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Der Weg, der in den Tag führt, Teil II: Pardais – 4. Kapitel (2)

Der Weg, der in den Tag führt
Eine Geschichte aus der Welt von »Brautschau«

Zwl

Weiter vorne auf Juels bequemem und mit Kissen ausgepolsterten Kutschbock wurde dagegen laut diskutiert. Hier saßen Adelf, Juel und Tonino, der die Zügel in einer Hand hielt, während er die andere an die Stirn gelegt hatte, um seine Augen zu beschatten. Man stritt sich. Sogar der sonst so schweigsame Diener hatte diesmal ein Wort mitzureden.

»Doofe Sonne, dummer Weg«, murmelte er. »…Dieser Weg führt nicht in den Tag, er führt direkt in die Hölle. Psah!« Er fuhr sich mit der flachen Hand über die schweißnasse Rosentätowierung auf seiner Stirn. Dann verschränkte er die Arme und starrte düster vor sich hin. Juel warf ihm einen überraschten Blick zu. So viele Worte hatte er schon lange nicht mehr von seinem Diener gehört. War Tonino verängstigt, besorgt oder vielleicht auch nur beleidigt? Er konnte es nur vermuten, denn der Mann aus dem Süden war so verschlossen und schweigsam wie ein Vorgängersarkophag. Zwar führte er jeden von Juels Wünschen und Befehlen aus, kaum hatte er sie ausgesprochen, aber offenbar missbilligte er alles, was sein Herr von ihm forderte und ganz entschieden passte ihm die Richtung nicht, in die diese Reise ging.

Adelf musterte den mürrischen Diener von der Seite und schien ihm zuzustimmen. »Nach den Monaten im feuchten und kalten Verlies kann mir die Wüste zwar gar nicht heiß und trocken genug sein und diese von den alten Göttern verfluchte Stadt auf dem kürzesten Weg zu verlassen, erscheint mir geboten«, er zögerte und blinzelte in die Sonne, an deren Helligkeit er sich nach seiner langen fensterlosen Gefangenschaft noch immer nicht gewöhnt hatte, »aber erkläre mir doch, mein Freund, warum wir uns auf unserer Flucht ausgerechnet gen Sonnenaufgang wenden und nicht versuchen, die freien Marschen zu erreichen, wo wir in Sicherheit wären. Glaubst du, die Häscher des Bişra werden uns nicht auf diesem Weg folgen, …«

»… der uns alle in den Tod führt«, wagte Tonino erneut einzuwerfen. Juel überlegte, ob es an der Zeit war, diesen kritischen Diener loszuwerden. Man musste kein Hellseher sein, um vorhersagen zu können, dass Tonino ihm in Zukunft noch Probleme bereiten würde. Er lächelte bissig und zügelte ein wenig den Trab seiner kräftigen Maultiere, damit Sirtis nicht den Anschluss verlor.

»Im Gegenteil«, antwortete er Adelf und ignorierte für dieses Mal die defätistische Anmerkung seines Dieners. »Ich glaube, der Namenlose wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um unser habhaft zu werden. Dafür wird schon das Schreiben sorgen, das ich im Thronsaal auf den Wunsch von Alis hinterlassen habe. Deshalb würde es völlig egal sein, in welche Himmelsrichtung wir flüchten. Man würde uns längst eingeholt haben, längst bevor wir an die Grenzen des Reichs gelangen. Es mag auf den ersten Blick tollkühn erscheinen, ausgerechnet in die Richtung der Ebenen des Ewigen Krieges zu fliehen, aber sie sind beträchtlich näher als alle anderen Ziele und tatsächlich unsere beste Möglichkeit, dem Zugriff der Häscher des Namenlosen zu entkommen. Es sollte uns gelingen, den Rand der Zone in vier oder fünf Tagen zu erreichen, wenn wir die Nächte ausnutzen und in den Nachmittagsstunden, wenn die Hitze über dem Sand am unerträglichsten ist, in den Schatten der Felsen ruhen. Sirtis hat genug Vorräte für uns alle besorgt. Dann müssen wir nur noch eine Transferstation finden und sie mit Hilfe von Selins Passagierkarte aktivieren.«

»Und du bist dir sicher, dass die technischen Anlagen und der Codechip noch funktionieren?«

»Da bin ich sehr zuversichtlich. Diese Techné aus der Zeit der Drei Reiche ist im Gegensatz zu der Vorgängertechné für die Ewigkeit gemacht. Ich würde mal sagen, dass gut neunzig von hundert Anlagen und natürlich auch der Codechip noch funktionieren. Das haben wir doch schon erfahren. Denke nur an die Wunder von Nigra Batur. Und die Maschinen­wesen da vorne in den Ebenen bekriegen sich nun schon seit über dreitausend Jahren, ohne zu ermüden. Ich würde gerne mal einen Golem auseinandernehmen und das Geheimnis dieser schier unerschöpflichen und eisigen Energiequelle erfahren, die diese Geräte antreibt. Ich wäre der reichste Mensch der Überlebenden Lande.« Juel, der Alis Märchen von Lakmi-âs-Sekr nicht gehört hatte, fragte sich kurz, wie diese Karte ausgerechnet in den Falkenthron gelangt war. Er seufzte. »Glaube mir, wir fahren dem Namenlosen einfach in einem URS davon und warten im hoffentlich schönen Paradis einfach gemütlich ab, bis sich die Wogen geglättet haben und Karukora seinen unvermeidlichen Krieg mit der Lamargue verloren hat. Soll „Der Unterwerfer“ doch versuchen, uns zu verfolgen. Die Golem-Armeen werden ihn wie Mühlräder das Getreide zermahlen!«

»Deine Worte in Oberones Ohren, … Juel.« Adelf schüttelte lächelnd den Kopf. »Juel. An diesen Namen werde ich mich nicht so schnell gewöhnen. Doch wahrscheinlich hast du mal wieder recht und Paradis kann auch für uns eine Zuflucht werden. Ich glaube zwar nicht, dass es der verzauberte Ort ohne Leid, Kummer und Hunger ist, von dem uns die alten Sagen berichten, aber ich gebe es gerne zu: Ich bin schon sehr gespannt, was uns dort erwarten wird. Paradis mus wie eine vollkommen vom Festland abgeschnittene Insel in einem stürmischen Meer sein und vielleicht haben ihre Bewohner mehr Wissen über die Zeiten hinweg retten können, als wir. Und ich glaube, das ist ein weiterer Grund, der dazu geführt hat, dass du Sirtis und Selin dorthin begleiten willst, oder? Neben deinem guten Herzen natürlich. Du bist in den zehn Jahren, seit usich unsere Wege getrennt haben, nicht viel weiter gekommen, oder? Du suchst noch immer?«

»Ja, aber inzwischen weiß ich, wonach – auch wenn ic noch keine Ahnung habe, wo ich es finden kann. Ich hoffe natürlich, die Antwort auf meine Frage in Paradis zu finden. Wenn sie dort nicht wartet, dann wohl nirgendwo auf dieser Welt. Dann werde ich anderswo suchen müssen.« Juels Blick glitt nachdenklich nach oben und er starrte ein paar Sekunden in den wolkenlosen, bleichen Himmel, als könne er dort oben, wo ein einsamer Raubvogel im Aufwind über den Wüstensand seine Kreise drehte, die Antwort finden. Adelf, der diese Suche für ein Hirngespinst hielt, rüttelte ihn an der Schulter und weckte ihn aus seiner Selbstversunkenheit.

»Im Himmel wirst du keinen Weg finden, sondern nur den unseren verlieren. Aber sage mir, was in der Botschaft stand, die du im Thronsaal hinterlassen hast. Er war von Alis, sagtest du, dem Großvater unseres jugendlichen Helden? Ich kann mich erinnern, wie ich dem Alten einmal auf dem Bazaar zuhörte. Er saß dort mitten in der Menge auf einem fadenscheinigen Teppich, eine von der Wüstensonne und den Lebensjahren ausgemergelte Seele – er war fast noch klappriger als ich in meinem momentanen Zustand. Aber seine Stimme trug. Sie hatte die Kraft, die Zuhörer zu fesseln. Er erzählte und ließ uns in Welten eintreten und vor unserem inneren Auge spielten sich Geschehnisse und Taten ab, als wären wir gemeinsam mit seinen Helden unterwegs. Es war nur ein belangloses Märchen, doch als er endete, war uns, als würden wir aus einem wunderbaren Mohntraum erwachen, in den wir sofort wieder zurückkehren wollten. Meinst du, er hat die Schlacht im Palast überlebt?«

Juel riss sich eher widerwillig von dem Anblick des Wüstenhimmels los und lenkte seinen Wagen, der etwas von der Straße abgekommen war und nun über Felsbrocken rumpelte, zurück in die inzwischen kaum mehr sichtbaren Fahrrillen, die der spärliche Verkehr nach Matorka in den Boden gegraben hatte. »Ich fürchte, nicht. Wenn alles nach Alis‘ Plänen verlaufen wäre, dann wäre er doch wohl an unserem vorher ausgemachten Treffpunkt aufgetaucht. Er muss noch im Speisesaal gewesen sein, als dort nach dem Tod von Raul der Kampf zwischen den Lamargern und der Treuwacht entbrannte und in ein schreckliches Massaker mündete. Soviel habe ich heute Morgen von den Flüchtlingen aus dem Palast erfahren.«

[Wird nächsten Sonntag fortgesetzt …]

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