Die Wahrheit über Jürgen – Ein Künstlerroman (Teil 5)

[Zum ersten Teil]

Das Mädchen, das neben ihm an der Bar saß, widersprach energisch. Der Möchtegern-Dichter ließ sich hocher­freut in einen heftigen, polemischen Disput verwickeln, ohne dass übrigens einer der beiden auch nur ein wenig literarisches Fach­wissen zu erkennen gab. Ich fragte mich, ob das Ge­rücht, Alfons habe einmal Germanistik studiert, der Wahrheit entsprach. Ihm ging es bei dem Streitgespräch allerdings nicht um das Prinzip – wahrscheinlich wollte er seine neue Bekanntschaft nur nicht bloßstellen. Er nutz­te die überraschende Gelegenheit zu einem Flirt und ließ sich von seiner hübschen Widersacherin zu einem Bier einladen. Er war wirklich der perfekte Schnor­rer.

Nach einer ganzen Weile unterbrach ich kurz das inzwi­schen recht intime und weit fortgeschrittene Geturtel der beiden und ließ mir von Andernaj – solange er noch nicht zu betrunken dazu war – die genaue Adresse von Jürgen Niedermayer geben. Mir schwebte noch immer ein Interview mit dem Maler für meine Zeitung vor. Ich hoffte, ich würde es trotz der offensichtlichen Ablehnung meiner Person bekommen.

Gleich am nächsten Nachmittag ließ ich mir diesen Plan in der Redaktion der MegaSzene absegnen und mir deswegen von Wer­ner, dem Chef vom Dienst, in unserer nächsten Ausgabe 1800 Wörter reservie­ren -also eine längere Lesestrecke, deren Zeilenhonorar ich bei meiner momentan recht klammen Finanzlage gut brauchen konnte. Dann erst suchte ich die Telefonnummer von Nie­dermayer heraus und rief ihn an. Ich weiß, dass das die falsche Reihenfolge war, aber da ich das Geld bitter notwendig brauchte, wollte ich endlich wieder einen längeren Artikel unter­bringen. Ich vertraute auf die Publicitysucht eines jungen, ehrgeizigen Künstlers, der selbstsicher genug ist, sich zu trauen, seine Bilder im Rathausfletz der Öffentlichkeit vorzustellen. Nieder­mayer ging nicht ans Telefon, aber er hatte einen Anruf­beantworter. Damals begannen sich gerade diese scheußlichen Maschinen, bei deren Besprechen ich mich immer fühle, als würde ich gerade onanieren, durchzusetzen. Ich sprach also stot­ternd mein Anliegen und meine Redaktionsnummer auf Band, gab aber absichtlich einen falschen Namen an, um nicht wegen seiner Abneigung gegen mich sofort einen Korb zu bekommen. Ich hielt diese Täuschung durchaus für legitim, da er ja ebenfalls nicht unter seinem richti­gen Namen firmierte. Bereits eine Viertelstunde später meldete er sich. Er war zwar nicht so hocherfreut, wie ich erwartet hatte, weil es ihn ärgerte, dass jemand hinter sein Pseudonym gekommen war, aber er vereinbarte mit mir gutwillig für den nächsten Tag einen Termin in seinem Atelier. Selbstverständlich verschwieg ich ihm weiterhin meinen tatsächlichen Namen. Wenn er mich schon hasste, wie Andernaj gemeint hatte, dann musste er mir das von Angesicht zu Angesicht sagen.

Der Schmuddelpoet hatte einmal in seinem Leben nicht übertrieben. Das Gebäude, in dem Jürgen Niedermayer wohnte, stand im frisch gentrifizierten Münsterviertel in der besten Lage. Es war ein vorzüg­lich renoviertes, neoklassizistisches Bürgerhaus aus der Gründerzeit voller Eigentumswohnungen und einem Feinkostladen im Erdgeschoss. Im Treppenaufgang roch es aggressiv nach Bohnerwachs und Geld. Dieses Haus machte mich sofort wütend. Ich kann nicht genau sagen, woher ich diese neidische, nahezu pathologische Abnei­gung gegen zur Schau gestellten Wohlstand her habe; mei­ne eigenen Lebensumstände und Meinungen von links­lastigen Bekannten spielen da sicher eine Rolle. Auf je­den Fall ging ich trotzig und voller Zorn die lackierten dunklen Stufen hinauf und an den kunstvollen, schwe­ren Holztüren mit den vergoldeten Klingelknöpfen vor­bei. Ich las die Namen dieser sozial Bevorteilten und hoffte, sie würden dahinter tatsächlich mit den Problemen kämp­fen, die ihnen diverse Fernsehserien andichteten.

Ich erwähne das alles nur, um deutlich zu machen, in welcher Stimmung ich mich befand, als ich vor der Wohnungstür von Niedermayer stand. Ich hatte Ander­naj bislang nicht geglaubt, aber hier war allen Ernstes ein Schild befestigt, auf dem Jürgen Niedermayer, Kunst­maler, stand. Ich klingelte mit Nachdruck und es dauerte eine Weile, bis mir geöffnet wurde. Nix, und so werde ich ihn für den Rest meines Textes nennen – das wäre auch in seinem Sinn -, Nix hatte sich verändert. Ohne Zweifel, er war älter geworden. Die Jahre, die wir uns nicht gese­hen hatten, waren nicht spurlos an ihm vorüber gegan­gen; an keinem von uns. Aber das meine ich nicht. Ich meine auch nicht das hinlänglich bekannte Paradoxon seiner Erscheinung, das sich noch vertieft hatte, da er noch breiter und bulliger geworden war und sich einen ordentlichen Wohlstandsbauch zu­gelegt hatte.

Nein, sondern etwas Neues, Ungewöhnliches und Beunruhigen­des lag in seinen abgehackten und fahrigen Bewegun­gen und seinem fanatischen, chirurgischen Blick. Es war etwas Bedrohliches, etwas, das ich nur schwer in Worte fassen kann, vor dem man aber auf der Hut sein und es ernst nehmen musste. Ob­wohl ich zuerst wegen seines erstaunten Gesichtsaus­drucks, ausgerechnet mich vor sich zu sehen, fast lachen musste, erkannte ich doch sofort die sektiererische Into­leranz und die beängstigende Besessenheit dieses Man­nes. Nur einen Moment währte seine Überraschung, er hatte sich augenblicklich unter Kontrolle. Seine Miene wurde verschlossen und ablehnend. Aber er trat ruhig zur Seite, nickte grüßend und ließ mich in seine Wohnung.

»Das hätte ich gleich wissen müssen. Nur du der konntest der Journalist sein, der von mir ein Interview über meine Kunst will. In eu­rem schmierigen Werbeblättchen gibt es nur einen geeigneten Freelancer dafür und das ist nun einmal der ach so wortgewandte Georg Hauser«, sag­te er kühl und spürbar desinteressiert.

Das widerwillig hervorgebrachte Lob war gut hinter seiner Kritik verste­ckt. Ich hatte schon ein paar freundliche Rechtferti­gungen für meinen Betrug auf der Zunge, die die ganze, etwas peinliche Situation durch einen Scherz entspan­nen sollten. Aber ich schluckte sie beleidigt hinunter und erwiderte stattdessen ebenso unbeteiligt:

»Es war nicht leicht, an dich heranzukommen. Das habe ich nur meinem Freund Andernaj zu verdanken. Er trinkt viel zu viel.«

Nix nickte kurz und verzog sein Gesicht zu dem freudlosen Lächeln, das ich bereits an ihm kann­te. Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Andernaj ist, glaube ich, jedermanns Freund. Den Gang hinunter«, dirigierte er mich kurzangebunden. »Andernaj ist, glaube ich, jedermanns Freund. Den Gang hinunter«, dirigierte er mich kurz angebunden. »Wusstest du, dass er ganz dick mit Nikolaus Klammer ist?«

Jonas führte mich an ei­nigen verschlossenen Türen vorbei in sein Atelier. So viel ich von der Wohnung durch diesen flüchtigen Ein­druck erahnen konnte, war sie groß, aber nur spärlich und unpersönlich eingerichtet. Es hingen keine Gemälde an den weißgetünchten Wänden des Flurs oder des Wohnzimmers, in das ich einen kurzen Blick werfen konnte. Nicht einmal seine eigenen. Er war der erste Ma­ler, den ich kennenlernte, der seine Wohnung nicht zur privaten Ausstellung nutzte. Er stieg dadurch in meiner Ach­tung, weil ich diese mit den eigenen Bildern überfrach­teten Wohnungen als ziemlich aufdringlich empfand.

Das Atelier dagegen war nicht ganz so eindrucksvoll, wie es mir beschrieben worden war. Es war eine Art von schmaler, heller Galerie, ein Raum, der peinlich sauber gehalten war und sich dadurch stark von den üblicherweise far­benfroh verschmierten Ateliers, auch dem meinen im KunstWerk, unterschied. Andernaj hatte allerdings inso­fern recht, als das Ganze wie eine Inszenierung, wie die Studio-Dekoration für ein Bohême-Musical wirkte. Da waren ein Tisch mit den Malutensilien, eine leere Staffe­lei, zwei Regiestühle. In der Ecke lehnten nebeneinander drei Leinwände mit der Bildfläche zur Wand, daneben stand eine kleine Druckpresse. Das war alles. Der Blick über die Dächer der Stadt war allerdings schön. An Föhntagen konnte man sicher die Alpen sehen. Mir fiel das Bild vom Elfenbeinturm ein.

Nix holte die beiden Stühle heran, stellte sie mitten in den Raum und setzte sich abwartend auf den, der das Fenster im Rücken hatte. Er schlug die Beine übereinan­der und beobachtete mich weiterhin mit dem verbisse­nen Lächeln, das er vorhin aufgesetzt hatte. Ich ignorier­te den mir zugedachten Stuhl und holte aus meiner Ja­ckentasche mein Diktaphon, legte es auf den Tisch ne­ben seine Malmittel und die Palette. Grinsend richtete ich das Gerät parallel zu seinen pedantisch nach der Größe geordneten Pinseln aus. Wären an den Holzgrif­fen nicht verräterische Farbflecken gewesen, hätte man glauben können, er hätte sie gerade erst beim Malerbedarf gekauft. Die Borsten waren makellos sauber und glatt.

»Kann ich als Erstes ein paar von deinen Bildern sehen?«, fragte ich. Er stutzte, wies dann auffordernd zu den Leinwänden.

[Zum 6. Teil …]

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