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Montag, 01.04.19

Montag, 01.04.19

Ratsal braucht kein Labsal. – Heidegger

Nein, ich werde nicht über die Zeitumstellung, den Brexit, Artikel 13, Schülerdemos oder meinen alten Euro-Kat-4-Diesel schreiben. Das sollen andere tun, die können das viel besser. Ich werde euch stattdessen ein weing von meiner Schriftstellerneurose berichten und von der Phänomenologie, dem Sein und der Zeit … aber davon später.

Der Ort meines ‘Da-Seins’ (… oder des Verbrechens. Von welcher Seite man es eben betrachten will.)

Simone de Beauvoir erzählt irgendwo die Anekdote, wie auch sie einmal unter dem periodischen Grundproblem aller Schriftsteller gelitten hat, nämlich den unwiderstehbaren Drang zum Schreiben verspürte, ihr jedoch absolut nicht einfallen wollte, worüber. Dies und das Gefühl, ein Versager zu sein, kennt jeder Autor. Sie hatte Glück, denn wie ihr Gefährte Sartre und die meisten anderen existentialistischen Gestalten um die beiden herum, saß die Gute in diesem Moment nicht alleine in ihrem Kämmerlein vor Papier und angespitztem Bleistift, dessen stumpfe Seite sie nach einer guten Idee grübelnd langsam zerbiss, sondern sie war in Gesellschaft; ausnahmsweise mal nicht im Café de Flore oder im Deux Margots am Boulevard Saint-Germain, sondern zusammen mit Alberto Giacometti (1) in einem Bahnabteil. Der geniale Schweizer Bildhauer riet ihr, einfach ‘irgendetwas’ zu schreiben – wahrscheinlich formte er selbst bei Ideenlosigkeit einfach ein paar seiner hübschen, dünnen Männlein, von denen er im Lauf seines Lebens ja eine ganze Armee produziert hat. Beauvoir beherzigte Giacomettis Rat und begann ihre leeren Seiten eifrig mit den ersten Entwürfen ihres philosophischen Hauptwerks “Das andere Geschlecht” zu füllen.

Ich habe gerade ebenfalls den Ratschlag Giacomettis befolgt und schreibe ‘irgendetwas’, obwohl ich keinerlei Inspiration und Idee hatte. Von mir ist jetzt selbstverständlich kein Grundlagenwerk des Feminismus’ zu erwarten, aber immerhin ein Beispiel für meine stupende Belesenheit, meinen ausufernden und humorvollen Sprachstil und – was noch viel wichtiger ist – der Beginn eines Gedankensplitters, der im Moment nach bereits 300 Wörtern beinahe schon zu einem Drittel geschrieben ist und sich in flotter Geschwindigkeit auf sein Ziel von 900 hinbewegt, von dem ich eben noch nicht die geringste Ahnung hatte, wie es am Ende aussehen wird. Auch im Moment liegt dieses Ziel meiner heutigen literarischen Reise noch in ziemlich undurchsichtigem Nebel vor mir in der Zeit; auch wenn sich die eine oder andere Kontur bereits herausschält. Aber ich glaube, die turbantragende Grand dame des existentialisme wusste während ihrer Bahnfahrt im Jahre 1947 auch noch nicht, wohin sie ihr Text schließlich bringen würde.

Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Obwohl ich ebenfalls gerne in der Anonymität der Öffentlichkeit in einem Café oder in einem Stadtpark (2) schreibe, weil sich dort in der Masse die Einsamkeit des Autors viel besser ertragen lässt und sich mein ‘Da-Sein’ als Autor erst durch das Bemerkt- und Beobachtetwerden von Fremden manifestiert und ‘entbirgt’ – ganz so wie die Bedienung, die mir meinen Café au Lait serviert, erst dann in ihre Rolle schlüpfen und sie so ausfüllen kann, wie glaubt, dass der Gast, also ich, sie von ihr erwartet, wenn sie von mir ‘wahr’ genommen wird -, sitze ich heute beim Schreiben dieses Textes vollkommen alleine auf der Terrasse meines kleinen Gärtleins in der milden Frühlingssonne und meine Umgebung neigt sich nur mir selbst zu. Die Dinge beobachten und beurteilen mich nicht. Falls es doch einen Zuseher gibt, einen neugierigen Nachbarn hinter dem geschlossenen Vorhang im Fenster im 1. Stock des Hauses gegenüber zum Beispiel, der mein Tun und Handeln missbilligt, dann bin mich mir seiner nicht bewusst und er ist deshalb nicht existent. (3) Hinter der hohen Thuiahecke rechts schimpft die polnische Mutter lautstark auf polnisch mit ihrer kleinen polnischen Tochter (oder mit dem polnischen Hund, so genau weiß ich das nicht. Ich glaube, beide heißen ‘Luzi’). Ihre Stimme ist so krächzend, zornig und rau, als würde ihr Gaumen aus Sandpapier bestehen. Da ich kein Wort polnisch verstehe, die wütende Mutter auch nicht sehe und sie jeden Tag zu jeder Stunde mit Tocher und Hund schimpft oder mit überschwänglicher Begeisterung jeden Rülpser ihres Säuglings feiert, ist auch sie für mich nicht wirklich und ‘wirkend’ da, sondern nur ein Hintergrundgeräusch, ein ‘An-sich’ wie die zwitschernden Amseln, die knallgelben Narzissen, die summenden Bienen in den wilden, blauen Hyazinthen, der bequeme Gartenstuhl, auf dessen Polster ich sitze, der Druckbleistift, in meiner Hand und das Notizbuch auf meinem Schoß. Es gibt nichts, das meinen Gedankenfluss stören kann und ihn an seinem ungeregelten Dahinfließen hindert.

Auf diese Weise sind nun schon längst die 1000 Wörter, die ich mir vorgenommen habe und beinahe ein weiterer langer Blogartikel geschrieben. Jetzt muss ich noch schnell zwei Fotos machen und sie an der passenden Stelle einfügen. Ich hätte übrigens auch den Duden an einer beliebigen Stelle öffnen und die dort zufällig gefunden Wörter hierher übertragen können, denn niemand wird sich die Mühe machen, diesen Unsinn bis zu dieser Stelle zu lesen. Jeder mit ein wenig Vernunft hört früher auf und kümmert sich um Wichtigeres, wie zum Beispiel um seine Osterdeko oder Katzenvideos. Aber ich habe diesen Blödsinn geschrieben und nun kann ich mich für eine gewisse Zeit in der Vorstellung sonnen, ein Schriftsteller oder ein phänomenologischer Philosoph zu sein – bis ich dann morgen oder heute Nachmittag schon mit dem Bleistift in der Hand vor einer neuen leeren Seite sitzen und von neuem versuchen werde, ihn mit ‘irgendetwas’ zu füllen. (4)

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(1) Ich habe mich einmal  im Museum Berggruen in Charlottenburg äußerst verdächtig gemacht, als ich beim Betrachten von einer von Giacomettis Katzenskulpturen zu Frau Klammerle die leichtfertige Bemerkung machte, mein Empfinden für Recht und Moral würde genau hier an dieser Stelle enden. “Falls jetzt niemand zuschaut und das Kunstwerk keine Alarmanlage hat, nehme ich es jetzt mit und stelle die Katze unter unseren Kirschbaum auf”, sagte ich. Selbstverständlich traf beides zu und ich ließ meine Finger von dem filigranen Meisterwerk, das sich bei mir im Garten viel besser als im Museum ausgemacht – und zusätzlich als Scheuche die Vögel von meinen Kirschen ferngehalten hätte. Von diesem Moment an wurde die Familie Klammer auf ihrem Weg durch die Ausstellung die ganze Zeit über von vier Museumswächtern begleitet, die jede Geste misstrauisch beäugten und aufgeregt in ihre Funkgeräte flüsterten. Auch in der ägyptischen Ausstellung im Nebengebäude wurden wir bereits erwartet und von ein paar treuen Begleitern empfangen.

(2) Bevorzugt schreibe ich im alten Hofgarten in Augsburg, der seinen Winterschlaf beendet hat und ab heute wieder für so merkwürdige Erscheinungen wie mich geöffnet ist. Die barocken Zwergskulpturen dort und ich führen eine enge Beziehung. In einer Ecke steht übrigens auch ein öffentlicher Bücherschrank, in den ich ab und an ein paar meiner Werke stelle.

(3) Allerdings begann er in dem Moment, in dem ich ihn in Gedanken dort oben hinter der Gardine plazierte, zumindest für mich zu ‘wesen’ und führt damit meine weitere Argumentation ein wenig ins Absurde. Ich fühle mich von ihm betrachtet, obwohl er wahrscheinlich gar nicht da ist.  Er ist in meiner Beweisführung ‘Schrödingers Katze’ – bitte nicht mit der von Giacometti verwechseln.

(4) Ach, ja, heute ist übrigens der 1. April. Nur so als  kleiner Hinweis.

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