Dienstag, 09.04.19
Am Wochenende, das – rein von Wetter her betrachtet – besser war als angekündigt und mich weniger zum Schreiben und dafür mehr zur Gartenarbeit (1) und zum Lesen animierte, habe ich ein neues Wort gelernt. Nein, nicht “kärchern”, sondern “molestieren”. “Molestieren”, das ist fast so schön wie “Dachjuhe” oder “Ideosynkrasie”, “Socke” oder “Expropriation”. Mein Verhältnis zu diesen Wörtern ist beinahe erotisch; sie streicheln meine Seele. Ihr müsst nicht im Duden nachsehen, wie ich das getan habe; die Bedeutung von “molestieren” ist “belästigen”. Es kommt von dem lateinischen “molestare” und taucht eigentlich nur in Büchern des 18. und 19. Jahrhunderts auf. Gelernt habe ich das Wort bei den “Jugenderinnerungen eines alten Mannes” von Wilhelm von Kügelgen (1802 – 1867), die es bei mobileread.com auch gratis als E-Book zum Lesen gibt. Ich besitze eine alte Manesse-Ausgabe dieses wirklich lesens- und empfehlenswerten “Volksbuchs” des Biedermaiermalers, die ich irgendwann einmal aus einer Bücherramschkiste gezogen habe und mit denen ich mich, wie es der in Dresden aufgewachsene Kügelgen ausdrücken würde, seit ein paar Wochen angeregt delektiere.(2) In den “Erinnerungen” findet sich gegen Ende des 5. Teils folgender, von mir hier stark gekürzter Satz: “[..] mir ward irgendein Vergnügen oktroyiert, wie zu Beispiel [..], die Spatzen mit der Windbüchse zu molestieren.” Ich liebe solche altväterlichen Formulierungen, wie sie insbesondere Jean Paul bis nahe an die Unles- und Unverstehbarkeit benutzt habt. Ich konzediere hier unumwunden, wie sehr sie meinen eigenen Schreibstil persuadieren. Und da steht es, mein neues Lieblingswort: Mein Nachbar molestiert mich also mit seinem Rasenmäher, während ich versuche, unter dem blühenden Kirschbaum ein Nickerchen(3) auf meinem frischgestrichenen Deckchair zu unternehmen. Frau Klammerle molestiert mich mit der Restmülltonne, während ich mich gerade zu dichterischen Höhenflügen aufschwingen will. Mein Montagmorgen molestierte mich mit mittelmäßigen Magenschmerzen. Einfach schön! Die deutsche Sprache mag im 20. Jahrhundert prägnanter geworden sein, aber sie hat eindeutig an Schönheit verloren.
Aber ich will euch nicht ennuieren.

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Ach ja, es ist wieder einmal soweit. Übermorgen brechen Frau Klammerle und ich unsere Zelte in Diedorf ab und verreisen in den hoffentlich sonnigen Süden. Unser alljährlicher Osterurlaub steht an, der uns bei in den nächsten Wochen zum Wandern, Genießen, Radfahren und Entspannen zuerst an den Kalterer See in Südtirol und dann ins Altmühltal führen wird. Dort will ich dann auch die Hauptarbeit am 2. Teil meiner Fantasysaga “Der Weg, der in den Tag führt” abschließen, der im Frühsommer in den Buchhandel kommen soll. Mein Blog ruht deshalb bis Anfang Mai. Ich hoffe, ihr werdet mir bis dahin treu bleiben.

Aber jetzt will ich euch nicht länger molestieren. Ich wünsche allen Lesern, Followern, Freunden und zufällig Hereinschneienden eine wunderbare, friedliche und genussvolle Osterzeit, fette Schokoladeneier und anregende Begegnungen.
Euer Nikolaus

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(1) Unter anderem habe ich meine über den Winter doch arg verschmutzten Sandsteinfliesen meiner kleinen Gartenterrasse “gekärchert”, also mit Hilfe eines Wasserstrahls gereinigt. Es ist ein seltsam befriedigendes Gefühl, eine Fliese nach der anderen mit dem Kärchergerät abzuspritzen, sie von Dreck, grünem Moosbelag und einem hartnäckigen Grauschleier zu befreien. Nun habe ich zwar von der vibrierenden Spritze einen Muskelkater in der linken Hand, aber die Terrasse leuchtet in der milden Frühlingssonne wieder wie neu.
(2) Kügelgen – übrigens ein wundervoller Name, wenn man ihn sächsisch ausspricht – soll im Gegensatz zu seinem Vater Gerhard ein eher mittelmäßiger, pietistischer Maler gewesen sein, aber in seinem Buch macht er Geschichte und das Leben der Menschen während und kurz nach den Napoleonischen Kriegen so lebendig, als wäre das alles – trotz der antiquierten Sprache – erst gestern geschehen. Zusätzlich erfährt man die interessantesten Dinge: Caspar David Friedrich, ein Freund der Kügelgenschen Familie, malte nackt, Goethe konnte sich vor den Zugriffen seiner Groupies kaum retten und die Kohle von verbrannten Elstern wurde erfolgreich gegen Epilepsie eingenommen.
(3) Ich habe gehört, “Nickerchen” sei politisch nicht mehr korrekt. Frau Klammerle, die darin ungeschlagene Meisterin ist, meint, man sage jetzt “Powernapping” und ich habe noch ein weiteres neues Wort dazu gelernt, das ich allerdings wohl eher selten in meiner Literatur verwenden werde.