Die Wahrheit über Jürgen – Ein Künstlerroman (Teil 4)

[Zum ersten Teil]

»Was? Ja, natürlich, von wem denn sonst? Wovon, glaubst du, rede ich hier? Er hat meine Gedichte gelesen und fand sie sehr gut. Die seien genau das, was er wol­le. Die würden sein eigenes Empfinden formulieren, und so … Weißt du, er bat mich in dem Brief höflich drum, ob er nicht ein paar Zeilen von ihnen in seinen Bil­dern benutzen kann … Der macht so Collagen und so. Ich war natürlich begeistert, aber bevor ich ihm mein Ja­wort gebe, hehe, denk ich mir, schau ich mir erst einmal an, was er so macht. Bevor ich meinen guten Namen opfere, du ver­stehst schon. Sogar ich habe einen Ruf zu verlieren. Ich habe ihn angerufen und wir haben uns in seinem Atelier ge­troffen. Na, ich hab nicht schlecht gestaunt, mein Lie­ber! Sein Atelier hat er in einer Dachwohnung in der Bäckergasse, erste Adresse, piekfein, in einer …, wie heißt das noch einmal? Genau, in einer Mansarde. Ich geh da unten zur Haustür rein, so wie immer, diesen hier. Das musst du dir geben, da kommen mir ein paar verkackte Omas entgegen, Pelz­mantel, Schmuck und die ganze Kacke. Schauen mich an, als würde mir was aus der Hose hängen und ich habe sogar nachgeschaut, ich Depp. Ich habe erst geglaubt, ich wäre im falschen Haus, dass der Kerl mich mit der Adresse verarscht hat. Aber oben, an der Tür zur Appartement­wohnung, klebt so ein Messingschild: Jürgen Nieder­mayer, Kunstmaler. Boah, denke ich. Ich stehe da wie eine Jungfrau vorm ersten Mal und trau mich kaum, zu klingeln. Aber dann öffnet mir dieser Jüngling, du kennst ihn ja: Keine sehr beeindruckende Gestalt, wenn man mal von seinem Dichterschädel absieht. Aber ein Haufen Knete steht hinter ihm, so eine Wohnung hast du noch nicht gesehen. Die ist perfekt eingerichtet, wie aus einem Ambiente-Heft herausgeschnitten. Ich hab mich ge­fühlt wie bei den Hempels unterm Sofa. Er hat mir natürlich nicht alles gezeigt, hatte wohl Angst, dass ich ihm seine Perser schmutzig mache, hehe. Wir sind auch gleich in sein großes Atelier gegangen. Unglaublich, sage ich dir, unglaublich, es sah wie in einem Film aus: Kennst du Ein Amerikaner in Paris? Diese endlos hohen, blütenweißen Ateliers, in denen noch nie einer gepennt oder gemalt hat? In denen man nicht ficken, sondern höchstens tanzen kann? Weißt du, solche großen, schrägen Dachfenster mit Blick aufs Münster, ein heller, weißgetünchter, bis aufs Malerwerkzeug und einn paar Leinwände leerer Raum, so ein Scheiß Parkettboden drin, rutschig vom Wachs. In der Mitte steht protzig die Staffelei mit dem Bild, an dem er malt. Großes Format, natürlich; drunter macht es der nicht. Er hat mir ein paar von seinen Arbeiten gezeigt. Du weißt, ich kann nicht viel damit anfangen, die ganze Klexerei ist nicht meine Welt, aber das, was der macht … das ist schon beeindruckend, irgendwie morbide und kaputt, aber be­eindruckend. Na ja, und dann erzählt er mir, er würde bald im Rathaus ausstellen. Es sei die erste große Aus­stellung in seiner Heimatstadt mit seinen Bildern. Bisher habe er sich nicht ge­traut, war sich unsicher wegen der Qualität oder so, aber jetzt macht er es doch. Fishing for compliments, kennst du ja. Ich frage ihn natürlich, wie er denn zu so einem Aus­stellungsraum käme, die findet man ja schließlich nicht im Müll. Hehe, war ihm gar nicht recht, die Frage, habe ich ihm angemerkt. Er druckst ein bisschen herum, dann kommt es: Er ist der Neffe von dem alten Arschloch Pauli, weißt schon, unserem Kulturbonzen. Und der Wichser ist so überzeugt von dem, was Jürgen macht, dass er ihn kräftig unterstützt. Na, jetzt war klar, wie der zu so einer Wohnung gekommen ist: Der ist mit einem goldenen Pinsel im Mund geboren worden, hehe.«

Andernaj lachte und leerte nach seiner langen Anspra­che erst einmal gierig sein Glas. Er konstatierte erfreut, dass ich ihm aufmerksam zugehört hatte. Er ist doch so etwas wie ein Schriftsteller, ging mir durch den Kopf, denn er war trotz seiner deftigen Ausdrucksweise und seinem grauenvollen Dialekt ein guter, bildhafter Erzähler. Ich habe seine Geschichte hier übrigens wörtlich niedergeschrieben, wie sie mir in der Erinnerung geblieben ist – ich habe nur die meisten der Kraftausdrücke weggelassen, die zwangsläufig jeden Satz begleiteten, der aus seinem Mund kam.

»Aber warum ist er dann mein Feind?«, fragte ich inter­essiert. »Ich habe doch nichts mit ihm zu tun.«

»Spendierst mir noch ’n Bier, dann …«

»Ja, ich weiß«, winkte ich ab und zapfte ihm seine zwei­te Halbe. Einen Moment betrachtete er mich nickend, dann fuhr er fort:

»Er sagte, das Schlimmste für ihn sei die Ablehnung, der er überall begegne, das Missverstehen und vor al­lem der Neid seiner Kollegen. Die könnten ihm nicht einfach die Wahrheit sagen. Die würden sich lieber die Zunge abbeißen, als zuzugeben, dass da jemand besser ist als sie. Er hat ziemlich klug gelabert. Ich habe nicht al­les verstanden. Aber ich hab ihm natürlich nicht gesagt, dass ich das nicht konnte, hehe. Und als Beweis für die unfai­re Ablehnung nennt er deinen Namen. Du kennst mich …« Er schlug sich nachdrücklich auf die Brust. »… ich halte zu dir, bist ein guter Kumpel. Ich weiß, dass er da ein Vorurteil hat. Du bist eine der ehrlichsten Typen in der Szene. Deine Kritiken sind zwar gefürchtet, aber nur selten unfair. Ich kann mich eigentlich nur an einen einzigen Fall erinnern; nämlich bei meiner Lesung mit Horst Favelka im Eiskeller. Es war wirklich nicht nett, was du da geschrieben hast. Gut, seine Texte waren be­schissen, aber ich war doch mindestens so gut wie sonst. Weißt du, der Horst und ich, das ist eine ganz seltsame Beziehung. Er hat Geld und Ideen und ich das Genie.«

»Alfons, bitte, komm auf den Teppich. Diese Lesung war vor über einem Jahr. Damals trug ich noch meinen Gips«, unterbrach ich ihn und verfluchte mal wieder im Stillen Emi­lio Parma. Das tat ich immer, wenn ich an den kompli­zierten Bruch meines Beines im letzten Jahr dachte, an dem der Möchtegern-Journalist und Kabarettist nicht ganz unschuldig war.

»Ich will was über Nix hören. Wenn du redest, erstaunt es mich immer, dass du nur diese kurzen Verse und keine ausufernden Romane schreibst. Du kriegst von mir noch mal die Proustpla­kette.« Falls ich tatsächlich gehofft hatte, er würde nach diesem Einwurf zu unserem ursprünglichen Gesprächs­thema zurückkehren, hatte ich mich geirrt.

»Ich hab auch einmal einen Roman angefangen: Mea culpa. Toller Name. Dann hab ich gemerkt: Romane sind tot. Verstehst du? Die Kürze ist die Kunst, Mensch! Das ist die radikalste Komprimierung, wie ein Musikvideo, darauf kommt es doch heute an. Nicht wahr?«, fuhr er fort.

Warum konnte ich nicht meinen Mund halten? Ich hatte ihn unbeabsichtigt mit der Nase auf sein Lieblingsthema gestoßen. Er begann mir detailreich auseinanderzusetzen, man könne heutzutage keine Romane mehr schreiben, ohne ein Lügner zu sein. Niemand habe mehr die Zeit, so etwas zu lesen. Wer kenne schon Krieg und Frieden, Doktor Schiwago, Moby Dick oder Die Brüder Karamasoff? Solche Literatur sei nur noch über zudem missglückte Verfilmungen bekannt. Romanverfilmungen seien wie Seilbahnen. Niemand mache sich mehr die Mühe, zu Fuß auf den Berg zu steigen. In unsere hektische, kurz­atmige und reizüberflutete Welt passe eben nur die Art von Verbrauchslyrik, die er zu Papier bringe.

»Mein alter Kumpel Nikki Klammer ist auch der Meinung. Lesen, einen runterholen und dann ins Klo damit. Runterspülen«, brachte er seine Meinung auf den für ihn typischen, griffigen Nenner.

[Zum 5. Teil …]

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