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Die Wahrheit über Jürgen – Ein Künstlerroman (Teil 31)

[Zum ersten Teil]

Schließlich brach ich mit Theresa zur Vorsitzenden des BBKs auf und ich war mehr als erleichtert, als wir end­lich vor dem Haus, in dem sie wohnte, stopp­ten. Denn Jonas’ Freundin sah nicht nur aus wie die germanische Todesgöttin, sie fuhr auch Auto wie die­se. Einmal rettete sich ein Radfahrer nur mit einem todesmutigen Schlenker auf den Bürgersteig davor, unter ihre Räder zu kom­men. Ich weiß nicht, ob sie immer so fuhr, oder es ihrer Gemütsverfassung zu­zuschreiben war. Es war nicht die MBB, die uns nach hartnäckigem Klin­geln öffnete, sondern ihr verschlafener Mann Christo­pher Bach, ein Jazz-Musiker, der, nur mit bunten Boxershorts bekleidet, mich durch seine kränkliche Ma­gerkeit überraschte, die ich zum ers­ten Mal in aller Häss­lichkeit vor die Augen bekam. Er musste sein einziges Kleidungsstück festhalten, damit es nicht an ihm herab­rutschte. Es ist wirklich erstaunlich, wie ein so unbedeu­tender und zerbrech­licher Mann wie er zu so einer fet­ten, aufge­schwemmten und dominanten Frau kam und ich hatte die vage Ahnung, er würde beim Liebesakt eines Tages unter ihren wogenden Massen ersticken. Er war nicht böse, dass wir ihn aus dem Bett geholt hatten. Tat­sächlich hat­te ich noch nie erlebt, dass er über etwas oder je­manden böse war. Er bedauerte wirklich, uns nicht helfen zu können. MBB sei bereits seit Stunden in ihrem Studio, da sie mit­ten in der Nacht die Inspiration gepackt hätte. Er selbst wäre leider an dem Abend, an dem sie sich mit Nix getroffen habe, mit seiner Combo in Memmingen gewe­sen und er wisse von nichts. Sie würden sich nie über ihre Arbeit beim BBK unterhalten.

Theresa wollte sofort zu Parma, doch da ich die Be­gegnung mit ihm und die lange Autofahrt zu seiner Woh­nung noch etwas vor mir herschieben wollte, machte ich den Vorschlag, zuerst zu dem Studio von MBB zu lau­fen, das ganz in der Nähe war. Dort, in einer alten, ausgedienten Werkzeughalle der MAN, fanden wir sie auch, wie sie gerade, durch ihre Atemmaske und eine Plastik­haube auf den Haaren einem Marsmenschen nicht unähnlich, in Henry Moores Nachfolge an einer schön geformten, bauchig-glatten Steinskulptur ar­beitete. Ich kann den Verdacht nicht ablegen, dass sie ihren Körper ebenfalls als Kunst­objekt betrach­tete und ihn durch die Einnahme von Nahrung in die richtige Form zu bringen versuchte. Ich weiß nicht genau, weshalb das so war, aber sie freu­te sich wie jedes Mal, wenn sie mich sah, außer­ordentlich und war nicht böse, als wir sie bei der Arbeit un­terbrachen. In ihrer Geschwätzigkeit stand sie Ander­naj kaum nach; im Gegensatz zu dem Säu­fer wusste sie sich aber klug und gewandt in Szene zu setzen und es war ein Vergnügen, ihren profun­den und intelligenten Er­güssen zu lauschen. Sie wusste leider ebenfalls nicht, wo sich Nix aufhielt. Er hatte sie am Donnerstagabend ge­gen acht Uhr be­sucht und war mit ihr die Inhalte ih­rer Rede durch­gegangen. Sie hatte sich nämlich dazu bereit erklärt, die Ausstellung von Nix‘ Bildern in der Gale­rie Nasolt & Habek am heutigen Abend zu eröff­nen. Danach hätten die beiden noch bis gegen halb elf Uhr fachgesimpelt.

»Es war ein erfreulicher Abend. Wir haben uns glänzend verstanden«, führte MBB aus. Mehr könne sie uns zu ihrem Bedauern nicht sagen. Das half uns nicht weiter. Ich hatte also in den sauren Apfel zu beißen und musste mit The­resa meinen Erzfeind Emilio aufzusuchen. Während der zweiten aben­teuerlichen Autofahrt mit ihr ent­schied ich mich, den Heimweg zu Fuß anzutreten, falls ich bis dahin noch lebte. Vielleicht sollte ich doch einmal daran denken, den Führerschein zu ma­chen.

Emilio Parma hatte an seiner Wohnungstür keinen Na­men zu stehen, weil er, wie er behauptete, unge­stört ar­beiten und sich nicht an die Behaglichkeit seiner sehr leeren Wohnung gewöhnen wolle. Seine Persönlichkeit benötige keinen Ausdruck durch eine in irgendeiner Form geartete Einrichtung. Ein Heim sei nichts weiter als eine Einbildung, es vermittle einem nur das trügerische Gefühl einer Geborgenheit, die in unserem Universum jedoch nicht existiere. Man mer­ke das nur allzu deutlich an der Unsicherheit von Men­schen, die umzögen. Er wolle diese Wohnung jederzeit ohne Bedauern hinter sich lassen können, die Brücken hinter der Schimäre Eigentum abbrechen, da er wie Sar­tre erkannt habe, dass er sich nur selbst besäße. Dieses pseudo-exis­tenzialistische Geschwätz war nicht ernst zu neh­men, da er bereits seit über zehn Jahren in jener bil­ligen Sozialwohnung hauste und bei Frauen, die ihm ge­fielen, unter anderen auch bei meiner Freundin, sehr großzügig mit seiner Adresse umging. Er hat sie sich deshalb auf Visitenkarten drucken lassen, auf denen die Berufsbezeichnung Performance- und Lebenskünstler stand.

Wir hatten Glück: Parma war zu Hause und er hat­te beste Laune. Er war gerade mit seiner Freitag­abend-Eroberung, die nur mit seidener Unterwäsche und einem Morgenmantel bekleidet war, beim Brun­chen und lud uns sofort großzügig ein, mitzuessen. Ich wollte trotz meines leeren Magens aus Prinzip ablehnen, mit einem Feind zu frühstücken, aber Theresa hatte noch immer Hunger. Es war ein Ver­gnügen, ihr beim Essen zuzuse­hen. Wenn es um Nahrungsaufnahme ging, war sie hemmungslos, vergaß ihre ursprünglichen Anliegen und sämtliche Regeln des Anstands. Parma war anzu­merken, dass ihm solch ein Heißhunger noch nicht untergekomm­en war und wahrscheinlich bedauerte er be­reits sei­ne leichtfertige Einladung. Aber er ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und er­zählte uns ausführlich, wie er am Morgen ei­nen Ku­gelschreiber weggeschmissen habe, weil ihm aufgefal­len war, dass er diesen bereits seit drei Jah­ren besaß und er noch immer gut funktioniere. (Der Kugelschreiber, ver­steht sich!) Das sei ihm unheim­lich gewesen und er habe Angst bekommen, der Stift könnte ihn überleben. Er hasse Dinge wie diesen Kugelschreiber, sie würden sein Leben in vorbe­stimmte Bahnen zwängen. Deshalb habe er sich von ihm befreit. Er würde jetzt nur noch mit Bleistiften schreiben. Emilio sah beifallheischend zu uns, aber nur seine neue Freundin, die seine Exaltiert­heiten noch nicht so gut kannte wie ich, lachte etwas ge­quält. Theresa und ich beschäftigten uns mit unseren Sem­meln und dachten uns unseren Teil. Nach einer Wei­le entschloss ich mich, das Gespräch in Gang zu bringen und fragte statt der kauenden Theresa nach dem Verbleib von Nix.

»Wenn das der Grund für euren Besuch ist, muss ich euch enttäuschen«, sagte Parma und er klang in der Tat bedauernd. Schauspielern konnte er wahr­scheinlich am besten. Er fuhr fort, er habe sich um elf Uhr nachts mit Nix in einem Lokal in der Innenstadt ge­troffen, wo sie sich über den Artikel unterhalten hät­ten, den Metropolis, sei­ne Stadtzeitschrift, bei ihm in Auftrag gegeben habe, als Parma selbst dort noch nicht kultureller Mitarbeiter ge­wesen sei. Der Auf­satz über die Kunst hätte eigentlich bereits in der August- oder Septemberausgabe erschei­nen sollen, so habe man es Nix auch zugesagt. Doch jetzt habe eben er, Parma, das Heft in der Hand und er könne, nachdem er den Aufsatz sorgfältig studiert habe, nicht verantworten, dass unter seiner redaktionellen Mitarbeit solch ein exhibitionistischer Text in der Me­tropolis erscheinen könne. Er habe Donnerstagnacht versucht, diesen Sachverhalt Nix so schonend wie möglich beizu­bringen. Doch der war, wie sich Parma ausdrückte, sehr uneinsichtig und: „… Nix entblödete sich doch tatsächlich, trotz­dem auf einem vollständigen Honorar zu bestehen. Ist das zu glauben? Da­bei hätte er doch froh sein können, dass er den Vor­schuss behalten durfte, den ihm mein Vorgänger leichtsinnigerweise gegeben hat.“

Theresa warf den kümmerlichen Rest einer Käse­semmel vor sich auf den Teller und fixierte Parma scharf. Ich kannte diesen Blick bereits an ihr, er ver­hieß Gefahr. Sie kochte auf kleiner Flamme. »Was war denn an dem Essay auszusetzen?«, fragte sie gefährlich ruhig. Parma ging nicht auf die Frage ein. Er fuhr stattdessen seiner Freundin, die ver­schämt lächelte, mit gespreizten Fingern langsam durch das blonde, dauergewellte Haar.

[Fortsetzung nach der Sommerpause …]

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