Die Wahrheit über Jürgen – Ein Künstlerroman (Teil 30)

[Zum ersten Teil]

Parmas Erfolg begründet sich aber nicht nur in sei­ner Fä­higkeit, zu jedem noch so abwegigen Thema et­was sagen zu können, das, falsch oder nicht, doch zu­mindest höchst intelligent klingt, son­dern auch in sei­nem Publikum, das er gefunden hat­ und wie eine übereifrige Pro­stituierte umschmeichelt. Das sind Frauen um die Fünfzig, die alle dem begüterten Bil­dungsbürgertum angehö­ren. Sie sind meist Lehrerinnen, auffallend oft Apothekerinnen und besitzen einen kleinen Laden; andere sind gut mit Ärzten, Rechtsanwälten, Lokalpolitikern und Autohändlern verheiratet. Allen gemeinsam ist, dass sie ge­langweilt Abwechslung in den aufregend unange­passten Gefilden der Kunst suchen und sie fin­den sie ausge­rechnet bei Parma. Gierig hängen sie an den Worten des eitlen, muskulösen und großgewachse­nen Man­nes, dem zwar zu seinem Leidwesen die Haare, nicht aber die Worte und die schmachtenden Gesten aus­gehen, mit denen er diese Frauen zu spätklimakterischen Hitzewallungen treibt. Sein ranziger, südlicher Charme, sein paradoxer und aufdringlicher Snobismus und der Hauch des vorgeblich Genia­len, mit dem sich der Hochstapler geschickt um­gibt, sind so er­folgreich, dass sich kaum jemand ernsthaft die Mühe macht, nachzuforschen, ob die Lehrinhalte seiner Semi­nare sinnvoll, oder – diese Meinung habe ich – ein bo­denloses, zum Himmel stinkendes Gebräu aus Un­sinn, dreisten Verdrehungen oder einfach nur fre­chen und angeberischen Lügen sind. Obwohl es mir unbegreiflich ist, wie er diese Positi­on bei der VHS überhaupt erreicht hat, klammert er sich verbissen an ihr fest und ist dort inzwischen unang­reifbar.

Er ist zudem der glatteste und schmierigste, da­bei bösartigste Kulturvampir der Stadt, der zur Mehrung seines Ruhmes die Begabungen junger Künstler aus­nutzt, um sie dann ausgesaugt und leer wieder fallen zu lassen. Kürzlich hatte er seine klebrigen Finger nach dem neuen Stadtmagazin Metropolis, das ja im Gegen­satz zu Werners Heft ein wenig Niveau hatte, ausge­streckt. Er teilte sich dort mit zwei weiteren Angebern den Rang des Chefre­dakteurs, schrieb egomanisch ge­sucht Zynisches über das, was er für den Zeitgeist hielt und hatte si­cher im Hinterkopf das Ziel, sich zum regio­nalen Kulturpapst aufzuschwingen, zum Fritz Raddatz der Provinz. Außerdem war er zumindest teilweise daran schuld, dass ich mir vor einiger Zeit einen komplizierten Bruch des rech­ten Beins zugezogen hatte. Beim Wetter­wechsel schmerz­t es noch immer. Das ist jedoch eine andere Geschichte, die ich ihm dennoch nicht verzeihen kann. (1)


Ja, ich hasse ihn und hoffte, dass er Favelkas Wut nicht entgeht, wenn der sich eines hoffentlich nicht mehr all­zu fernen Tages endlich dazu aufrafft, den Ku­gelschreiber gegen einen Revolver einzutauschen und ein paar offene Rechnungen erledigt!

»Kannst du mir die Telefonnummer von den beiden ge­ben?«, erkundigte sich Theresa, während ich noch die Er­wähnung von Parma verdaute.

»Bist du ganz sicher, ob du tatsächlich weißt, wie spät es ist?«, fragte ich zurück. »Du schaffst dir keine neuen Freunde, wenn du diese beiden auch noch aus dem Schlaf reißt. Ich mache dir einen anderen, vernünfti­geren Vorschlag: Wir gehen morgen früh zu einer menschlichen Zeit ge­meinsam zur MBB und meinet­wegen auch zu diesem Parma und suchen deinen Freund, falls er bis dahin nicht wieder von selbst auftauchen sollte.« Ich machte eine Pause und lauschte eine Weile ihrem drü­ckenden Schweigen. Schließlich sah ich mich genötigt, mich ein wenig ge­nauer zu erklären: »Ich würde mir an deiner Stelle nicht so große Sor­gen um Jonas machen. Du hast mir selbst erzählt, wie seltsam er manchmal ist. Wie du weißt, hatte ich in der Zwischenzeit mehrmals die leidvolle Gelegenheit, mich davon zu überzeugen. Mich sollte nicht wundern, wenn er nach einem Gespräch mit diesem Idioten Parma in eine Depression verfallen ist und er deshalb wütend durch die Kneipen zog und jetzt bei jemandem sei­nen Rausch ausschläft«, versuchte ich Theresa zu beruhigen. Ich denke nicht, dass mir das gelang. In unser beider Hinterkopf spukte auch noch eine wei­tere plausible Erklärung für sein Verschwinden, über die Theresa jedoch aus verständlichen Gründen nicht sprechen wollte: Nämlich jene, dass Nix eine andere Frau kennengelernt hatte und seine Freundin gera­de betrog. Mir fiel die Wirtin vom Annapam ein, mit der er ja auf ei­ner sehr intimen Ebene verkehrt hat­te. Das war wahr­scheinlich auch der wahre Grund, aus dem seine Freun­din nicht bei der Mutter von Jo­nas anrufen wollte. Sie wollte sich vor ihr nicht lä­cherlich machen.

Theresa ging jedenfalls nach wenig Zögern auf meinen Vor­schlag ein und wir verabredeten, dass sie mich am Morgen ge­gen neun Uhr mit ihrem Auto abholen sollte. Nur zögernd beendete sie unser Telefonat. Ich war nach dem Gespräch viel zu wach, um gleich wieder ins Bett zu gehen. Leider wollte Christine, die längst wieder eingeschlafen war, nichts davon wissen, jetzt gemeinsam mit mir einen Kaffee zu trinken, den Kühlschrank zu plündern und über die seltsamen Ver­strickungen meines Schicksals mit dem von Nix zu philo­sophieren. So verbrachte ich den Rest der Nacht in der Küche und machte eine Filz­stiftstudie von meinem bes­ten Freund, der Kaffee­maschine. Das war eine Zeich­nung, die mir hervor­ragend gelang und die ich später tatsächlich für ei­nen guten Preis an den Hersteller des Gerätes ver­kaufen konnte. Ein cleveres Bürschchen in dessen Werbeabteilung kam nämlich auf die Idee, noch bei anderen Malern Kaf­feemaschinenbilder zu bestellen und aus ihnen eine Pla­katserie zu machen. Diese Zeichnung ist das bisher ein­zige Bild von mir, das kurzfristig über Lit­fass-Säulen in ganz Deutschland Verbreitung gefun­den hat und wahrscheinlich jeder kennt. Obwohl sich meine Freunde nachhaltig dar­über lustig machten, weiß ich, dass in ihrer Heiter­keit auch eine Portion Neid mit­schwang. Ich genoss es, in allen Haushaltswa­renabteilungen der Kaufhäuser für eine Weile auf die Re­produktionen einer Zeichnung von mir zu stoßen.

Früh am nächsten Morgen – ich war gerade bei der Ra­sur; es war noch ein ganze Stunde vor unserer Verabredung – stand Theresa bereits ungeduldig und nervös vor meiner Wohnungstür. Sie hatte noch immer nichts von Nix ge­hört. Es war ihr anzumerken, dass sie, so wie ich auch, den Rest der Nacht nicht geschlafen hatte. Ihr wächsern bleiches Gesicht, die schwarze Kleidung und ihr etwas verwischtes, dunkles Makeup verstärkten diesen Ein­druck noch. Trotz­dem wirkte sie fiebrig.  Nix hatte sie in einem Inter­view als seine düstere Hel bezeichnet, fiel mir ein. Das war ein jetzt passender Name. Als ich ihr öffne­te, hatte ich sofort das Verlangen, das Mädchen in den Arm zu nehmen und zu trösten. Wenn es mir mit ihrem un­nachahmlichen, verschreckten Blick in die Augen sah, hätte es alles von mir verlangen können: Ich war wie Knetmasse in den Händen dieser dunklen Schönheit wie aus einem Vampirroman.

Ich führte Theresa in die Küche und überredete sie zu ei­nem Frühstück. Ich machte ihr begreiflich, dass man an einem Samstag vor neun Uhr unmög­lich bei der MBB auftauchen konnte, ohne es sich für immer mit ihr zu verscherzen. Obwohl ich erwar­tet hatte, sie würde höchstens eine Tasse schwarzen Kaffees akzeptieren, langte sie aber, während ich mich zu Ende rasierte, kräf­tig zu und machte auf meine Kaffeemaschinenzeich­nung, die ich auf dem Küchentisch vergessen hatte und nicht rechtzeitig in Sicherheit brachte, mehrere große Fettflecke. Diese Beschmutzungen allerdings, wie ich bei nüchterner Betrachtung feststellte, gaben dem Gan­zen jedoch den Pfiff, der ihm bislang noch gefehlt hatte. The­resa war wirklich die perfekte Muse. Allein ihre An­wesenheit schuf Kunst.

Ich führte Theresa in die Küche und überredete sie zu ei­nem Frühstück. Ich machte ihr begreiflich, man könne an einem Samstag vor neun Uhr unmög­lich bei der MBB auftauchen, ohne es sich für immer mit ihr zu verscherzen. Obwohl ich erwar­tet hatte, Theresa würde höchstens eine Tasse vom schwarzen Kaffees akzeptieren, langte sie, während ich mich zu Ende rasierte, kräf­tig zu und machte auf meine Kaffeemaschinenzeich­nung, die ich auf dem Küchentisch vergessen hatte und nicht rechtzeitig in Sicherheit brachte, mehrere große Fettflecke. Diese Beschmutzungen allerdings – wie ich bei nüchterner Betrachtung feststellte -, gaben dem Gan­zen jedoch den Pfiff, der ihm bislang noch gefehlt hatte. The­resa war wirklich die perfekte Muse. Allein ihre An­wesenheit und ihre von einer Butterbrezel fettigen schufen Kunst. Irgendwann tauchte auch mürrisch und verschla­fen Christine auf. Ich weiß nicht, ob sie die echte Theresa mit der Zeichnung in Verbindung brachte, die ich ein­mal unabsichtlich von ihr gemacht hatte. Aber sie zog sich, ohne eine Erklärung dafür zu ver­langen, warum eine ihr unbekannte Frau unseren Kühlschrank leerte, ins Bad zurück. Ich liebe sie für die Ruhe, mit der sie über solche Vorkommnisse hin­weggeht.

[Zum 31. Teil]


(2) siehe: „Die Lichtung“, Erzählung. Enthalten in „Jahrmarkt in der Stadt, Band 1: „Kleine Lichter“.

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