Renovierungsarbeiten

Frau Klammerle ist aus ihrem Winterschlaf erwacht, hat sich den Sand aus den Äuglein gerieben und die Kaffeemaschine rattert und dampft im Dauereinsatz. Missbilligend und verärgert sieht sie sich um und worauf auch immer in unserem Häuslein ihr Blick fällt: Sie entdeckt Unordung, Schmutz, Staub, Liegengebliebenes, Auflösung. Ich kenne dieses Phänomen an ihr; dies ist ihr in diesem Jahr etwas verfrühter FAW (Frühjahrs-Aufräum-Wahn). Gut schwäbische Kehrwochen sind im Haushalt des Schriftstellers angesagt und nichts bleibt, wo es vorher lag. Ein besonderer Dorn im Auge ist Frau Klammerle dabei mein Arbeitszimmer und der schmerzt sie schon seit Jahren. Von hier aus nimmt die schleichende Entropie ihren Ausgang und hier ist das Chaos am gewaltigsten. Freilich hat sie recht. Mir ist es einfach nicht möglich, in diesem kleinen Zimmer – das ich übrigens glücklicherweise von der Steuer absetzen kann – Ordnung zu halten. War es früher einmal pittoresk und meinem Stil und meiner Persönlichkeit entsprechend … nennen wir es mal euphemistisch „barock“, ist es inzwischen nur noch ein vermülltes Loch. In meinem höchstpersönlichen Augiasstall stapeln sich bis zur Decke in den Regalen, den Schreibtischen und selbstverständlich auch auf dem Boden Papiere, Materialien, Stifte, Zeichenutensilien, technische Geräte, Kabel, Bücher, Wanderführer, Rechnungen, uralte Kalender, Notizblöcke, Teetassen, CDs, Floppydiscs (!) und irgendwelcher Mist, den ich irgendwann einmal für irgendwie wichtig erachtet und deshalb aufgehoben habe; dazu kommen Katzenhaare, Abfall und Undefinierbares, das kurz davor ist, lebendig zu werden oder sich bereits bewegt. Dazu ein mehr schlecht als recht funktionierender Fluxkompensator und natürlich auch das Bernsteinzimmer. Ab und an fahre ich zwar verzweifelt mit schwerem Räumgerät durch den Raum, aber mir fehlt der Herkules, der endgültig ausmistet. Mein Arbeitszimmer ist auch der einzige Raum, den wir in den zwanzig Jahren, die wir in dem Haus wohnen, nie renoviert haben und er sieht inzwischen schon arg schäbig und heruntergekommen aus; er braucht dringend frische Farbe an Wänden und Decke.

Ich habe einfach keine Argumente mehr, den anarchischen Ist-Zustand beizubehalten. (1) Ihr wisst ja, dass ich als Mann evolutionär bedingt eine wesentlich größere Unordnungstoleranz als meine Frau besitze und noch dazu in den letzten Jahren recht weitsichtig geworden bin; aber sogar ich sehe es ein: Die kritische Masse ist erreicht. Frau Klammerle hat mich endlich doch noch überredet, dem Chaos ein Ende zu bereiten, bevor sich in meinem Arbeitszimmer Tore in eine Parallelwelt öffnen. In der Faschingswoche – wir sind Augsburger und damit bekennende Fastnachtsmuffel – wird renoviert und aufgeräumt. Wenn wir etwas wirklich wollen, dann können wir es auch erreichen; da sind wir wie Bob the builder. Doch bevor wir meine Arbeitsstätte streichen und komplett neu einrichten (2), muss ich den Raum vorher erst leermachen und das ganz alleine, denn nur ich weiß, was Kunst ist und was weg kann. Wir haben vor kurzem gezwungenermaßen zwei Folgen der Netflix-Aufräumserie mit dieser gespenstischen Japanerin gesehen, die sich zuerst im Lotussitz auf den Boden der Messie-Wohnung hockt und meditiert, um die gequälte Seele des Hauses zu spüren, dann das Entrümpeln in Phasen aufteilt und damit beginnt, dass sie alles in den Müll schmeißt, bei dem sie kein liebevolles Gefühl hat. So werde ich es NICHT machen, denn dann bliebe alles wie es ist … (3)

Doch Übung macht den Meister. Deshalb habe ich im kleinen begonnen und als erstes Projekt meinen Blog renoviert, der ja mein Arbeitszimmer im Internet ist und unter ähnlichem Durcheinander und Übermüllung litt. Er glänzt nun aufgeräumt in frischen Farben und neuer Struktur. Ich habe auch in den Geldbeutel gegriffen, ihm eine neue Adresse verpasst (Nikolaus-Klammer.blog) und ihn werbefrei gemacht. Es ist alles noch nicht ganz fertig – hier und da muss noch etwas nachgefeilt und der Keller entrümpelt werden. Ich weiß nach meinem Zusammenbruch vom letzten Wochenende (4) auch noch nicht, mit welchen neuen Inhalten ich meinen Internetauftritt in der Zukunft füllen will, aber ich bin schon ganz zufrieden mit dem Ergebnis. Ich hoffe, ihr seht das ähnlich.

Kommentare, Lob, aber auch Spott und Kritteleien, Verbesserungsvorschläge und Anmerkungen sind hiermit ausdrücklich erwünscht, erhofft und erbeten!

Und nachdem alles so gut geklappt hat, bin ich nun auch bereit und durchaus willens, die Virtualität zu verlassen und mein Arbeitszimmer im realen Leben in Angriff zu nehmen. Ich werde über die Fortschritte und Rückschläge zeitnah berichten.


(1) „Das brauche ich alles noch!“ – „Zeitverschwendung!“ – „So will ich das!“ – „Das hat alles seinen Ort.“ – „Ich finde immer, was ich suche.“ – „Ordnung ist nur etwas für Kleingeister, das Genie steht über dem Chaos.“ – „Das ist wertvoll!“ – „Ich habe eben nie die anale Phase erreicht.“ – „Das willst du doch nicht wirklich wegschmeißen?“ – „Wer ständig aufräumt, bei dem herrscht die Unordnung im Kopf.“

(2) Hurra, wir fahren endlich mal wieder an einem Samstag zum IKEA und kaufen in dem Gewühl etwas anderes als Teelichter und Pfannenschaber.

(3) … und Frau Klammerle würde wahrscheinlich als erstes mich in den Müll schmeißen.

(4) Merkwürdigerweise ist mein verzweifelter letzter Artikel „Ich lüge mir selbst in die Tasche“ der bislang am häufigsten aufgerufene in diesem Jahr und er hat meine Followerzahl erhöht. Versteh einer dieses Internet.

Was hier wie ein symbolhafter Stinkefinger aussieht, ist die Statistik für den Tag, an dem ich „Ich lüge mir selbst in die Tasche“ veröffentlichte. Wie man sieht, gingen die Zugriffe durch die Decke …

6 thoughts on “Renovierungsarbeiten”

  1. Gefällt mir gut, der neue Look. Auch die Startseite ist fein, der persönliche Begrüßungstext so einladend wie typisch Du 🙂 (Im letzten Absatz ist ein „als“ übrig geblieben von einer anderen Formulierung: „Aber ein Traum ist als ein Arbeitsbericht und Werbung für meine Romane“.) Nur das Header-Bild wirkt für mich jetzt ein wenig unpassend: Das Foto an sich ist gut, sieht aber aus wie schlecht aufgelöst und kriselig, nicht wirklich scharf.
    Ganz liebe Grüße!

  2. Danke dir. Damit kann ich wirklich etwas anfangen. Mit dem Bild (ein Handyfoto) bin ich auch nicht ganz glücklich. Für große Bildschirme ist die Auflösung tatsächlich ungenügend. Wahrscheinlich werde ich mir von Sohn Nr. 2 die gute Digitalkamera ausleihen müssen. Den Fehler habe ich behoben.

    Grüße und nochmals danke für deine Anmerkung.

  3. Nun war ich ja schon ganz aufgeregt, auf deine Seite zu schauen…^^
    Ich muss sagen, die Veränderung ist definitiv eine positive! Es sieht um einiges klarer und strukturierter aus, es ist eindeutiger geworden und ich glaube, es muss nicht mehr so viel Zeit aufgewendet werden, um zu deinen Texten zu gelangen. Was vielleicht eine überlegung wert wäre… ob man in der oberen leiste eine kategorie „blog“ einführt… doch an und für sich findet man es ja gut an der seite
    liebe grüße

  4. Ich freue mich sehr, dass der neue Look dir gefällt. Ich denke, mit ihm kann der Blog sich sehen lassen. Nun muss ich noch überlegen, wie und mit welchen Inhalten ich ihn in Zukunft füllen will. Da rätsele ich noch, denn auch hier muss eine Änderung her.

  5. Was ich so alles finde, während ich mein Arbeitszimmer aufräume … Das sind zwei Beispielseiten aus einem Kinderbuch, das ich vor zwanzig Jahren für meine Söhne gezeichnet und gedichtet habe und das mir zum ersten Mal seit damals wieder in die Hände gefallen ist. Ich schon gespannt, was ich noch alles entdecke. Mein Arbeitszimmer ist wie ein Dungeon in einem Fantasy-Rollenspiel – hinter jeder Ecke lauern Entdeckungen und Gefahren.

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