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Mánis Fall (Kapitel 1.7)

Der Prolog der großen Brautschau-Saga:
Mánis Fall

knoten

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Prompt versperrte ihr eine dem Polizei-goLEM Omega nachgebildete Firewall den Weg und erkundigte sich nach dem Grund ihrer Anwesenheit. Dabei hielt sie drohend ihren an der Spitze rotglühenden Waffenarm auf sie gerichtet. Fabia war nicht direkt in Gefahr, denn ihr Gegner existierte ja nur im virtuellen Raum. Im schlimmsten Fall bekam sie einen Stromstoß ab und würde anschließend recht schmerzhaft aus der Si­mulation geworfen werden. Sie hatte aber schon von Fällen gehört, bei denen bei Cybernauten nach einer Attacke ernsthafte psychische Beschwerden zurück ge­blieben waren. Es hatte während der Simulationen auch schon den einen oder anderen Herzinfarkt gege­ben.

Solch eine wehrhafte, aber hoffnungslos veraltete Schutz­routine wie dieser Omega, der Fabia den Weg verstell­te, waren für eine erfahrene Cybernautin wie sie pro­blemlos zu knacken. Da hatte die Kybernetikstudentin ihr Können schon an ganz anderen Bots erprobt. Sie konnten allerdings äußerst begriffsstutzig und hartnä­ckig sein, auch diese Eigenschaften hatten sie von ihren Originalen im echten Leben übernommen. Das Beste war, man überrumpelte sie. Die Kontaktaufnah­me des Schutzprogramms, ohne den Eindringling so­fort anzugreifen und zu versuchen, ihn aus dem Spei­cher zu löschen, war einer der Programmierfehler die­ser martialischen, aber vollkommen veralteten Fire­wall. Sie gab Fabia dadurch ausreichend Zeit, zu re­agieren. Während sie den vorgetäuschten Omega mit einer Unzahl unsinniger Anfragen spamte und seine Input-Funktionen überforderte, gelang es dem virtuel­len Pendant ihres Omicron problemlos, ihn durch eine eingeschleuste Hintertür-Routine außer Funktion zu setzen. Der Wächter erstarrte und trudelte dann wie ein Gummiballon davon, aus dem durch ein Loch die Luft entweicht.

»War das schon alles?«, fragte sich die Cybernautin. »Das kommt mir fast zu einfach vor.«

Bevor sie den nächsten Schritt unternahm, schloss sie sich deshalb näher mit ihrem goLEM zusammen und errichtete um ihre beiden virtuellen Abbilder einen Schutzwall aus Schadcode. Keinen Augenblick zu früh! Denn nur einen Gedanken später wurden die beiden von einer Art Fluggeschwader angegriffen. Es waren Anti-Viren-Definitionen, die aber mangels Update so betagt waren, dass sie wirkungslos an der Hülle ver­pufften, die Fabia gebildet hatte. An einem anderen Tag hätte sie sich noch ein wenig mit den hilflosen Ab­wehrversuchen des Plattformsystems vergnügt und in seinen Speichern gewühlt, die sicher ein paar interes­sante Informationen enthielten. Aber sie hatte es eilig und übernahm nun rasch die Administrator-Rechte. Deren Passwort war durch einen so simplen Algorith­mus verschlüsselt, dass Fabia fast Omicrons Verach­tung zu spüren glaubte, als er ihn lässig mit einer Brutforce-Attacke knackte. Damit drang sie endlich ungehindert in das Sanctuary, das innere Primärsys­tem der Software vor und forderte sofort einen Schwe­ber an. Die KI baute gehorsam eine Verbindung zum Flug-Netzwerk auf. Tatsächlich hatte das I-Net den Schweberverkehr zwar eingeschränkt, aber es war kein Problem, eine noch in der Luft befindliche, leere Kugel, die eigentlich bereits auf dem Rückweg zu ihrer Garage war, zum Henri-Gouraud-Wohnturm umzuleiten. Fabia betete, dass ihre illegale Aktion im allgemeinen Chaos nicht weiter auffiel oder zumindest von I-Net als Ne­bensächlichkeit abgetan wurde.

Eigentlich hatte die junge Frau damit erreicht, was sie wollte, aber sie nutzte die Gelegenheit und sah sich doch noch ein wenig um. Über eine nur selten verwen­dete Subfrequenz des weltumspannenden Netzes gab sie verschlüsselt bekannt, dass sie momentan über die IP der Schweberplattform erreichbar war. Wie sie wusste, wurde diese Frequenz von den Citoyens abge­hört und häufig für ihre Kommunikation benutzt. Viel­leicht bekam sie ja Kontakt zu einem ihrer Freunde, der mehr über den Putsch der 2MC wusste. Tatsächlich materialisierte sich fast augenblicklich in der virtuel­len Schaltzentrale der Plattform die Avatarin von Xa­ver Delande. Die bleiche Erscheinung mit den todtrau­rigen Augen trug etwas schäbige Frauenkleider aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihre dunkelroten Haare trug sie durch einen strengen Mittelscheitel geteilt und verbarg sie größtenteils unter einem Haubenhut, den sie unter ihrem Kinn mit einer Schleife festgebunden hatte. Sie sollte Jane Eyre darstellen, die neben der Beauvoir, George Sand und Lizzy Bennet zu den belieb­testen Hologramm-Figuren überhaupt zählte.

Der mit dem merkwürdigen und veralteten bayeri­schen Vornamen gestrafte Xaver – er war wahrschein­lich der einzige unter den Milliarden von Menschen auf der Erde, der noch so hieß – war nicht nur zweifelsfrei ein Mann, sondern er war zudem muskulös wie ein Ringer. Sah man mal von seinerebenfalls roten Haar­farbe ab, wies er im echten Leben keinerlei Ähnlichkeit mit der Romanfigur der Charlotte Brontë auf. Aber eine solche hatte Fabia in ihrem virtuellen Dasein mit ihrem Sartre ja auch nicht. Xavers Zwillingsschwester Sadie war übrigens Fabias beste Freundin – auch wenn sie ebenso erfolglos mit ihr um die Gunst von Samuel Rosenthal konkurrierte. Trotzdem oder vielleicht auch deshalb waren die beiden nicht nur im echten, sondern auch im virtuellen Leben unzertrennlich und verbrach­ten einen großen Teil ihrer Freizeit miteinander. So wunderte sich Fabia nicht, dass auch Sadies Avatar, der schwarzhaarige, düstere Heathcliff aus Wuthering Heights, prompt neben Jane Eyre auftauchte. Sadies Fachbereich war die Anglistik, die sie mehr prokrasti­nierte als studierte. Die beiden kannten sich über Pro­fessor Rosenthal, der ja sowohl Informatik-, als auch Shakespeare-Vorlesungen hielt. Sadie und ihr Bruder Xaver hatten schon vor Fabia zum kleinen Zirkel der streitbaren Citoyens gehört.

Jane Eyre und Heathcliff sahen sich neugierig um. Fa­bia war längst daran gewöhnt, dass ihre Freunde im virtuellen Raum Avatare des anderen Geschlechts be­nutzten. Das machten sehr viele Leute im Netz; es war ein Massenphänomen. Sie selbst versteckte sich ja auch hinter der Maske eines alten Mannes.

»Wo du dich überall herumtreibst. Das ist doch wirk­lich nicht die beste Gegend«, stellte Sadie etwas mo­kant fest. Ihr gut aussehender, dunkelhäutiger Avatar brachte diesen Gesichtsausdruck mit einem Lippen­kräuseln hervorragend zum Ausdruck. »Aber es ist schön, von dir zu hören. Wir waren schon in ernsthaf­ter Sorge.«

»Wir haben nur nicht allzu viel Zeit«, mischte sich Jane Eyre, also Xaver, ein. »Diese Verbindungsfrequenz wurde vorhin von EDY für Privatübermittlungen ge­sperrt und wird nun vom I-Net überwacht. Zuwider­handlungen ziehen eine sofortige Internierung nach sich. Also, bevor unsere Firewall zusammenbricht und wir erwischt werden: Wo bist du? Wir befinden uns alle in Babel und warten auf dich. Ohne dich können wir hier nicht weiter machen!«

»Ich bin schon auf dem Weg zu euch. Ich muss aller­dings noch einen Zwischenstopp an einer Hämolyse-Station machen.«

»Auf dem großen Platz vor der Bibliothek ist eine Not­fallstation vom Roten Kreuz. Nimm die, denn die Uniklinik wird bereits evakuiert. Aber beeile dich! I-Net hat den Countdown für den Impact schon gestartet.« Xaver nickte ihr zu und löste sich dann auf. Er hatte seine Verbindung gekappt. Sadie sah sich um und trat einen Schritt näher. Ihr Heathcliff sah plötz­lich besorgt aus. Sie hatte seine Stimme zu einem Flüs­tern gesenkt.

»Du kommst mit einem Schweber von deiner Wohnung zu uns, richtig? Dann solltest du die Flüchtlingsströme weiträumig umgehen und versuchen, dich von der an­deren Seite her der Universität zu nähern. Ich rate dir dringend, uns von Nordosten über Bezons anzufliegen und schon bei den Val-d’Oise-Zwillingstürmen die Sei­ne zu überqueren. Ich habe diese Route als den schnellsten Weg ermittelt und schicke sie dir«, schlug Sadie vor. »Hast du das empfangen?«

»Danke, ja. Ich habe die Route an Omicron weitergelei­tet. Nur die Ruhe; noch ist Zeit. Ich bin ja bald bei euch.«

»Hoffentlich, denn ich mache mir Sorgen um dich, Chi­ca!«, fügte Sadie nach einem kurzen Zögern hinzu. Dann verließ auch sie den virtuellen Raum. Alleine ge­lassen, sah sich Fabia noch einmal in dem abstrakten Tumult um, in dem sie sich bewegte. Hier gab es nichts mehr für sie zu tun. Wie immer kostete es Fabia einige Anstrengung und Willen, sich von der künstlichen Welt zu lösen und in die sogenannte Realität zurückzukeh­ren. Auch diese entstand wie die VR in der Schweberkonsole nur aufgrund von elektrischen Impul­sen in den Nervenbahnen ihres Gehirns und war viel­leicht ebenso falsch und nur ein luzider Traum. Fabia hatte den Eindruck, dass es ihr jedes Mal etwas schwe­rer fiel, wieder aufzutauchen. Sie kannte die Gefahr, von dem virtuellen Leben abhängig zu werden, eine Sucht, die VR-Junkies dazu verführte, ihr ganzes Le­ben in imaginären Welten zu verbringen, während sie in der Realität langsam verhungerten und verdurste­ten. Doch so gerne sie auch geblieben wäre, den bevor­stehenden Weltuntergang konnte sie nicht im Cyber­space aussitzen. Fabia fragte sich besorgt, wie viele Menschen genau dies trotzdem versuchten und sich auch von I-Net und EDY nicht davon abbringen ließen, mit einem Computer verbunden in ihren Wohnungen und in erträumten Orten auszuharren, die ihnen ihre Interfaces und Augreyes vorgaukelten.

Seufzend gab sie Omicron den gedachten Befehl, ihre Verbindung mit der Steuerungseinheit zu lösen und öff­nete die Augen.

[Zur Fortsetzung …]

Wie es weitergeht:

Meister Siebenhardts Geheimnis
Buch Eins der “Brautschau”-Trilogie

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Und wer nicht genug kriegen kann:

Die Vorgeschichte:

Der Weg, der in den Tag führt

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