Dr. Geltsamers erinnerte Memoiren III – Ein phantastischer Roman (Teil 1)

UND DIES WAR GESCHEHEN

Karl-Heinz Welkenbaum schüttelte den Kopf. Durch die drei Fettwülste seines Doppelkinns wurde daraus ein sanftes Wiegen. Er spürte, wie ihm die Körpersäfte aus allen Poren drangen und als Sturzbach den Rücken hinunter rannen. Sicherlich bildeten sie schon eine breite, dunkle Linie auf seinem leichten, hellen Jackett. Er fragte sich zum wiederholten Mal, wie es diese Römer fertigbrachten, so ameisenemsig in ihrer staubtrockenen, rostig-braunen und hoffnungslos überfüllten Stadt zu leben, in der es schon im Frühsommer unerträglich heiß war. Da lobte er sich doch sein heimatliches Bayernland, wo von einem weiß-blauen Osterhimmel eines sanfte, gütige Sonne herablachte und der Löwenzahn auf den saftigen Kuhweiden blühte.

Welkenbaum nahm den Strohhut vom Kopf, benutzte ihn als Fächer und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn, während er dem Portier des Hotels Raphael bedeutete, die gläserne Eingangstür offen zu halten. Er konnte bereits die herrliche Kühle spüren, die ihm aus dem klimatisierten Foyer der Nobelherberge entgegen wehte und dabei seine beige Leinenhose bauschte. Jetzt noch ein kühles Getränk – die an der Dachbar ausgeschenkte Maisplörre verdiente zwar kaum den Namen „Bier“, war aber, wenn eiskalt, durchaus trinkbar -, dann war er nach dem schier endlos langen, vormittäglichen Einkaufsbummel, der, wenn es einen gerechten Gott gab, sicherlich seiner Zeit im Fegefeuer angerechnet wurde, wieder mit sich und der Welt versöhnt. Gut, dass in der Vorsaison auch die Filialen der großen Läden ab 13:30 Uhr eine lange Mittagspause einlegten, weil Verena sonst bis in die Nacht hinein geshoppt hätte. Der Münchener Verleger stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch und hätte es keine fünf Minuten länger in den stickigen und von Menschenmassen überschwemmten Gassen und Geschäften ausgehalten.

Er sah zu seiner neuen Freundin zurück. Wo blieb sie denn? Sie verhandelte noch immer gestenreich mit dem Taxifahrer, der fast unter einem Berg von Taschen und Kartons verschwand, die er vom Rücksitz und dem Kofferraum seines weißen Fiat geholt hatte und nun quer über den breiten Bürgersteig vor dem Hotel auf den Eingang zu jonglierte. Währenddessen stolzierte die seit ihrem gestrigen Friseurbesuch wasserstoffblonde Verena auf hohen Designerpumps neben ihm her und trug ein winziges Pratesi-Handtäschchen und eine kleine Papiertüte aus einer Parfümerie in den Händen, die sie im geschmeidigen Takt ihrer Bewegungen schlenkerte. Passanten drehten sich nach der jungen Frau im kurzen, roten Sommerkleid um und pfiffen ihr hinterher. Eine Vespa, auf der zwei typische römische Ragazzi hockten, fuhr langsam über den Platz vor dem Hotel. Beide machten mit ihren Smartphones Schnappschüsse von ihr.

Was für eine Frau!, dachte Welkenbaum voller Besitzerstolz. Er fühlte sich durch die Szene an einen alten Hollywood-Film erinnert und genoss für einen Moment das Banale und Klischeehafte der Situation:

Da war Verena Salva, seine im Verhältnis zu seinen eigenen Lebensjahren blutjunge und sehr attraktive Geliebte. Sie hatte das halbe Viertel leer gekauft. Ihre Anschaffungen trug ihr ein sichtlich überforderter, wie ein ermüdeter Atlas unter dem Gewicht der Pakete schwankender Chauffeur, den sie wie ihren persönlichen Diener behandelte, in die todschicke Fünf-Sterne-Unterkunft, in der das Paar in der Präsidentensuite hoch über den Dächern der Ewigen Stadt logierte. Und da war er selbst, der dicke, unansehnliche, aber reiche und geschmackssichere Verleger, der ihr Vater hätte sein können und mit ihr gerade einen zweiten – oder dritten – Frühling erlebte. Er hatte überall brav seine Platin-Kreditkarte gezückt und hielt ihr nun gemeinsam mit dem Portier die Türen auf, damit Verena die Beute ihres Raubzuges in Sicherheit bringen konnte. Fehlte nur noch, dass im Aufzug Tea for two gespielt wurde und nicht den eisernen Gesetzen einer Endlosschleife gehorchend zum dritten Mal an diesem Tag das Thema von „Der Pate“ -, das dem Verleger, wenn er es sich recht überlegte, allerdings auch ganz passend erschien, da er sich schmeichelte, durchaus Ähnlichkeiten mit dem aufgequollenen Marlon Brando der späten Jahre aufzuweisen: Beiger Leinenanzug, Strohhut, schütteres Haar, schleppende, nuschelnde Aussprache, wulstige Lippen, Überbiss und ein sarkastischer Blick.

Doch wie das mit Klischees so war, sie hielten der Wirklichkeit selten stand. Das war zwar alles so, aber doch auch ein wenig anders; viel weniger glamourös. In der Bayerischen Heimat wurde gerade eine Kalt- und Schlechtwetterfront aus nordwestlicher Richtung erwartet, der Ausläufer eines atlantischen Sturmtiefs, das sich mit viel Regen und Frostgefahr bis in die tiefen Lagen näherte. Die Löwenzahnwiesen, von denen Welkenbaum träumte, waren längst überall, auch in der Nähe seiner Villa in Bad Griesbach, Opfer der Unkrautvernichtungsmittel und bittergelben Raps-Monokulturen gewichen, deren aggressive Leuchtfarbe bei ihm Kopfschmerzen verursachte. Denn der Verleger besaß keine Platin-Kreditkarte – nicht einmal eine goldene -, und war nicht so reich, um seine Freundin mit italienischer Designermode auszustaffieren und sich einfach so ein verlängertes Osterwochenende in einer von Roms Nobelhotels leisten zu können. Er verdankte das durchschnittlich große Zimmer im 2. Stock, dessen Fenster in den Innenhof auf die Parkplätze zeigte,der freundlichen Einladung eines Freundes, seines Verleger-Kollegen und Bruders im Geiste Ugo Tozzini, der die edizione tempo moderno herausgab und mit dem er schon seit vielen Jahren eng kooperierte. Auch hatte Verena den Großteil ihres Einkaufs von ihrem eigenen Geld bezahlt, dessen munter sprudelnde Quelle Welkenbaum unbekannt war, denn sie arbeitete nicht. Dies war eines ihrer Geheimnisse, auf deren Wahrung sie sehr viel Wert legte. Verena war auch bei Weitem nicht so jung, wie sie aussah; doch ihr wirkliches Alter verriet sie nicht. Was nun endlich Marlon Brando anging: Diese Ähnlichkeit hatte nur einmal eine Topless-Tänzerin in der Augsburger Apollo-Bar entdeckt, in der er sich einmal mit Nikolaus Klammer getroffen hatte. Diese Übereinstimmung war der Frau aus Osteuropa aber erst aufgefallen, nachdem der Verleger ein paar Flaschen Champagner spendiert hatte, um seinen schreckensstarr und stocksteif am Tisch sitzenden Autor aufzumuntern, der sich so wohlfühlte wie ein Goldfisch in einem Piranha-Becken.

Aber wie er nun unnachahmlich seine Worte dehnte, als er den Concierge an der Rezeption in seinem holprigen Italienisch um die Zimmercard bat, das hatte doch etwas von Cosa Nostra und dem Paten, fand Welkenbaum.

Posso … avere la chiave della … uh, 239, per favore?“, fragte er, während Verena zusammen mit dem keuchenden Taxifahrer neben ihn trat. Hoffentlich bekam der arme Mann keine Herzattacke.

Ma come, Signore.

Der Mann am Empfang, ein braungebrannter und ölig schwarzhaariger Macho aus dem Bilderbuch, achtete jedoch kaum auf den dicken Verleger. Sein Blick lag sehnsüchtig auf dem großzügigen Ausschnitt von Verenas Kleid und verweilte dort. Eine kleine Pause entstand. Welkenbaum kniff die Augen zusammen und entzifferte das Namenschild, das der Hotelangestellte auf seiner weinroten Weste trug.

„Andrea. Was habe ich dir denn bloß getan, dass du mich so respektlos behandelst?“, murmelte er stirnrunzelnd auf deutsch und hob sich seine zu einer Klaue geformte Rechte an die Unterlippe. Er weckte den Mann aus seiner Starre.

Scusami?

Welkenbaum wiederholte seinen Wunsch auf Englisch, das er noch schlechter als Italienisch sprach. Aber diesmal wurde ihm gehorcht. Andrea sah endlich widerstrebend auf und griff hinter sich in die Ablage.

Che cosa hai detto? Camera 239?“ Er reichte die Karte über den Tisch.

„Welki!“, rief Verena und schnappte sich sofort die Schlüsselkarte aus der Hand ihres Freundes. „Ich muss sofort und auf der Stelle duschen. Regle du das mit dem Tassista, bitte.“

Der Verleger verbeugte sich, während der Taxifahrer erleichtert die Pakete zu Boden fallen ließ.

„Ist recht, mein Engel. Ich werde noch ein wenig an die Bar gehen und komme dann später nach.“

„Trinke nicht zu viel. Du weißt, du sollst an deinen Blutdruck denken. Und bleibe nicht allzu lange weg. Du hast hoffentlich nicht vergessen, dass wir uns heute Abend mit Roman Geitania und seiner netten Gattin Mercedes treffen wollen und vorher möchte ich mir noch unbedingt den Vatikan ansehen.“

Verena winkte einem der Pagen, der die Rolle des Trägers übernahm und mit ihr in Richtung der Aufzüge ging. Welkenbaum bezahlte ohne Murren die unverschämt hohe Rechnung des Chauffeurs. Er wusste, dass alle Taxifahrer Roms Gauner waren und hatte keine Lust auf langwierige, aber erfolglose Verhandlungen. Er wollte ebenfalls zu den Aufzügen, als ihn der Concierge noch einmal aufhielt.

One moment please, Mr Welkenbaum, i have something for you.

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[Zum 2. Teil]

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