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Der Schatten von Pardais (1. Kapitel – Teil DREI)

Teil III. der großen »Der Weg, der in den Tag führt«-Saga:
Der Schatten von Paradais

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Sechstausend Jahre sind vergangen, seit sich die hochentwickelte Kultur der Vorgänger in ihrer Hybris selbst vernichtet hat. Obwohl viele Länder der Welt dabei vollkommen zerstört wurden und die heute unbetretbaren Jenseitigen Lande im Westen bilden, sind die Vorgänger für die heutigen Völker nur mehr eine vage Erinnerung und ihr enormes technisches Wissen ist fast vollkommen vergessen. Allein Märchen und Sagen erzählen von ihnen und ihren Geheimnissen.

Doch noch immer kämpfen uralte Roboterarmeen und Kriegsmaschinen östlich der großen Wüstenstadt Karukora in einer gewaltigen Schlacht, die nicht enden will. Gibt es eine alte Landkarte, die durch diese Ebenen des Ewigen Krieges nach Pardais, der Stadt des Friedens, führt? Der alte Märchenerzähler Alis ist davon überzeugt. Er gerät auf der Suche nach ihr zusammen mit seinem Enkel Selin, dem Kaufmann Juel und dem jungen Mönch Sahar am Hof des grausamen Herrschers von Karukora in ein Kesseltreiben aus Intrigen, Verschwörungen und finsteren Mordplänen. Der Regno der Lamargue wurde auf dem Gastmahl des Großvezirs der Wüstenstadt Karukora vergiftet. Während sich das fröhliche Fest in eine blutige Schlacht verwandelt, nutzen Juel und Selin die Gunst der Stunde. Sie stehlen aus dem Thronsaal des Namenlosen Herrschers von Karukora die Landkarte, die den Weg nach Pardais zeigen soll.

Der Diebstahl gelingt, aber die Häscher des »Unterwerfers« sind ihnen auf der Spur. Es beginnt ein verzweifelter Wettlauf mit der Zeit. Selin, Juel und ihre Gefährten müssen durch die Verliese des elfenbeinernen Palastes hinein in die Tote Wüste fliehen und überall lauern tödliche Fallen und Gefahren auf sie.

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Kapitel Eins
Ein Sturm zieht auf
III.

Juel erwachte vom unruhigen Blöcken der Kamele, in das sein eigener armer, durstiger Maulesel klagend einstimmte.

Er öffnete die verklebten Augen und hob vorsichtig dem Kopf von seinem Schlafsack, den er zu einer Nackenrolle zusammengebunden hatte. Dabei versuchte er, sich so langsam wie möglich zu bewegen, um jede unnötige Anstrengung zu vermeiden. Solch eine mörderische Hitze, wie sie über dieser vollkommen leblosen und menschenfeindlichsten aller Wüsten waberte, hatte er noch nie erlebt. So tot waren nicht einmal die Ruinen der südlich von Nearoma liegenden Gräberstadt Tudas’Tel, wo er vor einigen Monaten vergeblich den wertvollen Gegenstand gesucht hatte, nach dem er seit beinahe zehn Jahren forschte. Hier, am Kraterrand der Ebenen, schien es außer ihrer Gruppe höchstens ein paar giftige Echsen zu geben, die mangels anderer Beute aufeinander Jagd machten. Juel rieb sich den Sand aus den Augen und blinzelte. nachdenklich. Auch Tudas’Tel, der “Ort des Todes”, war eine weitere Enttäuschung gewesen. Jetzt lag seine ganze Hoffnung auf der Traumstadt Pardais, die ihre Geheimnisse viele tausend Jahre bewahrt hatte. Es war noch ein langer Weg zurückzulegen, aber der dicke Mann wartete nun schon so lange, da kam es ihm auf ein paar weitere Wochen nicht mehr an. Und wer weiß: Vielleicht fand er ja in den Ebenen des Ewigen Krieges eine Abkürzung oder einen Zug, der dort unten auf ihn wartete. Das war ihm schließlich schon mehrmals passiert. Sein Glück wies im häufig den Weg. Auf diese Weise würde er nicht nur der Diebesgilde und dem Namenlosen, die hinter ihnen her waren, ein Schnippchen schlagen – sondern auch seinem hartnäckigen Verfolger und ehemaligen Freund Jac Javac Mauvaise. Auch wenn er sein Gefühl nicht begründen konnte, so vermutete er den Meister und seine Helfer schon ganz nah auf seiner Spur.

Aber … uff, was für eine Hitze! Obwohl Juel im Schatten unter einer eilig aufgeschlagenen Zeltplane lag, die er und Selin am Abend vorher seitlich an einer zerplitterten B‘Ton-Säule befestigt hatten, drang sie ihm in alle Poren. Er wunderte sich, dass davon nicht sein Fett schmolz und er eines Morgens spindeldürr erwachte. Er richtete sich weiter auf und stützte sich auf seine Unterarme. Er sah zu den anderen hinüber, die in seiner Nähe ebenfalls auf Schattenplätzen unter aufgespannten Planen lagen. Allein Adelph schlief nicht. Er hockte mit nacktem Oberkörper auf seiner dünnen Decke und schien zu meditieren; starrte mit leerem Blick ins Nichts. Seine äußere Erscheinung glich von Tag zu Tag mehr der eines irren Hindersohn-Asketen. Juel zuckte mit den Schultern und kroch zu ihm hinüber. Er konnte sowieso nicht wieder einschlafen. Er setzte sich neben den Mönch, der der größte Pechvogel war, dem er je begegnet war. Im Großen und Ganzen war Adelf – nicht zuletzt wegen Juels heilenden Händen –  von seinen schweren Verletzungen genesen. Adelf war noch immer erschreckend mager und ausgezehrt, denn niemand in der Gruppe hatte bei der hektischen Flucht unter der brütenden Sonne dieses kargen Landstrichs östlich von Karukora Speck ansetzen können.  Er ermüdete schnell, aber wenigstens war er inzwischen gesund und kräftig genug, die Strapazen der Flucht zu ertragen. Juel fragte sich mal wieder, was die wahren Gründe waren, aus denen der Mönch  dem Trupp in die Wüste gefolgt war. Bei allen anderen war ihm ihr Antrieb klar. Selin und Sirtis hatten ihren Traum vor Augen. Semira folgte ihrem Verlobten und Jalah reizten die Schätze von Pardais und nicht zuletzt auch die Juwelen, die Juel in der Tasche verbarg. Aber warum sich Adelf nicht nach Norden in Richtung Italmar abgesetzt hatte, wusste Juel nicht. Konnte es wie bei ihm selbst nur die Neugierde auf Paradis sein oder hatte er andere, undurchsichtigere Gründe? Bislang hatten die beiden alten Bekannten noch nicht die Gelegenheit gehabt, ausführlich darüber zu reden. Vielleicht war jetzt die Stunde der Aussprache, während die Frauen schliefen und die beiden jungen Leute, die gute Ohren hatten, auf Erkundung unterwegs waren.

Juel wartete eine Weile auf eine Reaktion des in sich verschlossenen Adelf. Als keine kam, räusperte er sich respektvoll. Damit weckte er den Mönch endlich aus seiner Trance. Adelfs Blick wurde klar. Etwas unwillig sah er zu Juel, aber er lächelte.

»Soll ich dir etwas Wasser bringen?«, fragte der Dicke. »Allzu viel haben wir ja nicht mehr, aber …«

»Nein, danke. Es geht mir gut«, erwiderte der Mönch abgelenkt und sah sich prüfend um, als müsse er sich erst einmal vergewissern, unter welchen Umständen er nach seiner Geistesreise erwacht war. »Ich war eben weit, weit weg. Es ist gut, dass du mich zurückgeholt hast. Ich werde wohl ein wenig vorsichtiger sein müssen, wenn ich mich nicht irgendwann einmal endgültig verlaufen will und dann nicht mehr in meinen Körper zurückkehren finden kann, weil ich mich zu weit entfernt habe.«

»Wo warst du?«

»Es ist merkwürdig. Seit meinem Kontakt mit dem alten Baum hat sich meine Gabe verändert, ich möchte sagen, erweitert, ausgedehnt. Früher konnte ich nur durch Dinge sehen, die in meiner nächsten Nähe waren und die ich berühren konnte. Inzwischen fliegt mein Geist wie ein Falke hoch empor und meilenweit im Rund. Wenig bleibt mir noch verborgen. Doch ich beherrsche diese neue Fähigkeit noch nicht vollständig und ich verstehe sie auch nicht ganz. Ich muss mich anstrengen und meinen inneren Blick auf einen bestimmten Punkt richten, sonst überwältigen mich die Eindrücke, die auf mich einströmen. Sie sind wie eine große Hafenwelle, der ich ungeschützt ausgesetzt bin. Hier in der Wüste kann ich jedoch gut üben, denn sie ist leer, nirgendwo ist etwas, das mich mehr einschränkt oder begrenzt. Wahrscheinlich könnte ich mit meinem Geist über die Ebenen des Ewigen Krieges hinaus bis zum östlichen Rand der Welt sehen, aber der Gedanke erschreckt mich und ich fürchte mich davor, so weit von meinem Körper davonzuwandern. Mir war vor meiner Begegnung mit dem Falkenthron nicht bewusst, wie stark der Sinn ist, den mir der grüne Strahl noch im Mutterleib geschenkt hat. Ich glaube es inzwischen wirklich: Wenn ich die Kraft finde und es versuchen möchte, dann werde ich nicht nur durch Wände sehen, sondern auch vorwärts und rückwärts durch die Zeit. Doch dorthin will ich nicht, denn ich glaube, das ist Sünde. Ich fühle es. Mich erwartet in der Zeit eine glutrote Feuerwand, die mich verbrennt.«

Juel zuckte mit den Schultern. Dies waren viele Worte, die wenig erklärten und ihn nur verwirrten. Sie enthielten keine Antwort. Deshalb wiederholte er seine Frage:

»Und wo warst du eben, als ich dich weckte?«

Trotz der Hitze erschauderte er plötzlich. Mit Schrecken erkannte er: Dieser Mann, der da neben ihm auf der dünnen Decke saß, der war ein Fremder. Der war nicht mehr der freundliche, tollpatschige Mönch, den er vor zehn Jahren auf der Burg Nordergal kennengelernt hatte. Wenn Juel diese Veränderung hätte benennen müssen, hätte er gesagt, Adelf habe seine Unschuld verloren. In Situationen, in denen der Mönch früher nur gelacht oder eines seiner Lieder gesummt hatte, wurde er nun schnell zornig oder versank stundenlang in dumpfem Brüten. Der Dicke fragte sich nicht zum ersten Mal, was seit seiner langen Abwesenheit alles im Kirchenstaat vorgefallen war. Es konnte doch nicht alleine daran liegen, dass mit Hierion Ederwerfh ein ewig Gestriger oberster Abbas und Ratsvorsitzender geworden war; ein böser, grausamer Mann, der von der Wiederherstellung der alten Größe träumte und von der Ausrottung aller Andersgläubigen und Heiden. Ob Adelfs Entscheidung, mit nach Pardais zu kommen, etwas mit dieser dunklen Gewitterwolke zu tun hatte, die über Italmar schwebte?

Adelf atmete tief ein und bedachte Juel mit einem merkwürdigen, fast mitleidigen Blick, als er sich endlich dazu herabließ, die Frage zu beantworten. »Mein Geist flog mit unseren beiden jungen Freunden Semira und Selin, denn irgend etwas ließ mich besorgt um sie sein. Das fühlte sich so an, als würde ein Wurm an meinem Herzen nagt. Sie haben inzwischen die Kuppel erreicht, die sie untersuchen und in die sie womöglich sogar einen Eingang hinein finden werden«, erklärte er so umständlich, als wolle er ein Buch diktieren. Er spitzte die Lippen. »Du hast gesagt, du hättest solche Bauwerke schon einmal früher gesehen und betreten und die Kuppel wäre wahrscheinlich ein altes Bahnhofsgebäude aus der Vorgängerzeit, noch älter als das Schlachtfeld, an dessen Rand er steht.«

»Genau. Die Ruinen um uns waren mal die Stadt, die man über den Bahnhof erreichen konnte. Und soweit ich die Schlüsselkarte – den Weg, der in den Tag führt – begriffen habe, ist der Bahnhof auch der Ort, von dem aus wir – unbeschadet von den Kämpfen – Pardais erreichen können.«, warf Juel ein.

Adelf nickte. »Ich habe versucht, meine Sinne zu erweitern und durch die Wände der Kuppel in ihr Inneres zu sehen. Es gelang mir, den Schleier der ewigen Finsternis zu lüften und für einen kurzen Moment hineinzuspähen. Ich sah nur einen winzigen Moment und wenig und Undeutliches. Doch ich bin mir sicher: Dort drinnen lauert in der Finsternis ein Monstrum, das lebendig ist und abgrundtief böse ist. Und es ist uralt. Ich sah zwei glühende Augen, die mich direkt anzublicken schienen. Oder waren es vier? Egal. Sie brannten jedenfalls wie Kohle in der ewigen Schwärze. Was immer dort unten ist, in den Gängen unter den Ebenen – ob Mensch, Daimon oder Inet selbst -, es will uns nichts Gutes und wir sollten uns davor hüten.«

[Zur Fortsetzung …]

Was vorher geschah:

Karukora
Buch Eins der »Der Weg, der in den Tag führt«-Trilogie

Die Verliese des elfenbeinernen Palastes
Buch Zwei der »Der Weg, der in den Tag führt«-Trilogie

Überall im Buchhandel als gebundene Ausgabe oder als E-Book erhältlich.

Und wer noch nicht genug von den Überlebenden Landen hat:

Die Brautschau-Trilogie

Meister Siebenhardts Geheimnis
Überall im Buchhandel als gebundene Ausgabe oder als E-Book erhältlich.

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