deren noch renitentere und noch debilere Eltern.

 

Da saß ich also kürzlich – kurz vor Corona, um genau zu sein – mit Frau Klammerle in diesem niederbayerischen »Erlebnis«-Hotel**** im Speisesaal an meinem von der Servicekraft zugewiesenen Tisch. »Erlebnis« ist ein sehr neutraler Begriff. Es kann alles bedeuten, auch eine Katastrophe. Unfreudlichen Service, mieses Essen, eine lachhaft kleine Wellness-Oase und eine bis in die geschmacklos eingerichteten, nicht ganz sauberen Zimmer hinauf dröhnende Keller-Bar, in der der gockelhafte und allglattgesichtige Botox-Kellner sich als »singender Wirt« an einer Hammond-Orgel betätigt und Wiederbelebungsversuche am verwesenden, müffelnden Leichnam des deutschen Schlagers der 60er und 70er unternimmt. Ich wartete nun auf das »Erlebnis«, das in diesem Hotel so ein 5-Gänge-Gourmet-Abendessen mit sich bringt. Wir hätten freilich anderswo essen gehen können, aber Frau Klammerle ist gebürtige Schwäbin und für sie gilt:

»Wir haben Dreiviertelpension und bezahlen sie, also wird im Hotel gegessen. Punkt. Schlimm genug, dass Kaffee und Kuchen für uns ausfallen müssen, weil wir Nachmittags bei Schneefall in irgendwelchen dunklen, kalten Wäldern herumsteigen.«

Also hatte ich mich mit meiner Angetrauten an den kleinen Zweiertisch gequetscht und sah diesem, von volkdümmlicher »Musik« untermalten, kulinarischen Höhepunkt meines spontanen Kurzurlaubs entgegen. Er bestand dann für die Karnivoren aus einer fettigen Grillplatte mit Sauerkraut und Semmelknödeln und für mich, den von allen anderen Tischen misstrauisch und feindselig beäugten Vegetarier, der mit seinen Sonderwünschen den ganzen Betrieb durcheinander brachte, aus einem fettigen und schwarz angebrannten Käseomelett.

Ich sah mich um.

Verdammt! Das Hotel hatte uns zu lauter alten Leuten gesetzt! Links von mir saßen zwei leicht angegorene Damen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum trotz aller Konservierungskunst weit überschritten war. Sie flirteten angestrengt und ausdauernd mit dem gelifteten Kellner, der sie erfreut und schmierig umgockelte. Rechts hatte eine alle übertönende Vierergruppe rüstiger Münchener Platz genommen; zwei befreundete Pärchen, die sich lautstark in ihrem Hochstadtbayerisch ausgerechnet über – oh Gott! – die Schule unterhielten und sich dabei gierig über öltriefende Bratwürste, Rippchen und speckige Kotelett-Scheiben hermachten. Schmatzend und an Knochen nach den letzten Fleischfasern saugend diskutierten sie über unfähige Schulleiter, renitente, debile Schüler und deren noch renitentere und noch debilere Eltern.

Lehrer! Ausgerechnet! Wenn ihn nicht der Papst abgeschafft hätte, würde ich sagen: Das ist der Limbus. Kann es noch Schlimmeres geben, als bei brodelndem Sodbrennen einen Abend zwischen klimakterischen Hitzewallungen und hohlem, arrogantem Pädagogengeschwätz zu verbringen?

Dann wurde mir mit einem schmerzhaften Durchsacken im Unterleib bewusst, dass uns das Hotel absichtlich zwischen die älteren Semester gesetzt hatte:

Wir zählen ebenfalls zu ihnen. Wir gehören dazu. Unser Platz ist in der Vorhölle der über Fünfzigjährigen. Hier sitzen wir und langweilen uns, bis uns der Tod zum Tanz auffordert. Das Leben ist anderswo.

Dann fiel nebenan plötzlich der berüchtigte Satz:

»Glaubt mir. Darüber könnte ich ein Buch schreiben.«

Und ich schämte mich.

Nun ist dieser Satz an sich noch keine Katastrophe, denn die meisten belassen es bei der leeren Drohung. Interessant ist aber doch die Selbstüberhebung, die in ihm steckt. Niemand, dem eine Melodie durch den Kopf geistert, wird eine Sinfonie komponieren wollen, aber jeder, der in der Grundschule gegen seinen Willen alphabetisiert wurde, meint, einen Roman oder doch zumindest eine Erlebniserzählung verfassen zu können.

Und leider gibt es immer noch genug Leute, die genau das versuchen. Auch das wäre noch nicht so schlimm, denn in aller Regel bleibt es bei einem Versuch. Einen Roman zu schreiben ist zum Glück ebenso schwierig wie das Komponieren eine Sinfonie. Es bleibt daher bei den Amateuren bei Bruchstücken. Oder der verhinderte Autor versucht sich an vermeintlich Leichterem; an Kurzgeschichten und an der bemitleidenswerten Lyrik, die wie keine andere literarische Gattung nach den Verdauungsprodukten der Hobbydichter stinkt.

Alles kein Problem, wenn der Mist in den Schreibtisch-Schubladen und Festplatten begraben bleiben würde und nicht alle versuchen würden, ihre Um- und Nachwelt mit ihren Kopfgeburten zu beglücken und nach Veröffentlichung streben. Sie überschütten die Verlage mit einer Flut von nutzlosen Manuskripten, so dass die wenigen guten Sachen darin untergehen wie klare Trinkwassertropfen in einem Eimer Jauche. Oder sie biedern sich in Blogs und literarischen Foren an, reimen »Herz« auf »Schmerz« und meinen, die Wiedergeburt von Rilke zu sein. Und sind beleidigt bis ausfallend, wenn jemand ihre herausragende Stellung in der Weltliteratur anzweifelt.

Ich presste die Hände auf die Ohren und starrte auf meinen Teller.

Es ist so viel hohles Geschwätz und Geschrei auf der Welt. Reicht es nicht, dass mir davon die Ohren klingen? Warum muss man das alles auch noch aufschreiben und über das Internet breittreten? Leider habe ich manchmal das Gefühl, dass ich auch nur ein Teil dieser überflüssigen Wortmaschine bin. Gut, dass mich eh kaum einer liest.

Erstaunlich, wie depressiv der Genuss eines halb rohen, halb angebrannten Omeletts kurz vor Ostern in einem Hotel im Bayerischen Wald machen kann … Ich schob die Reste des ungenießbaren Eier-Käse-Breis zur Seite, bestellte mir in einem Anflug von Masochismus noch mehr Wein und überlegte, was mir die Küche des »Erlebnis«-Hotels**** gereicht hätte, wenn ich mich als Veganer ausgegeben hätte. Rohe Selleriescheiben?

Ich sah nach links und nach rechts. Mir wurde plötzlich klar, dass hier im Speisesaal ein repräsentativer Durchschnitt  der Menschen saß, denen ich auch im Internet begegne. Ältere, leicht ranzig gewordene Damen, die mit dem »Singenden Wirt« flirten und Aperol-Spritz konsumieren; dazu egozentrische, rechthaberische Lehrerpaare, die die Gründe für die Bildungsmisere überall, aber nicht bei sich selbst suchen. Ist es das, was uns das Internet gebracht hat, dass sich ausgerechnet diese Menschen – die schon im Alltag kaum erträglich sind – in jede Diskussion einmischen und in ihrer Arroganz glauben, ihre Meinung sei so interessant, dass sie darüber »Bücher schreiben könnten«?

Und was hat das alles mit mir zu tun? Mit der Tatsache, dass mir an jenem Abend der Inhalt meines Flachmanns (Waldhimbeergeist, sehr lecker) und ein Roman über den selbstverliebten römischen Kaiser Heliogabal von dem niederländischen Autor Couperus den Urlaub retteten?

Und dass ich dieses Gefühl, liebe Internet-Freunde, exhibitionistisch mit euch teile?

Gibt es darauf eine Antwort?

 Aus aktuellem Anlass noch eine Ergänzung zu diesem doch schon etwas älteren Text:

Da saß ich kürzlich – vor drei Monaten, um genau zu sein – mit Frau Klammerle und Freunden in diesem Allgäuer Hotel****(s) im Speisesaal an meinem von der pakistanischen Servicekraft zugewiesenen Tisch. Er war aufgrund der Coronaregelungen schön abseits gelegen, ohne geschwätzige ältere Damen, Rentner und Beamte in der Nähe – sieht man einmal von uns selbst ab. Wieder einmal wurde ein 5-Gänge-Gourmet-Menü serviert – diesmal hatte ich im Vorfeld mehrmals und beim Platznehmen beim Kellner direkt darauf verwiesen, dass ich Vegetarier sei. Mir wurde jedes Mal versichert, dies wäre kein Problem. Was ich dann bekam, war als Vorspeise eine klare Rinderbrühe (“Da ist ja nur ganz wenig Fleisch drin”), gebeizter Lachs (“Was, Sie essen auch keinen Fisch?!”), ein mit Gelantine (“Das ist doch kein Fleisch – oder?”) zubereitetes Sorbet und zum Nachtisch französischen Käse (“Tierisches Lab? Keine Ahnung!”). Allein das Hauptgericht bestand merkwürdigerweise nicht aus einem Rumpsteak wie bei den anderen, sondern aus einer mit Gemüse gefüllten Aubergine. Und die war ziemlich lecker.

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