Sonntag, 03.05.20 – Ein zögernder Neuanfang

Sonntag, 03.05.20

Ich wollte, ich wäre irgendeine Beethovensche Sinfonie
oder irgend etwas, das fertig geschrieben ist.
Das Geschrieben-Werden tut weh.
Balzac

Heute wird mein Blog „Aber ein Traum“ 7 Jahre alt. (1)

Happy Birthday!

Deshalb wird es für mich höchste Zeit, ihn wiederzueröffnen und in ihm fortzuschreiben, mit ihm gemeinsam in meiner momentan etwas stagnierenden Entwicklung als Autor fortzuschreiten. Diese neun Wochen Schweigen nicht nur von meiner Seite waren die längste Auszeit, die ich mir je von meinem Blog-Tagebuch genommen habe. Selbstverständlich wollte ich meinen ganz persönlichen lockdown(2) schon früher beenden; der Gedanke an den Blog war wie eine lästiger Mückenstich,  der von Tag zu Tag stärker juckte. Aber zugleich wurde es für mich auch schwieriger, diesen Schritt auch tatsächlich zu tun und mein Verstummen zu beenden – mich endlich zu kratzen. Ich gewöhnte mich schnell an die Stille und hatte auch das Gefühl, dass meine Stimme von niemandem wirklich vermisst wurde. Also schob ich den Tag, an dem ich hier wieder schreiben würde, immer weiter vor mir her – oft aus guten Gründen, aber immer mit durchaus schlechtem Gewissen. Mit einigen Menschen geht es mir übrigens ganz ähnlich. Je länger die schweigende Phase zwischen mir und einem alten Freund dauert, um so weniger gelingt mir, über meinen Schatten zu springen und wieder Kontakt aufzunehmen.

Mein letzter Eintrag hier stammt vom 25. Februar. Es ist in der Zwischenzeit einiges geschehen, das mir die gut zwei Monate Schweigen in meiner Erinnerung viel länger erscheinen lässt. Ich wurde noch im Februar krank (kein Covid-19, vermute ich, sondern eine ganz stinknormale, aber sehr hartnäckige und mich niederschmetternde Influenza). Gleich nach meiner Genesung wurde ich wie viele andere von meinem Brot-Arbeitgeber in die Heimarbeit an meinen PC verbannt. In diesem Heimat-Exil befinde ich mich im Großen und Ganzen noch immer. Während Frau Klammerles Leben und Alltag als „systemrelevante“ (ein neuer Euphemismus für „mies bezahlt“ und „gefährlich“) Krankenschwester im Intensivbereich zwar arbeitsreicher, aber nicht unbedingt anders wurden, hat sich sich mein Zeitempfinden dadurch auf merkwürdige Weise verändert. Im Ewiggleichen der auferzwungenen Quarantäne, in der soziale Kontakte, sieht man mal von denen zu meiner Frau ab, nur noch über Videokonferenzen stattfinden, ich manchmal den Wochentag vergesse und das Fortschreiten in der Zeit nur an dem Wachstum der Pflanzen in meinem Gärtchen und der Zahlen auf der Waage messbar ist, entwickelte sich eine neue Art Alltag, die bitter-süß ist, die viel nimmt, aber auch gibt.Vielleicht muss man sich das Paradies ähnlich vorstellen.

Ich kümmere mich viel um Frau Klammerle (4), lese dicke Bücher und schreibe viel regelmäßiger als vorher an meinen Texten. Urlaube wurden storniert, doch der kleine Garten hinter dem Haus war in dem herrlichen Wetter des Aprils beinahe ein Ersatz für die Feriendomizile in Frankreich und in der Toskana. Wir wandern und radeln statt im Gebirge in den heimatlichen Westlichen Wäldern herum und entdecken durch aus Schönes, Sehenswertes, das uns bisher verborgen blieb.  Und ich habe den Roman „Die Verliese des elfenbeinernen Palastes“, von dem es hier im Blog einige Leseproben gibt, fertiggestellt. Ich bin gerade mit Hilfe meiner fleißigen Testleser auf Fehlersuche und bei den letzten Korrekturabeiten. Dieser 2. Band meiner dystopischen „Der Weg, der in den Tag führt“-Trilogie ist mir meiner bescheidenen Meinung nach gut gelungen. Falls noch jemand hier Lust hat, das Buch (und selbstverständlich auch den 1. Band „Karukora“) als E-Book zum Testlesen oder gar zum Rezensieren gratis zu bekommen, sollte er/sie sich bitte bald bei mir melden, da ich das Buch spätestens Ende Mai in den Handel bringen möchte.

Lieber von mir mal wieder etwas voreilig herbeiphantasierter Leser, der du – wie ich hoffe -, erneut zu mir in mein Heim gefunden hast und mir zuhörst: Du siehst also, dass mir vieles wichtiger als der Blog war.  Mit ihm konnte ich nichts zum momentanen Weltgeschehen beitragen, was nicht schon hunderttausend Stimmen vor mir formuliert haben und du wirst sicherlich auch anderes zu tun gehabt haben. Auch deshalb habe ich bis heute geschwiegen, denn manchmal – auch wenn ich es nicht wahrhaben will – muss die Literatur hinter der Realität zurückstehen. Doch das soll sich nun wieder ändern.

Eine Sache bleibt mir noch übrig, die ich berichten muss. Wie ich befürchte, wird sie noch eine ganze Weile meine Gedanken und mein Leben beherrschen. Es ist das grausame Schicksal meines Vaters.

Das ist eine Fotografie von ihm irgendwann am Anfang der Sechziger Jahre. Mein alter Herr, der den 2. Weltkrieg und fünf Jahre russische Gefangenschaft überlebte und als begeisterter Bergsteiger die höchsten Gipfel der Welt erklommen hat, wurde am 13. April 93 Jahre alt. Aber eine Feier durfte nicht mehr stattfinden. Er hatte zwar ein paar Herzbeschwerden und konnte inzwischen nicht mehr gut laufen, aber er war bis vor kurzem noch recht rüstig und bei klarem Verstand gewesen. Er wohnte allein in seiner riesigen, mit Erinnerungsstücken vollgestopften Wohnung, aber ein unglücklicher Treppensturz Ende Februar zwang ihn knapp vor der Corona-Isolierung zurerst ins Krankenhaus, wo ich ihn wegen meiner Erkältung nicht besuchen konnte und dann in ein Heim, in dem übrigens auch seit über zehn Jahren meine vollkommen demente Mutter gepflegt wird, die niemanden mehr erkennt und inzwischen gefüttert werden muss. Von diesem Moment an hatten meine Geschwister und ich überhaupt keinen Kontakt mehr zu unserem Vater. Es herrscht ja in Bayern ein strenges Besuchsverbot. Da er fast vollständig taub war, konnte auch nicht mehr mit ihm telefonieren. Wir haben ihm noch Briefe geschrieben, aber ich weiß nicht, ob er sie gelesen hat. Denn sein Zustand verschlimmerte sich von Tag zu Tag, auch sein Geist verwirrte sich. Kurz nach seinem einsamen Geburtstag wurde er erneut ins Krankenhaus eingeliefert und starb nach einer meiner Meinung nach vollkommen sinnlosen Knie-OP am 20. April – alleine und ohne seine Familie wiederzusehen. Die Urnen-Beerdigung muss wegen der Quarantänebestimmungen in kleinstem Familienkreis und ohne die üblichen tröstenden Rituale stattfinden.

 


(1) Dies war der erste Eintrag: „But a dream“

(2) Man lernt in diesen – um einen alten klingonischen Fluch zu zitieren – „interessanten“ Zeiten viele neue Wörter (und Verhaltensweisen).

(3) Ich habe inzwischen 5 verschiedene Konferenzprogramme auf meinem Rechner, weil jeder meiner Kontakte ein anderes präferiert. Ab und an spiele ich mit einem Freund über die Webcams Schach. Wir trinken dabei Bier und tun so, als würden wir wie früher im Abraxas sitzen. Das funktioniert übrigens erstaunlich gut.

(4) Wir hatten gerade unseren 33. Hochzeitstag und es soll ja nicht der letzte bleiben. Siehe auch hier: 29 Jahre

2 thoughts on “Sonntag, 03.05.20 – Ein zögernder Neuanfang”

  1. Wie schön, von Dir lesend zu hören, auch wenn nicht alles (wie der Tod Deines Vaters) schön ist. Wie bereits Dürer schrieb: „Aber was Schönheit sei, das weiß ich nit“. Hm, all das Hässliche in unserem Leben können wir irgendwie leichter identifizieren…
    Jedenfalls freue ich mich, dass es Dir und Euch gut geht. Ganz herzliche Grüße! Und einen ebenso herzlichen Glückwunsch zum 7. Geburtstag! Da trinke ich heut Abend einen Schoppen auf Dich und Deinen Blog!
    Dein Simon

  2. Danke. Ab jetzt werde ich auch wieder ganz brav und fleißig bloggen, versprochen! Und ich werde dir heute Abend von meinem Heim-Biergarten aus zuprosten! Liebe Grüße.

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