Nikolaus Klammer Caféhausgespräche,Experimente,Humor,Literatur,meine weiteren Werke,Schauspiel,Theaterstück Antilopen – Ein Theaterstück (1. Akt – Szenen 1 – 3)

Antilopen – Ein Theaterstück (1. Akt – Szenen 1 – 3)

Antilopen

Personen: Bernd und Anton, zwei junge Männer * Gitte und Steffi, zwei junge Frauen * Kellnerin

Erster Akt: Ein Café in der Innenstadt

Zwischenspiel

Zweiter Akt: Antons Wohnzimmer

ERSTER AKT.

ERSTE SZENE.

Das Lokal ist mit kleinen Tischen eingerichtet, um die jeweils vier Stühle stehen. Seitlich verstauben ein paar vertrocknete Pflanzen, der Thekenbereich ist vom Publikum nicht einsehbar. An der Wand hängen numerierte Hobbymalerbilder. Im Hintergrund läuft eine CD mit schnulzigen Oldies (hey saint peter, a whiter shade of pale, nights in white satin, sailin’ etc.)

Bernd und Anton kommen zögernd von links, brauchen eine Weile, um einen Platz zu finden.

Bernd sieht sich um. Manchmal denke ich, man sollte statt der Bilder die Maler aufhängen.

Anton lehnt sich zurück Ich sitze.

Bernd Verstehe dich nicht. Red lauter.

Anton Weißt. Ist eh alles blond. Die Leute und so. Das ist alles Mist. Ich bin auch blond. Nicht in echt, klar. Als ob ich verstehe. Verstehst du? Nein, du hast gerade gesagt. Egal. Kleine Pause. Ich rede auch nur. Die Luft muss in Bewegung bleiben. Was sagt man, wenn man nichts. Absolut nichts. Ich wiederhole. Egal. Mein Vater sammelt Pornohefte. Heimlich. Klar. Ich habe sie ihm früher geklaut. Weißt du, ich kann mir nichts Geiles im Kopf vorstellen. Da ist alles schwarz. Ich muss es sehen, sonst kommt es mir nicht. Meine Mutter hat mich erwischt und gemeint, die Hefte hätte ich mir vom Taschengeld geleistet. Er war fein raus, der Vater. Hat sich nie beklagt.

Bernd Tragisch.

Anton Ich wusste auch nie, was ich mit den. Unterm Bett ein Stapel. War blond. Zur Kellnerin, die schon eine Weile wartend neben ihm steht. Kaffee.

Bernd Das Selbe mit Milch.

Anton Wie geht’s?, fragte er und lachte. Lacht.

Bernd Verwirrt über die plötzliche Frage sah er sich hilfesuchend um. Sieht sich hilfesuchend um. Dann sagte er: Ich lebe. Das ist verdammt viel. Mehr, als ich erwarten kann.

Anton Geschwätz.

Bernd Er ist entrüstet. Sagt. Tiefere Gedanken waren dir schon immer ein Greuel. Wie schaffst du es? Viele halten dich für klug.

Anton Mimikri. Perfekte Anpassung. Fällt nicht weiter auf. Ehrlich, mein IQ unter neunzig. Aber immer eine auswendig gelernte Antwort auf den Lippen, die zwar wahllos fällt. Die Trefferquote ist hoch. Danke, Wahrscheinlichkeitsrechung. Meist ist es richtig. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Bernd Tust du noch etwas anderes, als dich über mich lustig machen? Ich meine irgend etwas Menschliches?

Anton Ich kann unglaublich gut scheißen.

Bernd Du bist ordinär. Bäh! Wenn du ordinär bist, bist du einfallslos.

Anton Ich bin nicht ordinär. Wie schreibt man das? Meine Verdauung ist einfach klasse. Sie ist in Ordnung. Ich versuche. Das beschäftigt mich eben. Jetzt kenn ich mich. Ordinär, ha! Erhaben. Separat vom Normalen. Heilig.

Bernd Erzähle. Anton schweigt. Okay. Ich versteh schon. Dann eben ich. Eine klare Antwort kann ich mir geben. Zwei Sätze bilden einen klaren Sinn. Heute war ein harter Tag. Obwohl ich nicht in der Uni war. Trotzdem. So ein Haushalt macht eben viel Arbeit. Ich möchte wissen, wann ich lernen soll. Ich habe heute für 40 eingekauft. Der Kühlschrank ist voll. Ob das reicht? Heute ist Donnerstag. Das Wochenende lang. Und weit. Ich habe Brot, Käse und Butter. Und Schokolade! Gespannte Pause, aber Anton reagiert nicht. Die war billig. Im Sonderangebot. Egal, was sie kaufen. Sie liegen immer richtig. Sie können gar nicht falsch. Greifen sie zu. Occassion. Einmalige Rabatte. Ich bin so drin im Kreislauf. Fühl mich wohl. Kaufe Schokolade. Du, ich mag Schokolade gern. Mit Nüssen. Sie ist wie Regen im Winter, wenn du weißt, was ich meine. Lyrik, halt Schokolade. Das Wort drückt alles aus. Ich werde das ganze Wochenende Schokolade essen.

Anton Ich habe erst gestern.

Bernd Ich freue mich auf das Wochenende. Aber heute ist erst Donnerstag.

Anton Onaniert.

Bernd Dein Thema Nummer Eins.

Anton Thema Zwei. Zuerst kommt meine Verdauung.

Bernd Bei mir die Frauen. Noch vor Schokolade. Sind die süß.

Anton Sag. Was ist das? Frauen? Manchmal frag ich mich. Nicht nötig. Meine Mutter war ein Mann. Die Kellnerin bringt die Getränke, klopft Anton auf die Schulter.

Kellnerin Wie geht´s?

Anton Die Scheibenwischanlage war kaputt.

Bernd Was?

Anton Die falsche Antwort, Entschuldigung. Manchmal habe ich die falsche Antwort auf der Zunge. Es ist ein Kreuz mit der Stochastik. Kellnerin ab.

Bernd  Du bist schon ein selten blöder Hund, behauptete er.

Anton Ich hätte noch einmal eine falsche Antwort, antwortete er trocken.

ZWEITE SZENE.

Zwei Mädchen kommen von links. Sie halten sich zu Anfang an den Händen, sehen sich suchend um und setzen sich dann an einen leeren Tisch neben dem der Jungen. Sie setzen sich so, dass sie Bernd und Anton im Auge behalten können. Vieles von dem, was sie sagen, scheinen sie an den Nebentisch zu richten.

Steffi Mir ist langweilig.

Gitte Wem nicht?

Steffi Mir ist buchstabiert l-a-n-g-w-e-i-l-i-g.

Gitte Gehen wir doch zu mir. Noch ist nichts bestellt. Ich habe eine CD von Cohen, eine neue. Immer wenn ich Cohen höre, kriege ich eine miese Stimmung. Dann ist mir Weltschmerz, dann bin ich geknickt, traurig. Nur wer die großen Gefühle kennt, kann die kleinen genießen. Ich mag das. Und so viel mehr. Ich lache gerne. Ich bin erwachsen und. Du hast recht. Langweilig. Das bin ich. Kurze Pause. Ich bin rothaarig. Rotblond eigentlich. Ist dir das schon aufgefallen? Das ist in. Ich brauche mir die Haare nicht zu färben. Mach ich eh nicht gern. Das macht die Haare kaputt. Und dann muss ich mir die Spitzen schneiden lassen. Ich hasse das. Als ich das letzte Mal war. Ich denke mir anschließend, da stimmt was nicht. Ich nehme ein Lineal. Messe vom Scheitel nach. Drei Zentimeter! Sauerei. Mein Gott, was fällt denen ein! Entstellt. Links zu kurz. Die erlauben sich alles. Dafür zahl ich. Kurze Pause. Ich habe beim ersten Mal geblutet wie ein Schwein. Wir mußten die Laken waschen, damit es meine Eltern nicht merkten. Kochwäsche, neunzig Grad. Alles ist eingelaufen, aber der Fleck in der Matratze blieb. Ging nicht raus. Meine Mutti hat nichts gesagt. Der Andi ist nett. Ein Freund von mir. Immer noch. Manchmal treffe ich ihn.

Steffi Mir ist langweilig. L-a-n-g-w-e-i-l-i-g.

Gitte Sprich doch die Jungs da an. Schauen eh dauernd her. Ach so, heute ist Donnerstag, nicht? Schon klar, aber man kann Ausnahmen machen. Ich rufe daheim an. Die verstehen das. Meine Mutti sagt nichts. Dann probiere ich es mit den Jungs. Oder lieber vorher. Und dann anrufen. Falls es nichts wird. Was meinst du?

Steffi Langweilig.

Gitte Ja. Findest du? Ich bin schwer in Ordnung. Viele mögen das, wie ich bin. Mein Gesicht ist auch in Ordnung, irgendwie. Nicht. Die Nase. Ja, die wirkt. Komm, ich habe Erfolg. Ich bin rotblond. Das kommt an.

Steffi lall-langweill-lall- langwie? Lang-weilig.

Gitte Mein Problem sind die Hüften. Die könnten. Ein bisschen weniger wäre. Du weißt. Die Hüften. Die habe ich von Mutti, was soll ich machen? Die sind so hässlich. Was soll ich tun? Ich mag meine Hüften nicht. Sie sind dick.

Steffi ja. Sie sieht auf.

Gitte Richtig dick.

Steffi Ja.

Gitte ordinär.

Anton dazwischen Was heißt eigentlich ordinär?

Steffi Ja.

Gitte fett.

Steffi Ja.

Gitte widerlich.

Steffi Ja.

Gitte Geil!

Steffi schreit Ja!

Gitte Nicht so laut. Braucht nicht jeder zu wissen.

Steffi Ich liebe dich. Sie streicht Gitte über das Haar.

Gitte Ich weiß. Fettig, nicht? Ich muss es ständig waschen. Aber trotzdem. Nach nur einer Stunde. Fettig! Wie meine Hüften.

Steffi lang, lang, lang. langweilig.

DRITTE SZENE.

 Bernd tritt an den Tisch der Mädchen.

Bernd Dir ist langweilig.

Gitte Setz dich doch.

Anton ruft herüber. Ich sitze.

Bernd Achtet nicht auf den. Der spinnt. Der ist blond.

Anton Ich höre zu.

Steffi Ja.

Gitte Ich bin heute gut drauf. Setz dich doch. Ich heiße Gitte.

Bernd Und du?

Steffi I-Gitte. Ja. Undu.

Bernd Bernd. Was ist dein Sternzeichen? Setzt sich.

Gitte Ich bin Widder. Mein Horoskop für diese Woche: Ich habe mich in den vergangenen Monaten so überanstrengt, dass gesundheitliche Störungen nicht ausbleiben können. Nur mit eiserner Disziplin und einer Umstellung meiner Lebensweise komme ich wieder auf die Beine. In der Partnerschaft setze ich alles auf eine Karte und mache aus meinen Gefühlen kein Geheimnis. Im Beruf bleibt die Woche ohne Probleme.

Bernd Und du?

Steffi Ich bin Antilope. Undubernd.

Anton Ich bin Antilope. Setzt sich nun ebenfalls an den Tisch der Mädchen. Antilope ist ein gutes Sternzeichen. Das Beste.

Gitte Du willst mich doch verarschen.

Bernd Ich will leben. Das ist das Einzige, was ich will. Das ist schwieriger, als man glaubt.

Gitte Erzähl.

Steffi Mir ist langweilig.

Anton Das Gegenteil von langweilig ist kurzgehig. Lacht. Das ist grotesk. Aber ein schönes Wort: kurzgehig. Mir ist kurzgehig. Gehst du auch kurz? Die unerträgliche Kurzgehe.

Bernd gleichzeitig. Ich will Leben. Nicht zum Bund oder so, nicht Geld verdienen, den Scheißkram, heiraten. So ein Mist, das ist blond. Das alles. Davon habe ich genug. das ist so kompliziert. Leben ist viel einfacher, viel besser. Denke ich.

Gitte Bist du ein Künstler?

Bernd Ja. Anton lacht schallend.

Gitte Und du?

Anton Ich züchte Joghurtkulturen.

Steffi Ja. Undann.

Anton Und dann verkaufe ich sie.

Steffi langw…

Anton Sehr. That’s life.

Gitte zu Bernd Du bist nett. So ruhig und seltsam. Magst du Cohen?

Bernd Ich sage ja, weil ich will, dass du nett bist. Aber eigentlich finde ich ihn zum Kotzen.

Gitte Das ist es, was mir an ihm gefällt.

Kellnerin tritt an den Tisch. Sitzt ihr jetzt hier?

Anton Ich sitze.

Bernd Witze werden nicht besser, wenn man sie oft wiederholt.

Kellnerin Soll ich noch etwas bringen?

Steffi Salomes Kopf.

Kellnerin Was ist mit euch los? Spinnt ihr?

Anton Quatsch. Anmache. Kellnerin nickt wissend, ab.

Bernd Erst gestern habe ich einen alten Dokumentarfilm über den Ingeborg-Bachmann-Preis gesehen. Klagenfurt. Da komme ich auch mal hin. War alles echt. Die armen Autoren, die. Verstehst du? Eine harmlose Geschichte. Gutgläubig. Dann kommt der Verriss. Von diesem fetten Kerl. Wie heißt er gleich? Schrecklich. Ich hätte mir nicht die Stirn aufgeschnitten, ich hätte den Kerl vergewaltigt.

Gitte Tragisch. Was sagst du eigentlich?

Anton Ich bin inzwischen so weit, daß ich zufrieden onanieren kann. Wenn ich jetzt mit einer Frau schlafe, habe ich immer das Gefühl, ich würde jemanden betrügen. Als ob ich mit einer festen Freundin zusammen wäre.

Gitte Du liebst dich zu sehr.

Steffi interessiert. Wie ist das?

Bernd Bitte. Sei still. Das muss doch nicht.

Anton zu Steffi. Ich meine, er ist nicht groß, eher mittel, ach, eigentlich genau richtig für mich. Ich lange ihn gerne an. Das ist ein gutes Gefühl. Fähig. Total. Ich erlebe den Orgasmus auch intensiver allein. Das ist ehrlich wild. Total.

Bernd Halt doch dein Maul.

Steffi zu Bernd. Undu bist langweilig. Ich mag ich nicht.

Anton Verstehst du? Klar, verstehst. Das ist einfach wilder. Ehrlicher. Es gab mal. Es war. Einmal. Machmal. Es ist eben gut. Aber dazu muss ich Pornohefte kaufen. Ohne ist es zum Kotzen.

Gitte Möchtest du gerne zuschauen?

Anton Nein, das ist es nicht. Ich muss allein sein. Und ich brauche die glänzenden, geruchsfreien Fotos. Stille. Die brauche ich. Bewegungslosigkeit. Zur Konzentration. Die dürfen sich nicht bewegen. Ich darf mich nicht ablenken. Durch Geräusche. Licht. Schlimm.

Steffi Wann hast du dich zuletzt betrogen?

Bernd Interessiert euch das? Ehrlich? Ich finde es nur zum Kotzen. Darüber spricht man doch nicht. Hinlegen und kotzen. Aber immer noch besser, als wenn er von seiner Verdauung spricht. Steht auf. Entschuldigt mich. Ich hab nen Termin.

Gitte steht ebenfalls auf. Wir haben den gleichen Weg.

Bernd verwirrt. Ich muss bloß aufs Klo.

Gitte hakt sich bei ihm unter. Ein Stück weit. Ich geh nicht gern allein.

Anton zu Bernd. Wenn du nicht ständig schlucken würdest, liefe dir der Speichel aus den Mundwinkeln.

Bernd Depp, blonder!

Bernd und Gitte gehen ab. Schweigen.

[Zum nächsten Teil —>]

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