Samstag, 16.03.19
Ich habe lange mit mir gerungen und fühle mich nun schuldig, aber gestern habe ich es getan:
Ich habe eine meiner Romanfiguren sterben lassen.
Ihr Tod war von langer Hand vorbereitet und musste irgendwann erfolgen, um den Plot voranzubringen. Er zwang mich dazu. Trotzdem fühle ich mich nun leer und auch ein wenig verlassen. Eine Hauptfigur aus einem Buch hinauszuschreiben gehört zu den unangenehmsten Aufgaben, vor denen man als ihr Autor steht. Es ist, als würde man einen Freund verraten. Sicher: Die Figur war von Anfang an darauf angelegt, an einem dramatischen Wendepunkt der Handlung abzutreten, aber wenn man sie über vier-, fünfhundert Seiten auf ihrem Weg durch die Geschichte begleitet hat, tut es einfach nur weh.
Am Anfang war die Figur nur eine leere Hülle, ein Konstrukt, ein Archetypus: Der Held, die Tochter, der Dieb, der Herrscher, die alte Frau. Doch schon im ersten der vielen Kapitel, in denen ich ich meinen Typus handeln ließ, begann er, voller Freude über die Möglichkeit, lebendig zu werden, seine Rolle auszufüllen und entwickelte mir unter der Hand ein durchaus eingenständiges Eigenleben – er erfand sich praktisch selbst. Er ging – auch in der Interaktion mit den anderen Figuren – seinen eigenen, ganz persönlichen Weg; war er zuerst nur ein einzelner, karger und unbehauster Ort, ist er nun am Ende eine ganze Welt. Dadurch entstand eine für mich fast lebende Person, die mir während des Schreibens und in den Phasen des über sie Nachdenkens oft näher war als einige Menschen meines täglichen Umgangs in der “realen” Welt. Ich hatte das Gefühl, diese Figur würde neben mir im Schneidersitz auf einem Teppich sitzen, Gewürztee trinken und mir aufmerksam lauschen, wenn ich von ihr erzählte. Immer wieder würde sie mich mit klugen Anmerkungen unterbrechen, mich auf Irrtümer über sie hinweisen und verlangen, dass ich etwas genauer ausführe und von einem Ereignis berichte, das ich eigentlich nicht erwähnen wollte. Denn wie jeder Autor weiß ich nach den drei Jahren, die mich die Figur begleitet hat, über sie viel, viel mehr, als der Leser im Buch über sie von mir erzählt bekommt. Ich könnte über sie noch einige lange Geschichten schreiben.
Doch nun habe ich sie zwischen den Seiten zurückgelassen und als letzten Abschied diesen Text geschreiben. Ich bin traurig.
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Und nein! Ich werde einen Teufel tun und hier spoilern, welche meiner Figuren über den Jordan gegangen ist. Lest gefälligst meine Bücher!
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Es gibt übrigens gar keinen Teufel, weil der nicht benötigt wird. Die Menschen erledigen seinen Job viel besser, als er das je könnte …