Ja, er ist’s oder Frau Klammerles Frühling

Der phänologische Kalender kennt drei Stufen des Frühlings; den sogenannten Vorfrühling, wenn die Haseln und Schneeglöckchen blühen, den Erstfrühling, in dem die Forsythien gelb erstrahlen und die Obstbäume ihre Knospen öffnen und endlich den Vollfrühling, in dem das Laub an den Bäumen erscheint und die Kastanien gierig ihre Kerzen in den Himmel recken. Im Gegensatz zum bescheuerten Mondkalender (–> siehe hier: https://nikolaus-klammer.blog/2014/12/27/bock-des-monats-dezember/) und anderem weltanschaulichem Unfug stimmt der phänologische immer und der Gärtner kann seiner Leidenschaft nachgehen, ohne sich vorher zur Ader zu lassen oder Detox-Heilzufasten; nur kann sich je nach Witterung das Erscheinen einer Stufe verfrühen oder – wie in diesem Jahr – etwas verspäten. Aber wie sagte schon mein guter Freund Jean Paul: „Das Schöne am Frühling ist, dass er immer dann kommt, wenn man ihn am dringendsten braucht.“

Mauerblümchen

Leider ist dieser phänologische Kalender nicht ganz vollständig, denn zumindest in meinem Garten fehlt eine Frühlingsstufe, die zwischen Erstfrühling und Vollfrühling einzuordnen und die ich wohl eher der Phänomenologie als der Phänologie zuordnen möchte. Das ist der Frau Klammerles Frühling. Er beginnt, wenn die Temperaturen erstmals für ein paar Tage die magische 15°C-Marke übersteigen, eine heitere Sonne bereits frühmorgens vom Himmel lacht und die Frühjahrsblüher im lauen Wind auf den Feldern ihre Köpfe neigen, also in den Wochen nach Ostern. Dann geschieht etwas Seltsames mit meiner Frau. Im Gegensatz zu mir und auch der Katze Amy, die wir uns dann am liebsten in einem bequemen Gartenstuhl in die wamen Strahlen einer gütigen Sonne setzen, resp. liegen würden, um dort für ein paar Stunden das Leid der Welt, an dem wir so schwer tragen, zu vergessen, packt Frau Klammerle dann wie die vom Brutgeschäft aufgeregten Amseln eine schwer beschreibbare Unruhe. Katze und Mann würden gerne unserer Frühjahrsmüdigkeit erliegen, das lange vermisste Vitamin D tanken und wir wollen uns unter Protest nur dann von unserem Platz wegbewegen, weil die Abende doch noch recht kühl sind und – in Amys Fall – die Meisen gar zu frech um unsere Köpfe fliegen. Ganz anders ist da Frau Klammerle. Sie hält es keine Sekunde auf einem Ruheplatz, dann springt sie schon wieder auf. Sie platzt förmlich vor Energie und innerer Ungeduld; sobald sie neben mir für einen Wimpernschlag auf dem Gartenstuhl sitzt, ist es, als würde sie ein Stromstoß durchzucken und sie muss augenblicklich in die Höhe springen und einen Dekofrosch aufstellen oder an einem Gräslein zupfen (–> siehe auch: https://nikolaus-klammer.blog/2014/03/21/geschmackloses-rewind). Das muss irgendetwas merkwürdiges mit ihren Hormonen sein, die ab 15°C Amok laufen, ich kenne mich da nicht so gut aus. Vielleicht ist es auch nur ihre Art, ihre Freude über den überstandenen Winter und der Lust am Leben Ausdruck zu verleihen.

Garten, Haus, Mann und Katze werden einem harten Regiment unterworfen, da gibt es etwas zu zupfen, dort etwas zu putzen, hier etwas zu befehlen und da eine Katze zu quälen. „Der Vorgarten! Wie schaut denn der aus? Man muss sich ja schämen! Möchtest du nicht den Rasen vertikutieren?“ – „Die Fenster. Bei dem Licht sieht man erst den Dreck!“ – „Schatz! Wann möchtest du endlich die ewig versprochene Erweitung zu unserem Frühbeet bauen?“ (1) – „Amy, dein Winterfell ist ja ganz verfilzt. Gott, was haart diese Katze! Ich muss dringend ein Mittel gegen Flöhe und Zecken kaufen! Aber zuerst wird sie gestriegelt!“ – „Lass uns auf der Stelle zum Bauhaus, Obi, IKEA, Segmüller, Depot, Dehner, in die Gärtnerei und zum Rewe fahren.“ – „Was essen wir eigentlich heute Abend? Möchtest du Zucchini?“

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Ein geniales Hochbeet

Seit ein paar Tagen herrscht nun wieder Frau Klammerles Frühling in meinem Garten und meine Frau verwandelte sich wie von einem alten Fluch belegt in einen erbarmungslosen Herrn, der mich wie Herkules zu zwölf Heldentaten zwingt. Ich habe in der letzten Woche zum Beispiel unseren alten Komposthaufen entfernt und an seinem Platz eine großzügige Erweiterung meines genialen Hochbeets errichtet und dafür einen Sonnentag im kalten, finsteren Keller und einen Regentag im Matsch und Dreck verbracht. „Möchtest du nicht gleich auch noch den Keller mit aufräumen! Der sieht ja furchtbar aus.“ Ich habe 500 l Pflanzerde. Rindenmulch und Pflastersteine gekauft und geschleppt, dann unser Gartenhäuschen, dessen Kiesfundament im langen Winter abgesackt ist und das nun etwas windschief stand, mit Hilfe der von Frau Klammerle rekrutierten Söhne 1 und 2, ausgeräumt, ausgemistet und wieder aufgerichtet, einen Gartenweg restauriert und mit Platten belegt, die vermooste Terrasse gekärchert (2), und, und, und … jetzt habe ich mich aus Furcht, Frau Klammerle könnte noch etwas einfallen, in meinem Arbeitszimmer eingeschlossen und ihr verboten, mich zu stören (3), da ich an meinen Romanen, die die Welt braucht, arbeiten müsse. (4) Sie putzt inzwischen ein wenig die Wohnung, bezieht die Betten und bereitet mir ein wenig Arbeit vor.

Jammern beiseite, das heißt jetzt nicht, dass nur ich als kleiner Befehlsempfänger arbeite. Frau Klammerle leistet wesentlich mehr als ich und es ist meist mein schlechtes Gewissen, das mich von meinem Ruheplatz aufschreckt und frühjahrsputzen lässt, weil sie wieder wie Rumpelstilzchen durch Heim und Garten tobt und zwischendurch tatsächlich noch Zeit findet, zum Sport zu gehen, 10000 Whats-App-Nachrichten zu schreiben, Kuchen zu backen, meinen neuen Roman zu lesen, zur Nachtwache zu gehen oder unsere Ehe zu pflegen. Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, wie sie das macht und dabei im Gegensatz zu mir auch noch gut aussieht. Ihre Minuten müssen 180 Sekunden haben. Und ja, am heutigen Sonntag in einem ehrlichen Moment im warmen Sonnenschein betrachtet: Das Ergebnis dieser Arbeitswoche kann sich wirklich sehen lassen. Der Garten ist wunderbar und das Haus glänzt. Vielleicht können wir uns jetzt -, für ein paar Minuten -, auf ein Radler …

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Unser Traumgarten (noch nicht vertikutiert) …

„Schnickschnack! Wir müssen unbedingt zum Wertstoffhof, da liegt so viel Müll im Keller. Mein Arbeitszimmer muss ich noch aufräumen. Möchtest du den Crosstrainer in den 2. Stock bringen? Komm, wir fahren schnell zur Gärternei und kaufen einen Busch, dann sieht man die hässliche Ecke hinter dem Gartenhäuschen nicht. Wollen wir heute Nachmittag irgendwohin radeln, nach Oberschönefeld? Möchtest du erst die Räder putzen und herrichten? Und überhaupt, da fällt mir ein: Auf den Autos sind ja noch die Winterreifen. Möchtest du nicht …?“

_______

(1) Frau Klammerle gibt nie direkte Befehle. Sie formuliert sie immer als rhetorische „Möchtest du …?“-Fragen, bei denen sie allerdings nie das Fragezeichen mitspricht. „Nein“, wird als Antwort nicht anerkannt.

(2) Ja, Sohn Nr. 2, das Wort „kärchern“ gibt es, es ist keine Werbung, sondern kürzt genial „mit einem Hochdruckwasserstrahlreiniger abspritzen“ ab.

(3) Es sei denn, der Dachstuhl brennt, eine Zombiearmee trampelt über die Primeln oder das Mittagessen ist fertig.

(4) In Wirklichkeit schreibe ich diesen Text.

6 thoughts on “Ja, er ist’s oder Frau Klammerles Frühling”

  1. Haha na vielleicht liegt das in den Genen aller Frauen, ohne hier verallgemeinern zu wollen 😉 doch ich kann mich sehr gut mit deiner Frau identifizieren, zumindesz, was die Putzlust angeht. So grandios, wie sie es umsetzt, gelingt es mir nur selten und irgendwann siegt dann doch auch mal die Faulheit – was ich aber auch sehr genieße. Denn ich finde, wenn man schon den Haushalt herrichtet und den Balkon mit Eifer bepflanzt, dann sollte man sich doch auch die Ruhe nehmen, all das zu genießen… 😉
    Liebe Grüße von der Luna ❤

  2. Zum Glück ist der Furor von Frau Klammerle nur ein kurzer und kann umgelenkt werden, wenn auf Netflix eine Serie läuft, die ihr gefällt (leider hatte die neue Staffel von Suits nur 10 Folgen, das beruhigte sie gerade einmal für zwei Abende). Im Moment ist sie allerdings noch auf Droge, sie bäckt gerade Apfelnudeln – das ist einer der Vorzüge ihres Bewegungsdrangs.
    Und um die Rosmarin-Katze muss man sich auch keine Sorgen machen. Diese Aufnahme entstand gerade; kurz nachdem ihr Fell gereinigt wurde:

    Rosmarinkatze
    Grüße und noch einen sonnigen Sonntag,

    Nikolaus

  3. Na da kommt doch Freude auf, wenn man sieht, mit wie viel Euphorie die Katze ihr sauberes Fell trägt xD
    Nunja, Sonne hat sich hier verzogen und Wind zerrt an allen Leibern, die sich zum Sonnenbad hinausbegeben haben, doch man sollte nicht meckern, wie ich denke… nicht, dass es sich der Frühling noch anders überlegt^^
    Einen schönen Tag euch noch und guten Appetit

  4. Hier südlich der Donau ist es leicht föhnig, der sanfte Wind haucht warm und das Thermometer auf meiner Terrasse, auf der ich gerade schattig sitze und in Fritz Mauthners „Hypatia“ schmökere (Leseempfehlung), zeigt 28°C an. Keine Wolke steht am Himmel. Falls du nicht zu weit weg wohnst – was ich allerdings vermute -, kannst du gerne zu Kaffee oder Tee und einer leckeren Apfelnudel in meinem Gärtchen vorbeikommen.

    Grüße auch von Frau Klammerle

  5. Leider wird aus der Apfelnudel wohl tatsächlich nichts… Denn euren 28 Grad bin ich doch sehr fern, mich kann man am östlichsten Zipfel Deutschlands finden ^^
    Mauthner war mir gänzlich unbekannt, doch seine Sprachkritik klingt sehr interessant…. Sehr ergiebig solch eine Unterhaltung, man findet immer neues ^^

  6. Tja, das ist schade, dass du so weit weg wohnst. Aber es ist doch zumindest ein virtuelles Kaffeekränzchen möglich, das ist doch auch doch nicht schlecht und es ist genau das, was das Internet interessant macht. Auch wenn wir uns nun ziemlich weit von Frau Klammerles Frühling entfernt haben. Mauthners „Hypatia“ ist übrigens für die Zeit, in der der Roman entstand (1892), erstaunlich lakonisch und nüchtern geschrieben, böse und religionskritisch und voller beabsichtiger Anachronismen (Alexandria hat z. B. ein Quartier Latin). Und ein Marabu spielt eine wichtige Rolle, das ist auch nicht schlecht …
    Hier noch ein Link zur kostenlosen E-Book-Ausgabe des Buchs:

    Bei MobileRead gibt es auch noch andere Werke von Mauthner; auch eine von ihm selbst verfasste Einführung in seine ziemlich komplexe Sprachtheorie.

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