Ein Interview mit mir selbst über mich

Über das Schreiben

Was für ein eisiger, abweisender und grauer Sonntagmorgen! Das ist genau die richtige Gelegenheit, mit mir selbst ein Interview zu führen und ein wenig Rechenschaft abzulegen.

Schreibst du deinen Roman „Dr. Geltsamers erinnerte Memoiren“ eigentlich chronologisch?

Nein. Im Moment arbeite ich gleichzeitig an 3 Teilen. Eigentlich ist der Geltsamer auch keine Trilogie in fünf (oder sechs) Bänden, sondern ein einziger, sehr dicker Roman. Der 4. Teil, ich hier gerade häppchenweise veröffentliche, ist schon recht fortgeschritten. Ich schleife ihn gerade in seine endgültige Fassung und hoffe, dass mir der eine oder andere Leser bei der Fehlersuche helfen wird. Ich will mich hier noch einmal bei denen bedanken, die sich dieser Mühe unterziehen und mir persönlich, per E-Mail  oder Kommentar Hinweise zukommen lassen. Dieses Feedback ist selten, aber für mich ungeheuer wertvoll und wichtig und fließt immer in meine Texte ein. Wenn man so will, schreibe ich den Roman nicht allein, sondern zusammen mit meinen Lesern.

Daneben arbeite ich bereist an Band 5 und dem Prequel, das in der Hauptsache in der Goethezeit spielt. Teile dieses letzten Teils sind übrigens aus dramaturgischen Gründen nach vorne ins 3. Buch gewandert.  Das letzte Kapitel sind noch nicht geschrieben. Vom Prequel existieren nur Skizzen. Da wartet in diesem und in den kommenen zwei Jahren einige Arbeit auf mich. Ich will die Geltsamer-Reihe nämlich 2020, bzw. 2021 abschließen.

Hast du einen Plan für diese Romane? Weißt du, wie das Ganze endet?

Ich glaube nicht, dass sich ein Roman ohne genaue Vorplanung schreiben lässt. Noch dazu ein so komplexer wie dieser, der manchmal innerhalb eines Satzes von einer Realität in eine andere wechselt oder von einer Zeitebene zu einer anderen springt. Ich weiß aber sehr genau, was ich erzählen und was ich verschweigen will; was in den einzelnen Kapiteln passiert und wie die Verhältnisse der handelnden Personen zueinander sind. Ich habe von den Hauptfiguren Steckbriefe und Lebensläufe angefertigt und in meinem Arbeitszimmer hängt ein großer Übersichtsplan. Als Autor weiß ich aber mehr von meinen Figuren, als der Leser in dem Buch erfahren wird.

Hältst du dich immer an deinen Plan?

Ich versuche, den Leser zu überraschen, nicht mich selbst – obwohl das manchmal auch geschieht. Trotzdem hänge ich nicht sklavisch am Plan. Ich ändere mich und damit auch der Plot. Manchmal drängen sich Nebenfiguren nach vorn und werden – während ich sie schreibe – dominanter; verlangen ihr Recht auf ihre eigene Geschichte. Das passiert mir immer wieder. Es hat eine Zwangsläufigkeit, der ich mich als Autor beugen muss. Ich entwickle nur die Figuren und das Umfeld und sehe dann mehr oder weniger zu, wie sie ein eigenständiges Leben beginnen. Karl-Heinz Welkenbaum aus dem 3. Buch ist ein Beispiel dafür: Er schrie förmlich danach, von mir mit mehr Aufmerksamkeit bedacht zu werden. Er ist eine der farbigen Gestalten des Romans, der ich einfach mehr Platz einräumen musste. Der Schweizer Professor aus dem 1. Buch ist auch so ein Fall. Der Nikolaus Klammer des Buches selbst ist eine fade, farblose Figur; er ist kein Held, sondern ein Getriebener, dessen Weltbild auseinandergenommen wird. Umso bunter müssen die Menschen sein, mit denen ich ihn konfrontiere. Welkenbaum, Marini und die Helden der Bücher in den Büchern sind so vielschichtig und farbenfroh, dass ich ihnen gegen meinen ursprünglichen Plan wesentlich mehr Platz gewidmet habe. Dadurch wurde die Geschichte aber viel länger.

Und das Ende? Löst sich dann alles auf?

Wie gesagt habe ich nicht vor, alles zu erzählen, was ich über meine Figuren weiß. Eine Geschichte hat immer mehrere Seiten. Je nachdem, von welcher Seite man sie betrachtet, ergibt sich ein anderes Bild. Eine einzige Wahrheit, eine einzige richtige Deutung der Geschehnisse gibt es nicht. Der Leser soll seine eigene finden. Aber ich verspreche, dass der Roman einen zufriedenstellenden Abschluss finden und jede Geschichte zuende erzählt wird.

Warum geht es so langsam voran? Auch gutmütige Leser könnten es irgendwann leid sein, jahrelang auf das Ende zu warten.

Das hat viele Gründe. Ein paar sind äußeren Umständen (Brotberuf, Familie) geschuldet, die meisten jedoch bei mir selbst zu finden. Es ist richtig, ich arbeite am Geltsamer schon mehrere Jahre lang – die ersten Anfänge liegen im Jahr 2014 – und man kann durchaus den Eindruck gewinnen, es ginge kaum voran. Ich habe den Blog auch gegründet, um mich selbst zu regelmäßiger Arbeit an meinen Werken zu zwingen und mir Rechenschaft über ihr Fortschreiten abzulegen. Das mache ich öffentlich, weil ich den Druck einer Leserschaft wollte. Nun, das hat nicht ganz geklappt. Zum einen konnte ich im Internet nicht wirklich Interesse an meiner Literatur erwecken, zum anderen drängen sich auch andere Projekte von mir nach vorne.

Ein kleiner, neugieriger Blick in mein Notizbuch …

Dass es so lange dauert, ist auch meiner Arbeitsweise geschuldet. Meine Texte entstehen zuerst als Manuskript, werden dann von mir abgetippt und erst mehrmals überarbeitet, bis sie in den Blog gelangen. Die Fassung, die dann dort zu finden ist, ist noch lange nicht die endgültige, sondern nur eine Art Rohfassung, an der noch weiter gefeilt und geschliffen wird. Dann lasse ich ein Probe-Exemplar binden und gebe es meinen Freuden zur Korrektur. Schließlich gebe ich es frei und ärgere mich, dass noch immer 1000 Fehler darin zu finden sind. Vielleicht liegt es daran, dass manche Leser die Sprache des Romans als überkompliziert und altmodisch empfinden. Vielleicht sind die Gründe auch in meinen manchmal etwas abwegigen Lektüren zu suchen, die ich speziell auch wegen des Geltsamers auswähle.

Ist es nicht schwierig für einen Leser, komplexe Texte oder Romane wie den Geltsamer häppchenweise im Internet zu lesen?

Ich würde sogar sagen, es ist eine Zumutung. Ganz ehrlich: Ich mache es auch nicht; ich lese selten bis nie die Texte anderer Blogger. Zudem weiß man, dass am Bildschirm gelesene Texte wesentlich oberflächlicher aufgenommen werden als gedruckte, Fehler viel häufiger übersehen wären. Wie das bei E-Book-Readern ist, weiß ich nicht. Aber aus eigener Erfahrung würde ich vermuten, die aktuellen Geräte kommen dem Leseerlebnis, das man mit einem Buch hat, doch recht nah. Wer einmal einen 1000-Seiten-Wälzer auf einem Reader gelesen hat, wird um die Vorteile wissen, wenn ihm dieser schmale Bildschirm beim Einschlafen auf die Nase fällt und ihn nicht das analoge Buch erschlägt.

Es wäre jedoch sinnlos, längere Texte hier auf dem Blog in einem Stück zu posten. Also habe ich mich für homöopathische Dosen von 1200 – 1500 Wörtern entschieden – das sind ungefähr fünf normale Taschenbuchseiten. Ich sehe jedoch an den Zugriffen, dass mein Angebot kaum angenommen wird; offenbar überfordere ich potentielle Leser oder schrecke sie ab. Die über fünfzig Fortsetzungen von „Die Wahrheit über Jürgen“ – das sind 200 Buchseiten hat hier z. B. überhaupt niemand gelesen – das Buch verkauft sich auch nicht. Ich hätte vermutlich mehr Leser, wenn ich die Texte – anstatt sie im Internet zu posten – ausdrucken und daheim an meine Garagentür kleben würde.

Was geschieht mit den Texten, nachdem sie auf dem Blog erschienen sind?

Die Texte, die ich gepostet habe, sind nicht fertig. Ich lasse sie nicht einfach im Archiv verrotten. Ich überarbeite sie regelmäßig, verbessere Fehler, schreibe sie fort. Das gilt nicht nur für die Belletristik, sondern auch für die Glossen und Essays. Für mich ist der Blog eine Art von erweitertem Notizblock, machmal auch von einem Tagebuch.

Ich habe nicht vor, meine Texe und Romane einem Verlag anzubieten. Denn ich bin mir sehr wohl bewusst, dass dies vollkommen sinnlose Zeitverschwendung ist. Es mag zwar für meine Art von Literatur ein kleines Publikum geben, aber die Chance, jemals einen Verlag für sie zu finden, ist gleich Null. Ich bin eigentlich ganz froh, dass ich von meiner Kunst nicht leben muss, sondern einem Brotberuf nachgehe, in dem ich mir meine Zeit recht gut selbst einteilen kann. Wenn ich glaube, dass ein Text vorzeigbar ist, veröffentliche ich ihn als Selfpublisher. Auf diese Weise sind in den letzten drei Jahren 8 Bücher entstanden; in diesem Jahr sollen – wenn alles nach Plan geht – 3 bis 4 weitere folgen. Als nächstes wird im März Noch einmal daran gedacht erscheinen, ein Essayband mit Texten aus diesem Blog.

Das sind die Bücher, an denen ich in diesem Jahr arbeite (und sie vielleicht auch veröffentliche) …

Ich weiß, ich wiederhole mich: Zu versuchen, in Deutschland als freier Autor zu leben, ist die sicherste Art, zu verhungern – vielleicht nicht die schnellste, aber doch die sicherste. Zudem ist mir bewusst, dass die Texte, die hier erschienen sind oder von mir schon als gedrucktes Buch vorleigen, von keinem Verlag mehr angefasst werden. Ich verschenke mich also; allerdings wird dieses Geschenk meist abgelehnt.

Das klingt bitter.

Manchmal habe ich meine Phasen. Momente, in denen ich mich frage, warum nicht mehr Menschen meine Texte lesen; ob das an mir oder an der Qualität meiner Literatur liegt. Aber ich habe mich mit meiner Erfolglosigkeit längst arrangiert. Aus den Träumen meiner Jugend bin ich aufgewacht.

Worum geht es im „Geltsamer“ genau?

Ich will hier nicht auf die Handlung eingehen. Ich mag es nicht, wenn mir in einer Besprechung bereits die halbe Geschichte verraten wird. Ich hasse Spoiler und ich nehme an, es geht anderen ebenso. Meist sind mir schon die Texte auf den Buchumschlägen zu detailliert. Ich mache außerdem auf diesem Blog häufig Anmerkungen zu dem Roman und zu meiner, um es mal hochgestochen auszudrücken, „Literaturtheorie“.

Ganz allgemein geht es mir darum: Die Wand zwischen dem, was ich alltäglich sehe, fühle und denke, jener Welt, die ich als „Realität“ begreife, und dem Irrsinn: Sie ist dünn wie Papier. Es genügt ein Schritt zur Seite, ein Straucheln, ein Stolpern: All das, all die Dinge, die ich für sicher hielt, die mir in meinem Leben Halt gaben, existieren dann nicht mehr. Sie sind ein Traum, in dem ich jetzt noch lebe, den ich aber nach dem Erwachen vergessen werde. Ich bilde mir ein, dass mein Dasein beständig und festgefügt ist, Kontinuität besitzt. Das ist ein Irrtum. Der Nikolaus Klammer, der ich gestern war, hat mit dem, der ich heute bin und dem, der ich morgen sein werde, nur wenig zu tun. Und der literarische, erfundene, existiert zwischen diesen Ebenen. „Gestern“ und „Morgen“ sind nur Fantasiegebilde, die keine Existenz haben; Konventionen, an die ich glaube, um weitermachen zu können. Tatsächlich aber kann ich mir nicht einmal sicher sein, ob die Dinge, an die ich mich erinnere, auch vorgefallen sind. Vielleicht habe ich sie nur geträumt.

Wenn ich also sehe, wie viele Fallstricke es gibt und auf welch wackligem Boden ich meinem Alltag nachgehe, wie schnell ein Unfall, eine Krankheit, ein Tod oder auch nur das Verhalten eines einzelnen Menschen mein Leben komplett aus der Bahn bringen können, finde ich es ganz erstaunlich, dass die meisten Leute „normal“ funktionieren und nicht in ihre eigenen hermetischen Welten abtauchen und dabei den Verstand verlieren. Das Internet bietet übrigens eine Vielzahl solcher Welten an, die neben der „Realität“ existieren. Freilich biegt sich jeder seine Wahrnehmung so zurecht, wie er sie braucht und jedes Augenpaar hat einen vollkommen anderen Blick auf die Dinge, manchmal so fundamental anders, dass es außer Hass keine Gemeinsamkeiten. Meine Literatur will auch eine Brücke zwischen den Individuen schaffen.

So ein Interview mit mir selbst ist zwar ein bisschen schizophren, aber eine feine Sache: Ich stelle mir nur die Fragen, die ich auch beantworten will. Trotzdem: Wenn eine von euch verirrten Seelen, die dort draußen im endlosen Kosmos des Internets herumschwirrt und durch Zufall auf meine Seite gekommen ist, etwas anderes von mir wissen will: Frage ruhig, ich will hier gerne alles beantworten. 

[Wird fortgesetzt …]

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