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Eine andere Art der Liebe – Erzählung (Teil 8)

[Zum 1. Teil]

 

Eine andere Art der Liebe
Eine Erzählung (Teil 8)

Am Heiligen Abend vor zwei Jahren war das gewesen. Er erinnerte sich gut. Es wurde viel ge­trunken. Claras damals schon recht wirre Mutter war bereits in die Christmette gegangen, Henry machte mit seiner Familie Skiurlaub im Tannheimer Tal. Nur Norberts Eltern waren also noch zu Besuch, sein Vater von Punsch und Sekt bereits be­trunken. Das Gesicht des alten Herren glühte. Szczesny ging mit ihm in den Keller, um eine besondere Flasche Rotwein zu holen. Er hielt seinen Vater am Arm gefasst, denn der Pensionär hatte bereits Schwierigkeiten beim Treppensteigen. Vater und Sohn hatten sich noch nie verstanden, aber die Zeit hatte eine Gewöh­nung, besser gesagt, einen Waffenstillstand, geboren. Szczesny mochte ihn auf eine unbestimmte Weise schon, sei­nen Vater, der bereits seit Stunden vom Krieg redete. Im Keller angelangt, nahm ihn der Alte an der Schulter und zog ihn herum, umarmte ihn. Szczesny roch die Fahne und die körperliche Nähe war ihm sehr unangenehm.

„Sag mal, wollt ihr denn kein Kind?“, fragte der Va­ter. Szczesny kannte den Wunsch. Aber sein Vater hatte ihn noch nie so deutlich ausgesprochen. Der Alkohol sprach aus ihm und die Sentimentalität an Weihnachten. Szczesny legte sich ein paar Ausreden zurecht.

„Ach, weißt du. Momentan wollen wir noch kein Kind. So lange ich keine bessere Position in der Fir­ma habe, können wir uns auch keinen Nachwuchs leisten. Clara verdient in der Galerie viel zu wenig.“ Szczesny dachte an seinen Vorgesetzten Kerner. Dieser unfä­hige Mann hielt seinen Posten fest in seinen Hän­den. Nur über dessen “Leiche” würde er es nach oben schaffen.

„Das ist doch eine Ausrede, Norbert! Die Zeiten waren nie besser. Und früher hatten die Leute auch Kinder. Meinst du, für uns war es in den Sechzigern einfacher? Wir hatten auch wenig Geld …“

„Glaub mir, wir wollen schon ein Kind …“, beharrte Szczesny und fühlte sich als schlechter Lügner durchschaut. Sein Vater schob sich näher an ihn heran, drückte sich nun ganz eng an seinen Sohn. Szczesny befürchtete, er würde ihn jetzt streicheln.

„Weißt du, Enkelkinder wären schön, schau …“, der Alte verstummte, zwinkerte ihm zu, „das wäre die größte Freude, die du mir und Mutter noch machen könntest. Ein Enkelchen.“

„Du bekommst eines, wenn wir es uns leisten kön­nen“, erwiderte der gute Sohn. Sein Vater gab sich zum Glück damit zufrieden und zu Szczesnys Erleichterung endete der unangenehm private und peinlich intime Moment zwischen ihnen. Aber ihn ihm selbst wühlte es nun; er hing an dem Angelhaken, den sein Vater ausgeworfen hatte. Er dachte kopfschüttelnd an seine Frau, die noch lange nicht schwanger werden und auch noch kein Kind wollte, weil es ihr absolut nicht in ihren großen Plan passte, eine berühmte Autorin zu werden.

Noch am gleichen Abend hatte das Ehepaar deswegen seinen ersten Streit. Clara verwahrte sich fast hysterisch gegen die Vorstellung, ein Kind in die Welt zu set­zen, nur um Norberts Eltern eine Freude zu machen. Sie wolle Schriftstellerin werden und kein Haus­mütterchen! Nachdem sie wutentbrannt das Zimmer verlassen und die Tür laut hinter sich zugeschlagen hatte, saß Szczesny still vor den niedergebrannten Kerzen des Adventskranzes und wunderte sich. Wor­um stritt er? Schließlich war er ja der gleichen Mei­nung wie seine Frau.

Nach einem Jahr verdiente Szczesny mehr und Cla­ra gab sich ganz plötzlich geschlagen. Es war während der Zeit, kurz nachdem ihr Buch im Welkenbaumverlag veröffentlicht worden war und sie ihre fünf Minuten Prominenz genossen hatte. Das Laven­delbett. Was war das für ein strunzdummer Titel! Aber der Roman verkaufte sich für ein Erstlingswerk hervorragend. Clara wirkte auf ihren Mann wie ein müde gekämpfter Krieger, der schließlich seine Waffen vor der Übermacht streckt. Sie gab auf und setzte die Pille ab. Doch sie wurde nicht schwanger. Es war Szczes­nys Vater, der der darauf beharrte, Clara solle sich doch einmal untersuchen lassen. Eine unfruchtbare Frau sei nur eine halbe Frau, bemerkte er abfällig. Clara ging nur zum Arzt, um dem Gerede ein Ende zu setzen. Die Unter­suchung zeigte, dass sie organisch völlig gesund war und jederzeit ein Kind empfangen und austragen konnte. Henry, der die Erniedrigung seiner Schwes­ter sehr wohl gespürt hatte, nahm Szczesny an dem Abend ihres Wettsaufens beiseite: „Willst du dich nicht auch mal untersuchen lassen?“, hatte er den Finger gezielt in die offene Wunde gelegt.

„Willst du liegenbleiben?“, fragt die Hure und reißt Szczesny aus seinen trüben Gedanken. Sie zieht sich erstaunlich schnell an.

„Ich habe unten an der Rezeption für eine Stunde bezahlt“, erklärt er müde und ärgert sich. Die Frau nickt gleichgültig, sieht noch einmal in ihrer Handtasche nach dem Geld.

„War nett mit dir. Also, auf ein andermal …“, sagt sie, zögert kurz. Doch dann fällt die Tür fällt kaum hörbar ins Schloss. Ich bin allein, denkt Szczesny. „Ich war die ganze Zeit allein“, sagt er laut. Jetzt weint er doch.

Claras Herzschlag beschleunigte sich, aber sie trat be­tont gleichgültig mit den beiden Cappuccinos in der Hand zurück zum Küchentisch, stellte die Tassen ab und holte zu­erst noch braunen Zucker, zwei Löffel und die Keks­dose mit den selbstgebackenen Amarettini. Erst dann nahm Clara die Pappschachtel in die Hand, die ihr ihre Freundin für sie vom Einkauf mitgebracht hatte, wog sie für einen Moment unschlüssig. Dann griff Clara hinter sich und ließ die Schachtel in einer Schublade der Vitrine hinter ihr verschwinden. Sehr entschieden schob sie die klemmende Schublade zu­rück und sie hätte sie wohl verschlossen, wenn sie die Möglichkeit dazu gehabt hatte. Dann holte sie aus dem Wohnbereich ihren Geldbeutel. Gitta beobach­tete sie neugierig, aber stumm und tauchte ihren Löffel in den mit Zimt überpuderten Schaum in ih­rer Kaffeetasse.

„Wie viel kriegst du?“, fragte Clara mit geschäfts­mäßigem Ton. Gitta fasste in die Tasche ihrer Jeans und erwischte schon auf den dritten Versuch den richtigen Kassenzettel.

„Sechs, neunundvierzig“, las sie den kleingedruck­ten Betrag ab. Sie musste sich dazu zum Licht beu­gen. Gitta sah auf. „Warum können die nie glatte Beträge verlangen? Mein Portemonnaie ist durch die ganzen Messing- und Kupfermünzen so voll, dass es wirkt, als habe es Blähungen …“ Sie zögerte, aber Clara reagier­te nicht. „Ich gehe schon ganz schief, wenn ich es in der Tasche habe.“
Clara zuckte mit den Schultern und reichte ihrer Freundin einen Zehn-Mark-Schein. „Da, der Rest ist fürs Bringen.“

„So werde ich mein Kleingeld aber nie los“, protes­tierte Gitta, aber sie schob den Schein gehorsam in ihre Hosentasche.

Dann saßen die beiden Frauen am Esstisch, rühr­ten in ihren Getränken und schwiegen. Clara über­legte, wie sie es am Besten anstellte, ihre Nachbarin aus der Wohnung zu komplimentieren, ohne sie zu beleidigen. Sie wollte sehen, was ihr Lektor ge­schrieben hatte und dann diese andere dumme Sache hin­ter sich bringen. Vielleicht würde es ihr auch noch gelingen, ein paar Sätze von ihrem neuen Roman zu tippen. Sie spukten schon die ganze Zeit in ihrem Hinterkopf und sie hoffte, sie würde sie nicht verges­sen, bis sie die Gelegenheit fand, sie niederzuschrei­ben. Da war das mit dem Bergsteiger und dem Mi­nutenzeiger und …

„Schau mich an: Ich bin der Grashalm und glitzere noch von den kühlen Tropfen, die die Winde der Nacht auf mich tränten. Ich beugte mich vor seiner Gewalt und überlebte. Der Sturm ist weiter gezogen, hat sich zur sanften Brise erschöpft. Und ich richtete mich wieder auf. Stolz und …“, repetierte sie in Gedanken. Hier fehlte ein Wort und das ganze Gleichnis hinkte, knirschte, war schleppend. Gab es das nicht auch schon viel besser formuliert? Wie war das noch in diesem Gedicht von Bert Brecht, das mit dem Baum Griehn? Sie hatte einmal gelesen, dass man erst tausend Bücher lesen müsse, bevor man selbst eines schrei­ben dürfe. Das Gegenteil ist der Fall, dachte sie. Je mehr sie las, um so schwerer fiel ihr das Schreiben. Vergli­chen mit dem, was es schon gab, war ihr Zeug ein­fach … schlecht. Da hatte sie sich nun endlich den Freiraum erkämpft, ihre Literatur zu machen und sich ihren Lebenstraum zu erfüllen. Alles hatte sie darauf ausgerichtet. Die Ehe, das kleine Reihenhaus im Weichbild der Stadt. Sie musste nicht mehr arbeiten gehen, Norbert war befördert worden und verdiente das Geld, das sie brauchten allein. Er hatte ihr sogar ein kleines Schreibzimmer eingerichtet und die Engelsgeduld gehabt, der vollkommenen Anfängerin den Umgang mit PC und WORD zu erklären.

[Zum 9. Teil …]

 

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