»Es knistert«, stellte Parma begeistert fest, »hörst du das? Ich liebe das Geräusch und das kitzlige Gefühl in den Fingerspitzen. Das ist Elektrizität, weißt du, Spannung.« Selbstzufrieden beugte er sich etwas vor und hob die Hand, um auch Theresa am Haar zu berühren. Jetzt, dachte ich, jetzt! Jetzt gibt sie ihm eine klatschende Ohrfeige. Ich freute mich. Aber sie rückte nur etwas mit dem Kopf zurück und ein Mundwinkel zog sich angewidert nach unten. Sie wiederholte sehr leise ihre Frage. Parma nickte ernst und ernüchtert und legte seine nutzlose Hand auf den Tisch. »Es tut mir leid, aber der ganze Text war unmöglich. Schlechter Stil, fehlende Prägnanz, kein logischer Aufbau, nichtssagende Ausführungen. Das ist die Kurzfassung, im Detail lässt sich noch viel Schlimmeres sagen«, kanzelte er selbstzufrieden das Werk von Nix wie einen schlechten Schüleraufsatz ab. Obwohl es mir gut tat, dass Jonas auch einmal von einer anderen Seite Ablehnung erfahren musste, konnte ich Parma auf keinen Fall recht geben. Er kochte schließlich auch nur mit fadem Wasser.
»Waren denn auch Rechtschreibfehler drin?«, fragte ich ironisch, aber er überhörte gelassen meinen Einwand. Seine Hand rutschte zur Tischkante, ihr Ziel schien Theresas Knie zu sein, von dem ihn nur mehr ein Fingerbreit trennte. »Hat er dir denn den vollständigen Text gegeben? Auch den zweiten Teil?«, hakte ich interessiert nach. Parma nickte abgelenkt, mit seiner Annäherung beschäftigt. »Hast du ihn vielleicht noch?«, beharrte ich und hoffte, endlich einen Blick auf den gesamten Text werfen zu können. Aber ich wurde enttäuscht:
»Nein. Nix bestand darauf, den Text mitzunehmen, als er ging.« Parma zögerte eine Sekunde, die hohe Stirn runzelnd. »Er war nicht gerade gut gelaunt, muss ich sagen.«
»Wie spät war es denn, als ihr euch getrennt habt? Weißt du, was Jürgen danach machen wollte?« erkundigte sich Theresa.
»Oh, es war längst nach ein Uhr, als ich es aufgab, weiter mit ihm zu disputieren. Es war auch sinnlos. Er hat ein paar wirklich unfreundliche Sachen gesagt. Ich hätte ihm etwas mehr Professionalität zugetraut. Mehr weiß ich nicht. Ist denn etwas passiert?« Jetzt legte er tatsächlich doch noch seine Hand auf den Schenkel des Mädchens; die Geste sollte beruhigend und teilnahmsvoll aussehen, doch so empfand sie wohl niemand. Parmas Freundin kniff zornig die Augen zusammen. Theresa sah kurz auf und ich schöpfte wieder die Hoffnung, dass sie ihm die Todesgöttin jetzt etwas antun würde. Aber sie erhob sich lässig, wobei sie seine Hand wie eine lästige Fliege abstreifte. Ich bewunderte sie. Sie brachte es durch diese Geste fertig, dass Parma das Blut ins Gesicht schoss. Ich war in der Versuchung, ihr einen Szenenapplaus zu geben.
»Kommst Du?«, wandte sie sich an mich und vollendete ruhig ihren beeindruckenden Abgang. Ich folgte ihr lächelnd und zog mit Genuss die Tür von Parmas Wohnung, die sie für mich offen gelassen hatte, hinter mir zu. Ich hörte noch, wie in der Küche hinter mir eine Frauenstimme laut wurde. Bereits am ersten Treppenabsatz war es mit Theresas Majestät vorbei. Sie setzt sich auf die unterste Stufe und barg das Gesicht in den Händen. Ich setzte mich neben sie, um sie zu trösten, denn ich glaubte, sie würde weinen. Aber es war ein lautloses Gelächter, das sie erschütterte.
»Dieser Kerl ist ja ein Arschloch, ich kann es nicht fassen …« Sie machte eine kopfschüttelnde Pause, in der ich ihr meine vollkommene Zustimmung gab. »Was machen wir jetzt?«, fragte sie und sah mich erwartungsvoll an. Leider hatte ich kein As versteckt, das ich aus dem Ärmel holen konnte. Ich zuckte mit den Schultern und neigte hilflos den Kopf.
»Ich weiß nicht genau. Wie denkst du? Jürgen hatte mit Parma Streit und fühlte sich mit Sicherheit von ihm ungerecht behandelt. Ich habe es ja schon selbst einmal erlebt, wie er dann ist. Du hast mir auch erzählt, dass er in solchen Situationen überreagiert und mit sich und der Welt in Krieg gerät. Vielleicht hat er sich ja inzwischen beruhigt und ist wieder daheim«, mutmaßte ich, ohne selbst daran zu glauben. Aber Theresa nahm meine halbherzig beruhigenden Worte ernst. Sie schlug sich mit beiden Händen laut auf die Oberschenkel und stand auf.
»Also gut, fahren wir in seine Wohnung …« Jetzt war es an mir, das Gesicht verzweifelt in die Hände zu stützen.
»Würde es dich stören, wenn ich laufe?«, fragte ich leise. Sie sah nur unfreundlich zu mir herab. Nun, aller guten und wahrscheinlich auch aller schlechten Dinge sind bekanntlich drei. Ich ergab mich in mein Schicksal und erlebte noch eine weitere mörderische Autofahrt. Theresa parkte in der Stephansgasse direkt hinter einem breiten, dunkelblauen Mercedes ein, dessen Kofferraumtür offenstand und in dem einige kleinformatige Leinwände lagen. Ich hätte mich nicht weiter um den Wagen gekümmert, wenn mich nicht Theresa beim Aussteigen auf ihn aufmerksam gemacht hätte.
»Sieh mal«, sagte sie in einem undefinierbaren, aber sicher nicht freundlichen Tonfall, »das ist Onkel Arnos Dienstwagen.« Sie trat an den Stauraum heran und hob eine Leinwand in die Höhe. »Hier, das ist ein ganz neues Bild von Jürgen«, stellte sie erstaunt fest und reichte mir das kleine Gemälde. Ein Mann kniete in einer Kirche und hielt seine Hände betend um sein riesiges Geschlechtsteil gefaltet, an dem er hingebungsvoll saugte. Ich erschrak über die Bösartigkeit und Genauigkeit, mit der Nix diese surreale Szene dargestellt hatte. Aber auch dieses Bild war nicht sonderlich originell, mir fielen sofort ähnliche von Baselitz oder Bacon ein. Theresa hielt eine weitere Leinwand in der Hand und untersuchte oberflächlich die zehn, zwölf anderen, die in dem offenen Kofferraum lagerten. »Die sind alle von ihm. Was geht hier vor?« Sie schien offensichtlich mal wieder eine Antwort von mir zu wollen, denn sie sah mich erwartungsvoll an. Ich legte das Gemälde zurück zu den anderen.
»Vielleicht bringt Pauli die Bilder zu der Ausstellung«, mutmaßte ich.
»Die sind längst in München. Schließlich ist heute Abend schon die Eröffnung. Nein, ich glaube nicht, dass Jürgen weiß, was sein Onkel hier treibt. Nun, sehen wir mal nach …« Sie behielt ein Bild in der Hand, als sie vor mir in das Haus ging. Während sie die Haustür aufsperrte, erhaschte ich einen Blick darauf. Es war ein in plastischen Schattierungen gehaltener Rötelstift-Akt von Theresa, ein wunderbares Bild in der Manier der großen Meister, soweit ich das in der Kürze beurteilen konnte. Offensichtlich wollte sie diesen Akt nicht in Paulis Händen lassen. Sie eilte so schnell und leichtfüßig die Stufen hinauf, dass ich ihr nur schwer folgen konnte und endlich völlig außer Atem vor der Dachwohnung von Nix ankam. Die Tür war nur angelehnt und mir fiel zuerst auf, dass das dämliche Messingschild mit dem Kunstmaler verschwunden war. Wie bei Parma befand sich überhaupt kein Name mehr an der Tür. Theresa hielt sich nicht auf, sie stieß grob die Tür mit dem Fuß zur Seite und rief nach Pauli. Geschäftig kam jener ohne Verzögerung aus einem der zahlreichen Zimmer zu uns in den Flur. Ein unangenehmer, muffiger Geruch begleitete ihn. Er erkannte die Freundin von Nix und setzte sein unverbindliches Politikerlächeln auf. Eilig umarmte er Theresa und küsste sie flink auf beide Backen, bevor sie zurückweichen konnte. Der Ekel war ihr trotzdem ins Gesicht geschrieben. Dann gab er mir abgelenkt die Hand. Das tat er alles, ohne den Blick von dem Gemälde zu lassen, das Theresa gerade zur Seite stellte.
Ich kam zum ersten Mal so nah an den Kulturreferenten heran und musterte ihn neugierig. Er war ein ganzes Stück kleiner, als ich ihn in der Erinnerung hatte. Bislang hatte ich ihn immer auf irgendwelchen Podien oder an Rednerpulten gesehen, zuletzt bei seiner langweiligen Rede bei der Weissensteiner-Lesung. Da hatte er den Eindruck eines zwar gut genährten, aber eben auch hochgewachsenen Mannes gemacht. Jetzt sah ich: Der Politiker war kaum größer als Theresa und ich überragte ihn um einen Kopf. Obwohl er keinen so schön gemeißelten, edlen Schädel wie Nix hatte, war er trotz seiner feisten Schweinsaugen nicht hässlich. Er machte sich hervorragend auf den Wahlplakaten der CSU. Er trug einen hellen, aber zurückhaltenden, selbstverständlich maßgeschneiderten Anzug, der nirgends spannte. Die Hommage an sein Referat war eine breite, farbenfrohe Fliege, die jedoch keineswegs lächerlich wirkte. Eilig nahm er eine kleine, ovale Brille mit dünnem Messinggestell aus seiner Jackentasche und setzte sie umständlich auf, dann stellte er sich in Positur, als wolle er eine bedeutende Rede beginnen.
[Zum 33. Teil …]