Die gute alte Inspiration

… sie stellt sich bei mir in der Hauptsache beim Wandern ein. Ich habe erst kürzlich erzählt, wie meine Texte Schritt für Schritt entstehen und sich aus den handschriftlichen Notizen (1) in Computerdateien, dann in Blogeinträge und schließlich in Bücher verwandeln. Doch das ist ja „nur“ das Handwerk, das jedoch 90 %, manchmal sogar 99 % meiner Arbeit ausmacht. Dann ist da noch die Idee, die Inspiration, die Entwicklung des Plots. Die Geschichte existiert meist schon vollkommen in meinem Kopf, bevor ich sie – manchmal erst nach Jahren – aufs Papier bringe. Während des Schreibens verändert sich oft noch etwas; es gibt in meinen Büchern Figuren, die ein mir manchmal unheimliches Eigenleben entwickeln und mehr Raum oder eine Entwicklung einfordern, durch die sich meine ursprüngliche Geschichte verändert. Zwischendurch benötige ich immer wieder einmal Pausen, um das Ganze zu überdenken und die Fäden neu zu spinnen. Dann gehe ich in den Bergen wandern und der Blog ruht mal wieder. Letzte Woche war ich von Oberstaufen aus in der Nagelfluh (2) unterwegs und habe außer einem ordentlichen Muskelkater und einem Sonnenbrand auf der Nase viele neue Ideen mitgebracht.

Je höher es hinauf geht, ja schweißtreibender der Anstieg und je ausgedehnter die Tour ist, umso befreiter atme ich durch und um so klarer werden meine Gedanken. Meine Kunst entsteht also hier oben auf den Gipfeln und vielleicht ist sie auch deswegen etwas abgehoben. Manchmal merkt man ihr das auch an:

Wanderer – Kurzgeschichte

Was das Schönste an einer Bergwanderung ist? Das Gipfelerlebnis? Die Einkehr in einer Alpe? Die Erhabenheit der Natur? Das Körpergefühl beim Laufen? Der Gesundheitsaspekt? Ganz ehrlich: Das höchste Glücksgefühl stellt sich in dem Moment ein, in dem ich nach der Tour meine schweren Bergstiefel öffne, die dampfenden Socken von den müden Füßen ziehe und die Zehen bewege. (3)


(1) Habe ich hier eigentlich schon mal erzählt, dass ich die „Deutsche Einheitskurzschrift“ nach dem Herren Franz X. Gabelsberger beherrsche und durchaus in der Lage bin, eine Rede oder ein Telefonat als Stenogramm mitzuschreiben? Ich hatte die Stenografie mal in grauer Vorzeit in der Schule als Unterrichtsfach, aber abgrundtief gehasst und mich ihr komplett verweigert. Später während meiner Ausbildung zu meinem Brotberuf war ich dann doch noch gezwungen, sie zu erlernen (1a). Steno ist eine bittere Speise, so schwer zu erlernen wie eine Fremdsprache und gleich wieder vergessen, wenn man es nicht täglich übt. Zudem ist es heute eigentlich überflüssig und so anachronistisch wie eine Telefonzelle oder ein Versroman. – Aber cool ist es schon irgendwie …

(1a) Wie dichtet doch der Herr Geheimrat in seinem Torquato Tasso so schön: „So zwingt das Leben uns, zu scheinen, ja zu sein, wie jene, die wir kühn und blind verachten konnten.“(1b)

(1b) Und nun habe ich endlich einmal wie mein Freund David Foster Wallace in einer Fußnote eine weitere eröffnet.

(2) Für die Nicht-Bergwanderer (den anderen erzähle ich nichts Neues): Die sogenannte Nagelfluh ist eine Bergkette, die über zwanzig Kilometer lang ist und von Immenstadt bis nach Hittisau im Bregenzer Wald reicht und eine herrliche Gratwanderung ermöglicht, die jedoch auch recht anstrengend ist. Ihre höchste Erhebung ist der Hochgrat mit 1834 m. Zwischen den sechzehn Gipfeln muss man aber immer wieder 300 oder 400 Höhenmeter steil absteigen und sie anschließend wieder aufsteigen. Vom ersten Berg, dem „Mittag“, bis zum letzten, dem „Hohen Hochhäderich“ ist man zwei Tage unterwegs. Die Nagelfluh ist übrigens eine geologische Besonderheit und besteht aus bröckligem Konglomeratgestein, das vom Aussehen her an Waschbetonplatten erinnert.

(3) Das hat jetzt allerdings mehr mit Transpiration als mit Inspiration zu tun.

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