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Leseprobe: Noch einmal daran gedacht – Leonard Cohen

Noch einmal daran gedacht
Essays, Kritiken und Glossen aus meinem Blog
260 Seiten, 8,99 €
Taschenbuch demnächst überall im Buchhandel
und auch als E-Book erhältlich

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Ein missglückter Nachruf auf Leonard Cohen

Lieber Hans-Dieter Heun, du hast mich zwar darum gebeten, aber ich kann das nicht wirklich. Ich habe mich redlich bemüht, aber ich bin niemand, der einen Nachruf schreiben kann – auch nicht auf Leonard Cohen, dessen Musik dir wesentlich mehr bedeutet hat als mir. Ich bin einfach eine andere Generation. Mancher, der von uns gegangen ist, war mir wichtiger. Zwar habe ich in meinem Testament festgelegt, dass an meiner Feuerbestattung sein „Halleluja“ gespielt werden soll, dies aber in der todtraurigen Fassung von Jeff Buckley, die ich für die gelungenste, weil verzweifeltste halte. Ich will ein Meer von Tränen, das wie ein Wasserfall aus den Augen hinunter und von den Beinen der Trauernden bis zu meiner Urne hinüberschwappt. Frau Klammerle, das aber wirklich nur nebenbei, möchte übrigens „Meet me in the Dark“ von Melissa Etheridge – wer es nicht kennt: Das sind sechs Minuten geballte Depression. No one get’s out here alive.

Doch einen gelungenen Nachruf auf den alten Spielverderber Cohen kann ich einfach nicht aufs Papier bringen; ich kann überhaupt keine Gedächnisreden halten: Schließlich schreibe ich nie über andere, sondern nur über mich selbst. Denn nur von diesem Thema verstehe ich wirklich etwas.

Lass mich das erklären: In den 70er Jahrenn, in denen Cohen seine beste und erfolgreichste Zeit hatte, mit seiner Muse auf einer griechischen Insel lebte und fleißig Songs, Gedichte und Prosa produzierte (ich neide ihm dieses Leben, das ich selbst gerne auf diese Weise meine Zeit verschwenden würde), da nahm ich ihn nicht weiter wahr. Ich hörte vorzugsweise klassische Musik und die Platten meiner älteren Geschwister: Jimmi Hendrix, Eric Burdon, Deep Purple, Jethro Tull und die frühen Pink Floyd. Meine Schwester M. besaß zwar seine zweite Studioaufnahme „Songs from a room“ auf Vinyl, (dessen Coverrückseite übrigens das Intereur seines griechischen Rückzugsorts samt Muse zeigt), aber ich glaube nicht, dass ich die LP jemals auf meinem Plattenspieler rotieren ließ. Ich war unwissend, um nicht zu sagen, arrogant. Noch am Morgen des 9. Dezember 1980 blamierte ich mich, als ein betroffener Klassenkamerad mir vor der Stunde mit atemloser Stimme berichtete, man habe in der Nacht John Lennon ermordet. Ich musste ihn erst fragen, wer das denn eigentlich sei. Cohen war für mich höchstens die Stimme, die von einer knisternden verstaubten LP schlechte Laune und Weltschmerz verbreitete, wenn der Gastgeber seine Party beenden wollte. Sein unsicherer, murmelnder Vortrag, bei dem man ähnlich wie bei Bob Dylan nicht gerade behaupten konnte, Cohen sei ein guter Interpret seiner eigenen Lieder, war der ideale Stimmungstöter und Partymörder. Nach einer Plattenseite „Songs of Love and Hate“ war jeder so weit, dass er sich verzweifelt nach einem stillen Ort umblickte, an dem er sich an einem Hacken an der Decke aufzuhängen konnte. In diese Stimmung bringen einen heutzutage höchstens noch Nick Cave oder die Eeels. Cohen hörte man, wenn die Freundin weg war oder frühmorgens von den Übriggebliebenen bei philosophierendem Gelaber die letzten Alkoholreste gelehrt und gemeinsam der letzte Joint geraucht wurde. Mir erschienen für diesen Zweck damals die alten Blues-Miesepeter (Albert King – „As the years go passing by“) oder gleich ein Rachmaninow-Klavierkonzert geeigneter. Mitte der Achtziger veröffentlichte dann Jennifer Warnes eine Platte mit ihren Versionen von den bekanntesten Cohen-Songs: „Famous Blue Raincoat“. Ich lernte seine Lieder neu kennen und schätzen. Vor allem der geheimnisvolle Text von „First we take Manhattan“ hatte es mir angetan und ich spielte die Platte so oft, dass der damalige Freund meiner Schwester mir Prügel androhte, wenn ich sie noch einmal auflegen würde. Für mich war Cohen immer mehr Dichter als Songwriter und wenn man schon der bescheuerten Entscheidung folgen will, Folksängern den Nobelpreis für Literatur zu verleihen, dann hat ihn nicht Bob Dylan, sondern Leonard Cohen verdient, denn dessen Gedichte stehen meiner Meinung nach haushoch über den Textzeilen von Dylan.

Erst in den letzten Jahren vor seinem Tod, durch seine letzten zwei, drei Platten, lernte ich Cohen richtig zu schätzen und ich ließ mich von ihm durch die eine oder andere laue Sommernacht auf meiner Gartenterrasse begleiten. Seine letzten CD’s sind Rotwein-Musik für alte, weiße Säcke. Die Stimme war mit den Jahren tiefer, wärmer und dunkler geworden, das Geraune eines alternden Orakels, altersweise und milde. Man höre nur „Going home“ von der 2012er CD „Old Ideas“. Da passt alles. Das sind drei Minuten, die mich bei jedem Anhören in eine andere Welt, in ein anderes Leben verfrachten, in eine „Es hätte sein können“-Stimmung:

“I love to speak with Leonard
He’s a sportsman and a shepherd
He’s a lazy bastard
Living in a suit”

Dennoch bleiben Cohens Musik und Texte ein Vergnügen, das ich mir nur in homöopathischen Dosen verschreibe und auf nüchternen Magen Unwohlsein und Weltschmerz auslöst. Und ich hatte Recht: Ein Nachruf, wie du ihn von mir wünschtest, HD, ein echter Nachruf war das nicht. Aber ich habe mich zumindest bemüht …

 

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