Kategorien
der in den Tag führt Der Weg Fantasy Fortsetzungsroman Literatur Märchen Phantastik Roman Science Fiction

Der Weg, der in den Tag führt, Teil II: Pardais – 2. Kapitel (7)

Der Weg, der in den Tag führt
Eine Geschichte aus der Welt von »Brautschau«

Zwl

Sahar schüttelte wie zur Bestätigung langsam den Kopf.

»Ich war nicht rechtzeitig bei ihm. Ich konnte ihn nicht beschützen«, rechtfertigte er sich. »Ich habe nicht einmal gesehen, wer auf ihn geschossen hat. Wahrscheinlich war es nur ein Querschläger, der Alis zufällig traf.«

»Das wollte ich nicht!«, jammerte Alis plötzlich. »Nein, das wollte ich nicht … Es sollte niemand außer Ómer, Raul und Radik sterben. Warum habe ich diese Entwicklung nicht vorausgesehen?«

Muhar fuhr zurück. Hatte er sich verhört? Auch Sahar öffnete erstaunt den Mund. Hektisch kritzelte Muhar ein paar Worte auf seinen Zettelblock und hielt ihn dem Alten vor die Augen. »Was hast du mir verschwiegen?«, las Alis, nachdem er sich die Tränen aus den Augen gewischt hatte. Er lachte grimmig, was einen quälenden Husten bewirkte.

»Sehr viel«, antwortete er, nachdem er wieder zu Atem gekommen war, »es ging mir nie nur um die Karte alleine, die den Weg nach Pardais weist. Obwohl wir sie brauchen, um uns alle am einzigen Ort in Sicherheit zu bringen, bis zu dem der Arm des Namenlosen nicht reicht – in jene sagenhafteEnklave des Friedens inmitten der Ebenen des Ewigen Krieges.«

»Beten wir zur edlen Titania, dass Pardais nicht nur der alberne Traum von berauschten Drafta-Süchtigen ist«, flüsterte Sahar, aber Alis ließ sich nicht von seiner Skepsis irritieren.

»Sicher nicht. Pardais ist so wirklich wie der Sand der Wüste. Glaubt mir, „Der Weg, der in den Tag führt“ ist der größte Schatz, der in Karukora verborgen ist, und er ist die besondere Würze, mit der ich meine Rache servieren wollte. Ich hatte nie vor, reich werden, sondern wollte Vergeltung einfordern für das, was meiner Irta einst angetan wurde. Mein alter, weicher Freund Muhar, ich wusste, du würdest meinen Plänen niemals zustimmen, wenn ich dich eingeweiht hätte. Deshalb habe ich vor dir geschwiegen. Sirtis allein weiß über alles Bescheid und sie wird mein Werk fortsetzen. Fast zwanzig Jahre habe ich gewartet und wie eine Spinne in ihrem Netz geduldig meine Fäden geknüpft. Und dann hatte ich tatsächlich alle meiner Widersacher beisammen, jene niederträchtigen, bösen Männer, die den Tod meines Augensterns verursacht haben, als wäre sie ein Spielzeug, das man wegwirft, nachdem man es mutwillig kaputt gemacht hat. Mir war klar, dass sich mir in der Lebensspanne, die mir noch verblieb, solch eine Möglichkeit nicht ein weiteres Mal bieten würde. Doch wie konnte ich mich an allen rächen? Denn schließlich durfte ja keiner von ihnen seinem Schicksal entgehen. Da fiel mir die Sage vom „Weg, der in den Tag führt“ ein und es dauerte nicht lange, bis ich meinen Plan entwickelt hatte. Der Zufall, dass Ómer ausgerechnet diese Nacht für seinen Putsch erwählt hat, machte alles perfekt.« Alis nickte zufrieden in sich hinein.

»Ich begreife langsam. Du hast Meuchelmörder bezahlt, damit sie den „Bären“ ermorden und die Tat anschließend dem Namenlosen in die Schuhe geschoben wird. Der geheimnisvolle Verschwörer, dem Adelf auf die Spur gekommen ist, das warst du?“, fragte Sahar erschüttert. »Mögen uns die Götter vor den Einflüsterungen Inets bewahren!«

Sahar traf ein fast mitleidiger Blick von Alis. »Es gibt keine Götter und auch keinen Teufel. Sie werden nicht gebraucht. Ihre Arbeit erledigen wir Menschen besser, als sie das je könnten. Das Gute und das Böse, es ist in uns selbst und wir entscheiden jeden Tag aufs Neue, auf welche Stimme wir hören wollen. Die Liste der Untaten dieser Männer ist schier endlos, in ihnen ist längst nur noch Böses. Du fragst dich sicherlich, woher das Geld kam, mit dem ich die Assasinen der „Kalten Hand“ entlohnte, so arm, wie ich bin? Es waren lamargische Écu d‘or, die ich von keinem anderen als vom späteren Regno selbst erhielt, der sie mir von Galves Idrichson überbringen ließ. Ihn plagte wohl sein ihn sein schlechtes Gewissen, weil er meine Irta verführt und entehrt hatte. Ich habe von diesem Blutgeld nie auch nur eine einzige Münze angerührt, bis ich schließlich den passenden Verwendungszweck fand. Der Regno hat für seine eigene Ermordung bezahlt. Ist das nicht ironisch? Die Druşba Es Sakr wollte übrigens nur einen symbolischen Lohn; es lag ihr nichts an dem Geld. Mir scheint, als hätte sie vorgehabt, diese Tat auch ohne meinen Auftrag zu begehen. Welch eine Ironie …«, wiederholte Alis und lächelte in sich hinein, bis ein plötzlicher Schmerz seine Gesichtszüge verzerrte. Der Sterbende atmete pfeifend ein und aus und wurde dabei immer schwächer. Seine Stimme war nun kaum mehr zu verstehen:

»Und abgesehen davon, dass nun auch unschuldiges Blut vergossen wird und mich diese dumme Pistolenkugel mitten in die Brust traf, geht alles den von mir vorausbestimmten Gang. Ich hoffe nur, der fette Dieb hält sein Wort, das er mir vorhin gegeben hat.« Er hustete erneut. »Mich friert, Muhar. So kalt war mir zuletzt vor dreißig Jahren in den schwarzen Wäldern des Nordens, als ich unter den ewig weißen Gipfeln des Newtongebirges mitten im tiefsten Winter Bäume für den Landbaron Egelharm schlug. Ach, da fällt mir ein: Dabei begegnete mir eines Tages der Nachtalb Lorin Sigdat, der auf der Suche nach Hygmir, dem Dolch der fünf Welten und seiner geliebten Frau Süfsa war …, ach, das ist eine uralte Geschichte, die ich nun leider niemandem mehr erzählen werde – heute nicht und auch an keinem anderen Tag.« Er überlegte, sammelte seine Gedanken, die dabei waren, sich endgülitig in seinen vergangenen Tagen zu verlieren. »Aber nun fühle ich mich, als würde ich in diese Wälder zurückkehren. Ich kann die wirbelnden Eiskristalle in meinem Gesicht spüren, den gelben Staub der blühenden Kiefern riechen und das bittere Aroma ihres Harzes schmecken. Sag Selin …« Er stockte und ein dünner Blutfaden rann aus einem seiner Mundwinkel. Alis Augen rutschten nach oben. Sahar rüttelte ihn an der Schulter.

»Bis zum Schluss ein Märchenerzähler, hm? Aber so einfach stiehlst du dich mir nicht davon, Alis. Du hast deine Geschichte nicht zuende erzählt, mein Freund. Wenn du, wie du behauptest, die Schuld an diesem Massaker trägtst, dann sage mir, wie du das eingefädelt hast. Wer verbirgt sich hinter der Druşba Es Sakr?«

Der alte Mann war schon weit fort und immer tiefer in die rauschenden Wälder geschritten, wo sein Bruder und seine Familie, Irta und seine geliebte Frau Jade gedulig auf ihn warteten, aber machte noch einmal kehrt und richtete sich in Sahars Armen etwas auf. Er musterte den jungen Mann, als würde er ihn zum ersten Mal erblicken. Alis sah durch dessen grüne Augen tief hinein in die Seele des Mönchs. Die Vergangenheit und seine Zukunft lagen in diesem Augenblick wie zwei geöffnete Bücher vor ihm.

»Ich kenne dein Geheimnis«, sagte er klarsichtig und Sahar errötete unter der Larve aus schwarzer Spitze, die sein weiches Knabengesicht und seine Regungen verbarg. »Oh, das ist der Stoff für ein wundervolles Märchen und ich hätte es gerne aus deinem Mund gehört und auf dem Bazaar weitererzählt.« Er winkte Sahar mit einer schwachen Handbewegung näher zu sich heran und flüsterte ihm etwas zu, das der weinende Muhar nicht verstehen konnte. Lauter sagte er und deutete auf den Stummen:

»Jetzt lass mich endlich gehen, Mönch! Lass mich. Fliehe diesen Ort. Trage weiter die uralten Geschichten hinaus in die Welt, schenke ihr Träume und Hoffnungen. Sie braucht es, denn das Ende der Welt ist nah und du gehörst zu den wenigen, die es aufhalten können … Und du, mein treuer Muhar, erzähle meinem Enkel nicht, wie sehr ich mich schuldig gemacht habe. Richte ihm nur von mir aus, wie sehr ich ihn liebe und pass weiterhin gut auf ihn auf. Denn all diese Taten habe ich für ihn getan. Schließlich wird er eines Tages … eines Tages …«

[Zum 8. Teil …]

Eine Antwort auf „Der Weg, der in den Tag führt, Teil II: Pardais – 2. Kapitel (7)“

Kommentar verfassen