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Die Verliese des elfenbeinernen Palastes – Eine Nacht in der Karawanserei (8)

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Die Verliese des elfenbeinernen Palastes
»Der Weg, der in den Tag führt«
Band 2

Kapitel 1
Eine Nacht in der Karawanserei (8. Teil)

Irta wusste im ersten Moment nicht, ob sie glücklich über sein Einschreiten sein sollte oder entsetzt über die Brutalität, mit der der „Bär“ über sein Opfer hergefal­len war und es kaltblütig gerichtet hatte. Aber dann warf sie sich ihm schluchzend an die breite Brust. Lan­ge konnte sie nicht so verharren, auch wenn sie sich nichts mehr wünschte und ihren Geliebten eigent­lich nie mehr loslassen wollte, denn es näherten sich aus dem Gebäude eilig weitere Personen mit Waffen und Fackeln in den Händen. Die beiden Liebenden mussten sofort fliehen! Unschlüssig sahen sie sich um; am ge­eignetsten erschien ihnen der Weg über die Brü­cke. Doch gerade, als sie sich herumwandten und auf das große Tor zulaufen wollten, tauchte zwischen des­sen aufgerissenen Flügeln ein weiterer Haufen Bewaffnet­er auf. Sie wurden von niemandem geringeren als von Dagor persönlich angeführt, der an seiner ihm viel zu weiten und blendend weißen, mit goldenen Verzierung­en geschmückten Rüstung gut zu erkennen war, ob­wohl er einen Wüstenhelm mit einem an ihm befestigt­en Schleier auf dem Kopf und vor seinem Gesicht trug. Er war ein entsetzlicher Anblick. Er wirkte wie ein aus Inets Gehenna entsprungener und in den hage­ren und kleinen, beinahe noch jungenhaften Körper von Dagor gefahrener Dybbuk; einen drohenden Säbel in der Hand, die nicht passende Rüstung blutbespritzt und mit feuersprühenden Augen, die wie rote Flammen durch dem Schleier hindurchleuchteten. Der junge Thronfolger bemerkte die engbeieinanderstehenden und hob die Hand. Das Dutzend verräterischer Treu­wächter, das mit ihm durch das eiserne Tor gedrungen war, gehorchte seinem Befehl und blieb sofort stehen, baute sich als seine Leibwache rechts und links von ihm auf. Dagor schob seinen bluttriefenden Säbel in den Gürtel seiner Rüs­tung und kam näher heran. Irta spürte, wie sich Rauls Muskeln wieder spannten. Er schob sich schützend vor seine Geliebte und wich mit ihr langsam zurück.

„Dagor!“, sagte Raul mit eisiger Stimme und warf mit unbewegten Gesichtszügen einen Blick auf die Toten zu seinen Füßen. „Ich sehe, du schaffst Tatsachen.“ Ein hustendes Geräusch war hinter Dagors Gesichtsschlei­er zu hören. Er lachte, denn im Gegensatz zu den ande­ren im Hof hatte er Rauls Anspielung verstanden. Sie bezog sich auf die zähen Verhandlungen zwischen der Delegation der Lamargue und dem Karukorer Diwan, an dem auch Dagor in seiner Rolle als zukünftiger Thronfolger zwar nicht stimmberechtigt, aber umso lautstarker teilgenommen hatte und mehrmals vom peinlich berührten Regenten und vom Vezir ermahnt werden musste, weil er immer wieder aufs Gröbste die Regeln des diplomatischen Austauschs verletzte. Dagor hatte während der Gespräche immer wieder gefordert, man müsse Tatsachen schaffen und keine Verträge – denn Abmachungen werde der Feind ignorieren, Solda­ten und Waffen nicht. Niemand, am wenigsten sein ei­gener Großonkel, hatte ihn ernstgenommen. Doch in dieser Nacht zeigte sich blutig, was Dagor unter „Tat­sachen schaffen“ verstand: Er hatte mit der Unterstüt­zung von Ómer Sud eine Revolte begonnen, die ihn selbst auf den Falkenthron befördern sollte.

Nun nahm der junge Mann seinen Helm ab und reich­te ihn an einen seiner Soldaten weiter, der neben ihm Stellung bezogen hatte. Dabei wurde auch der Grund sichtbar, aus dem seine Augen so unnatürlich funkel­ten. Er trug bereits die goldene Halbmaske der Namen­losen mit ihren feuerroten Rubinaugenlöchern vor sei­nem blasierten und blassen Gesicht und über den zu ei­nem spöttischen Lächeln verzogenen dünnen Lippen. Er wischte sich den Schweiß von der Glatze und wurde ernst. Irta sah den Infanten, der zwei Jahre jünger als sie selbst war, zum ersten Mal aus der Nähe. Bislang hatte sie ihn nur von Ferne erblickt; bei Staatsparaden oder Allerbarmerin-Prozessionen oder bei der alljährli­chen Flusssegnung, bei der er in Vertretung seines Va­ters dem Marat, von der Mitte einer ausschließlich für die­sen Zweck gebauten Pontonbrücke aus, ein paar Trop­fen seines königlichen Blutes opferte. Obwohl sie nun schon zehn Monate im Palast arbeitete und mehre­re Monate im Serail, war sie ihm noch nie begegnet. Er hatte den Sommer im kühlen Palmwedel-Palast an der Mahala-Oa­se verbracht und seit er wieder wegen der Verhandlun­gen mit der Lamargue in Karukora war, hatte er sich meist in seinen Gemächern aufgehalten, in denen er auch unterrichtet wurde. Vom Serail und seiner Mutter Adalante bewahrte er Abstand. Er hatte seinen eigenen Kreis von Günstlingen und Speichelle­ckern, unter de­nen der intrigante Cavuşbaşi Ómer, der oberste Eu­nuch Radik und der ehrgeizige Treuwachtof­fizier Paşha Ultem hervorstachen, die heute, wie ihr alle wisst, die wichtigsten Staatsbeamten des Namen­losen sind. Nun, da Dagor nur wenige Schritte von Irta entfernt stand und Helm und Schleier vom Kopf gezo­gen hatte, war sie erstaunt, wie weich und fahl seine Gesichtszüge unter der goldenen Maske waren. Er wirkte, als habe er sein Leben nur in den Schatten und Kellerräumen des El­fenbein-Palastes verbracht und seine durchscheinende Haut, die einer Odaliske aus Frostje gut gestanden hätte, niemals den hitzigen Strahlen der Wüstensonne ausgesetzt. Er wirkte so un­bedeutend und sah in seiner leichten, weißen Rüstung, die ihm ja viel zu groß war, wie ein halbwüchsiger Fle­gel aus, der sich für einen Streich als Mann verkleidet hatte. Aber in seinen schmalen, zusammengekniffenen Lippen lag ein grau­samer, sadistischer Zug, der eine andere Geschichte er­zählte.

Dagor“, sagte er langgezogen, als wäre ihm der Sinn dieses Wortes entfallen. „Ich kenne diesen Namen nicht mehr. Ich bin Der Unterwerfer. Siehe, ich bin der na­menlose Herrscher über das Reich Karukora, das vom Südwall bis zum Meer und von der Grauen bis zur To­ten Wüste reicht. Ich sitze auf dem Falkenthron und bin der Erquicker meines Volkes, der Günstling und ge­liebte Sohn der Allerbarmerin und der Alptraum mei­ner Feinde!“ Bei jedem Titel, den der selbsternannte Bişra stolz ausrief, musste er eine Pau­se machten, denn die Horde Soldaten, mit denen er den Frauenhof betreten hatte, jubelte ihm zu und pries in rituellen Worten die Göttin. Wer weiß, wie lange er noch so wei­tergemacht hätte – denn der Namenlose hat ja 99 sol­cher hochtrabenden Titel, die ihn zieren -, wenn ihn nicht ein spötti­sches Klatschen in Rauls und Irtas Rü­cken unterbro­chen hätte. Die beiden waren inzwischen rückwärts die flachen Stufen zur Kammer der Gemah­linnen empor­gestiegen und standen nun auf der schmalen Terrasse des großen Gebäudes. Sie drehten sich um und Rauls Mut sank gemeinsam mit Irtas er­schrockenem Seufzen. Der Prinz sah sich nach einer Waffe um und fand in seiner Nähe den Säbel des Bo­genschützen, dem er eben das Genick gebrochen hatte. Er hob ihn auf und hielt ihn schützend vor sich.

Auch der Fluchtweg durch das Haus war jetzt abge­schnitten. Ungefähr zwanzig Bogenschützen und Sol­daten standen in der weit geöffeten Flügeltür. Ange­führt wurden sie von dem Verräter, der den Torwächter Minikuş rücklings ermordet, für sie das Eisentor geöff­net und sie in den verbotenen Serail gelassen hatte: Es war kein anderer als der ruchlose Radik Emre, der Oberste Kastrat. Er stand ein wenig abseits und be­trachtete das junge Paar mit einem grimmigen Lä­cheln.

„Ich habe es ja gewusst“, sagte er, aber niemand nahm von ihm Notiz, denn sein Haufen Marodeure führte in seiner Mitte als Gefangene Adalante, die Mutter des Un­terwerfers, und ein paar weitere Frauen aus dem in­neren Serail mit sich. Wie Irta bemerkte, war auch Na­jadhe unter ihnen. Die Mutter von Dagor stand hoch aufgerichtet zwischen ihnen und sie war es, die trotz ihrer Handfesseln langsam und ironisch Beifall klatschte. Radik trat gedankenschnell neben sie und gab ihr einen groben Stoß in die Seite.

„Knie nieder, Weib, vor deinem Herrscher“, zischte er. Adalante ließ sich den Schmerz nicht anmerken. Sie bewegte sich nicht, sah den Beschnittenen nicht einmal an.

Dagor schnalzte mit der Zunge. „Rühre meine Mutter noch einmal an und du spürst meinen Säbel in deinem fetten Bauch …“, sagte er scharf und fügte nach einem flüchtigen Blick auf die Leiche von Aismek hinzu: „… Seneschall Radik Emre.“

Der Eunuch dienerte eifrig und mit glänzenden Au­gen. „Mögen noch fünfzigtausend Sonnenaufgänge dei­ne Herrschaft bescheinen, mein geliebter Herr …“, rief er aus und hatte offensichtlich im Sinn, für jeden die­ser fünfzigtausend Sonnenaufgänge auf der Stelle eine Verbeugung zu machen.

Adalante, die sich unter dem schmerzenden Schlag von Radik etwas gekrümmt, aber keine Miene verzogen hatte, spitzte spöttisch den Mund. „Heute Nacht wer­den wohl einige Karrieren gemacht“, sagte sie. Dann trat sich furchtlos nach vorne und stellte sich neben Raul und Irta. Ein vernichtender Blick fiel wie ein Ton­nengewicht auf ihren Sohn, der sich tatsächlich ein we­nig unter dieser Last duckte. „So, so, der „Unterwerfer“ … Wiegt dieser Titel nicht ein wenig zu schwer auf dir, Dagor-Neq? Es ist noch nicht lange her, da bist du heu­lend und mit blutiger Nase unter meinen Rock geflüch­tet, weil die anderen Jungen wieder einmal so gemein zu dir waren. Wenn ich mich recht erinnere, war das erst in der letz­ten Woche.“

Nun war es ganz still in dem Hof. „Mutter“, setzte Da­gor an, „ich wollte dich stolz machen. Karukora braucht einen Namenlosen, der machtvoll und nicht geistesschwach ist.“

„Stolz! Meinst du, es erfüllt das Herz einer Mutter mit Stolz, wenn die von dir ausgeschickten Mörder verge­waltigen und plündern und in die heiligen Hallen des Harems eindringen, die außer der engen Familie des Namenlosen kein einziger Mann betreten darf? Was für ein Sakrileg hast du begangen! Du hast diesen Ort des Friedens entweihen lassen und ihn besudelt mit dem Blut unschuldiger Frauen und Kinder. Seit tausend Jahren, seit dem Barbarenüberfall des Sefredo Sud, gab es solch einen Frevel nicht mehr! Und nenne mich nicht mehr Mutter, denn ich kenne dich nicht, der du dich „Unterwerfer“ nennst und doch nur ein Ungeheuer bist. Ich bin Adalante, Gattin des wahren und einzigen Namenlosen, der „Erquickenden Wüstenoase“, den die Allerbarmerin mit all ihrer Macht beschützen möge.“ Adalantes Stimme zitterte nicht, aber eine plötzliche, wilde Angst trat in ihre Augen, als sie ihren schwach­sinnigen Mann erwähnte; eine Furcht, die allerdings nur Irta und Raul sahen, die direkt bei ihr standen und sie bewundernd ansahen. Es war eine Furcht, die be­rechtigt war: Dagor starrte gedankenverloren vor sich hin. Seine Rubinaugen warfen rote Reflexe auf Adalan­tes Sarê, als würden sie das helle Kleidungsstück mit Blut bespritzen. Dann hatte er sich entschieden. Er nickte.

„Wüstenoase. Ich erinnere mich. Das war der Name dieses kranken Idioten, der schon vor Jahren seinen Kopf verloren hat. Ich habe ihn heute Nacht gefunden – seinen Kopf. Er lag im Staub neben dem seines On­kels. So enden Schwächlinge.“ Dagor machte ein herri­sches Zeichen und zwei der abtrünnigen Treuwächter, die sich bisher etwas im Hintergrund gehalten hatten, traten nach vorne. Sie hoben ihre Piken, auf denen sie ihre grausige Last aufgespießt hatten; es waren die ab­getrennten Häupter von „Wüstenoase“ und von Bathu Pasha. Irta schrie auf und barg schluchzend ihr Ge­sicht an der Brust ihres lamargischen Prinzen, damit sie diesen grauenvollen Anblick nicht länger ertragen musste. Adalante, die wohl bis zuletzt gehofft hatte, dass ihr Gatte noch am Leben und in Sicherheit war, stolperte zurück und ihre Stimme brach fast.

„Sadon!“, kreischte sie. „Ich habe den verfluchten Ver­räter Sadon an meine Brust gelegt, ihn gesäugt, gehät­schelt und großgezogen. Sei tausendmal verdammt, du Ungeheuer!“ Sie spuckte vor Dagor aus und gewann dabei ihre königliche Fassung wieder. Die Allerbarme­rin allein weiß, wieviel Kraft sie das kostete. Sie reckte tapfer ihr Kinn nach vorn; nur der Tod konnte diese hohe Frau brechen. Sie wusste, dass ihr eigener Sohn ihn in den Harem getragen hatte, denn niemand aus seiner Familie durfte die Nacht überleben, wenn er sich seiner Herrschaft sicher sein wollte. „Du nimmst dir heute mit grausamer Gewalt, was dir in zwei Jah­ren als Geschenk in den Schoß gelegt worden wäre. Du bist ein Kind, das ein wertvolles Spielzeug lieber zer­bricht, als es kurz auszuleihen. Doch noch ist diese Nacht nicht vorbei.“

Adalante zwinkerte Raul zu und hielt plötzlich eine kleine Pfeife zwischen ihren gebunden Händen, nahm sie an die Lippen und blies kräftig hinein. Auf ihr Si­gnal hin traten aus den anderen Gebäuden, die auf den Hof führten, Bewaffnete und lamargische Krieger. Noch war der Widerstand gegen Dagors Putsch nicht gebrochen.

Während die dem Regenten treuen Soldaten unten auf dem Platz mit den Abtrünnigen einen erbitterten Kampf ausfochten, aber langsam und sicher gegen die Überzahl aufgerieben und immer weiter zurückge­drängt wurden, unter Ómers Führung Meuchelmörder und ein blutrünstiger Mob durch die Straßen zogen und regierungstreue Angehörige des Diwans und Bür­ger im Schlaf überraschten und abschlachteten, gab es im Palast selbst eine Gruppe starker und furchtloser Männer, die auf alles vorbereitet waren, weil sie selbst im Stillen an Umsturzplänen gearbeitet hatten. Es wa­ren die „Falken“ und die lamargische Delegation. Sie schliefen schon seit einigen Nächten mit gezückten Schwertern und griffbereiten Pistolen in ihren schwe­ren Rüstungen, weil die „Schwalbe“ von ihren Spionen gewarnt worden war. Dagor wurde angesichts der plötzlichen Umkehrung der Machtverhältnisse noch bleicher als zuvor, aber er zögerte nicht. Er riss eine kleine Pisto­le aus seinem Gürtel und zielte mit ihr auf seine Mut­ter.

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Eine Antwort auf „Die Verliese des elfenbeinernen Palastes – Eine Nacht in der Karawanserei (8)“

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