Nikolaus Klammer der in den Tag führt,Der Weg,Fantasy,Fortsetzungsroman,Literatur,Märchen,Phantastik,Roman,Science Fiction Der Weg, der in den Tag führt – Fantasyroman (Kapitel 8 – Teil 10)

Der Weg, der in den Tag führt – Fantasyroman (Kapitel 8 – Teil 10)

Der Weg, der in den Tag führt
Eine Geschichte aus der Welt von »Brautschau«

Zwl

„Ihr Narren …“, murmelte EDY, nun merklich leiser, resignierend. Sein aufgeblähter Kopf flackerte und wechselte mehrmals die Farbe, dann verschwand er für einen Moment.

Gleichzeitig begann der Stab, der aufrecht genau in der Mitte des runden Tisches in einem Loch steckte, an seiner birnenförmigen Verdickung oben zu blinken. Er tauchte den Worum auf diese Weise in ein gespenstisches, blaugrünes Licht. Lakmi runzelte die Stirn.

Konnte es wirklich so einfach sein? War es die ganze Zeit direkt vor ihren Augen gewesen? War dies vielleicht jener Stab der Macht, nach dem Asgëir suchte?

Kurzentschlossen kletterte sie auf den Tisch, beugte sich herab und ergriff den Stab. Für seine Länge von etwa einem Fuß wirkte er zu dick und zu klobig. Aber das ihr vollkommen unbekannte Material, aus dem er hergestellt worden war, fühlte sich glatt und warm an. Er ließ sich mühelos aus seiner Verankerung in der Tischplatte lösen und glitt ohne Widerstand aus der Öffnung, in der er bisher einen Finger tief gesteckt hatte. Für einen Moment blitzte eine knisternde Funkenstrecke zwischen der stumpfen Unterseite des Stabes und dem Loch. Lakmi richete sich auf.

Da erschien direkt vor ihr erneut der Kopf von EDY. Sie wich erschrocken vor dem Gespenst zurück und wäre dabei beinahe rückwärts vom Tisch gefallen.

„Wage es nicht!“, explodierte die Stimme des Dschinn in ihrem Kopf und Lakmi hatte das Gefühl, ihr würde in diesem Augenblick der Kopf platzen. Sie knickte ein und fiel schwer auf ihre Knie.

„Stecke den Stab zurück in sein Interface. Niemals darf er mit seinen restlichen Komponenten zusammen kommen! Ihre gebündelte Macht würde die Welt zerreißen.“

EDYs Stimme überschlug sich und hallte wie der Donner einer Kanone. Sterne aus Licht tanzten vor Lakmis Lidern, die sie krampfhaft geschlossen hatte. Tränen liefen ihre Wangen hinab und der Schmerz, der in ihr tobte, war kaum mehr auszuhalten. Verzweifelt presste sie ihre freie Hand gegen ihre Stirn, doch das half nicht gegen den Druck, der von innen gegen ihren Schädel prallte.

„Schweig endlich“, schrie sie in höchster Not. „Schweig! Schweig …“

Sie klammerte sich mit dem Rest ihres Verstandes an dem Wort fest, damit er von dem Orkan in ihrem Inneren nicht unrettbar davon geweht wurde. Sie wusste: Nur noch dieses „Schweig!“ stand zwischen ihr, dem Wahnsinn und dem Verlust ihrer Seele. EDY war dabei, sie zu brechen.

Doch da vibrierte mit einem Mal der Stab in ihrer Hand, erwachte zum Leben. Das blaue Licht an seinem dicken Ende leuchtete gleißend auf und tauchte den Worum in ein helles Türkis, als befände er sich im Inneren eines funkelnden Opals. Von dem Licht ging eine seltsame, beruhigende Wirkung aus. EDYs Kreischen wurde augenblicklich leiser und leiser und war dann nur noch in heiseres Flüstern in Lakmis Ohren. Gleichzeitig ließen ihr Schädelweh nach und sie wurde sich der Anwesenheit eine weiteren Geists in ihrem Kopf bewusst. Von ihm ging ein wortloses und wohltuendes Summen aus; in einem Tonfall, mit dem eine Mutter ihr schreiendes Kind beruhigt. Wie in dem Tisch, so musste auch in dem Stab ein mächtiger Dschinn wohnen und seine Kraft war wohl noch größer als die von EDY. Ohne zu wissen auf welche Weise, hatte Lakmi ihn gerufen und nun stand er ihr bei. Der Stab lag dabei angenehm warm und leicht zitternd in ihrer Hand und passte dort so selbstverständlich hin, als wäre er mit ihren Fingern verwachsen. Auf eine unbestimmbare Weise fühlte sich dieser Zauberstab so an, als wäre er schon immer ein Teil von ihr gewesen. Er war wie ein Stück ihrer selbst, das sie irgendwann einmal verloren und nun wiedergefunden hatte.

„Schweig“, sagte Lakmi ein letztes Mal und EDYs Stimme verstummte endgültig. Sein durchscheinender Kopf verschwand.

Lakmi kletterte zitternd vom Tisch und sah sich in dem in das blaue Licht getauchten Worum um. Im Türrahmen standen noch immer die Wächtergoleme. Sie klickten aufgeregt mit ihren Gliedmaßen, aber sie kamen nicht herein und gehorchten auch weiterhin dem Befehl von EDY, nicht weiter mit ihren Geschossen aus rotem Licht um sich zu schießen. Aber was war das? Zwischen ihren Beinen wimmelte es mit einem Mal, als wäre der Boden in Bewegung geraten. Hunderte oder tausende – wer vermag das schon zu sagen? – der kleinen Spinnengoleme krabbelten aufgeregt in den Worum, flossen wie ein Schwall Wasser ins Innere, teilten sich aber vor dem tapferen Mädchen, umfluteten den Platz, auf dem sie stand und vereinigten sich erst hinter ihr wieder, als wäre sie ein Felsen in einem Fluss, der dessen Lauf zufällig im Weg lag. Schnell wurde der ganze Tisch in ihrem Rücken von ihnen bedeckt. Offenbar war ihr Auftrag, ihn zu reparieren und wie es aussah, kamen die Deltas schnell voran. Sie waren es, die jede zerstörte Kriegsmaschine auf der Stelle reparierten und so lang sie selbst nicht ausfielen – sofern das möglich war -, würde die Schlacht der Golemarmeen andauern.

Es war an der Zeit, die Flucht zu ergreifen, bevor EDY wieder zu Leben erwachte. Lakmi deutete mit ihrem Stab auf die monströsen Gestalten, die vor der Tür standen und sie mit grünen Augen betrachteten. Sie hatte die Angst, sie könnten es sich jederzeit anders überlegen und sich auf sie stürzen.

„Geht“, sagte sie mit fester Stimme und wusste dabei, dass sie ihr und ihrem Zauberstab gehorchen würden. Tatsächlich wandten sie sich auf ihren Befehl hin ab und rollten und stapften davon, gaben den Durchgang frei. Trotzdem trat Lakmi sehr vorsichtig hinaus und schwenkte den Stab dabei in alle Richtungen. Sie wusste nicht, was das schlichte, pechschwarze Rohr alles bewirken konnte und ob es gar wie die Goleme Feuerblitze spucken konnte, aber es schien den mechanischen Soldaten gehörigen Respekt eingeflößt zu haben. Die fünf Goleme, die auf EDYs Ruf herbei geeilt waren, hatte den Vorraum bereits wieder verlassen und die beiden Wächter links und rechts der Tür waren auf ihrem Schienen ganz nach außen zu den Wänden der Halle hin gerollt, wo sie erstarrt standen und Lakmi ihre Rücken zuwandten. Mutiger geworden schritt das Mädchen vorwärts, wobei sie sich bemühte, nicht zufällig auf die letzten Nachzügler der Deltas zu treten, die auf ihren vielen Spinnenbeinchen hektisch über den Boden huschten. Der Eingang zum Worum schloss sich hinter ihr. Lakmi bündelte ihren Geist.

„Stab,“ flüsterte sie, „wie soll ich dich nennen?“ Der Dschinn schwieg. Sie konnte keine Antwort vernehmen, so sehr sie auch in ihr Inneres lauschte. Offenbar konnte er nicht wie EDY direkt in ihrem Kopf reden. Dennoch sprang ihr mit einmal ein Wort auf die Lippen. Sie wusste nicht, woher es gekommen war.

„TYCHO“, sprach sie es aus. „Heißt du so? TYCHO?“

Lakmi lächelte. Also war es möglich, sich mit dem Zauberstab zu verständigen, auch wenn es eine große Anstrengung bedeutete und das Gespräch sehr einseitig und bruchstückhaft war.

„Ja, das ist dein Name“, sagte sie und spürte dabei den bitteren Geschmack von Kummer und Verlorenheit, das Gefühl, unvollständig zu sein und den brennenden Wunsch, wieder eins zu werden. Ihr fiel ein, was Asgëir und EDY gesagt hatten: TYCHO war nur ein Stück eines Meisterstabes, den man einst in fünf Teile zerbrochen hatte. Und nun sehnte er sich danach, sich mit den anderen vier wieder zu verbinden.

„TYCHO. Du musst mich an die Oberfläche bringen“, dachte sie und starrte dabei auf den Stab in ihrer Hand. Längst hatte sie ihr Zeitgefühl verloren und wusste nicht, ob es außerhalb der Tunnel Tag oder Nacht war. „Aber bringe mich an einen sicheren Ort außerhalb der Grenzen der Schlachtfelder.“ Konnte sie dem Dschinn auf diese einfache Weise Befehle geben oder war es nur Zufall gewesen, dass er zweimal ihren Wünschen gehorcht hatte? Und wie viele standen ihr überhaupt zu? Waren es die traditionellen drei Wünsche der Märchen oder würde ihr TYCHO so lange gehorchen, so lange sie ihn in Händen hielt?

Wie dem auch war, der Zauberstab bewegte sich wie von selbst und begann, Lakmi in eine Richtung zu ziehen, auf eine Wand zu, an der für sie keinerlei Durchgang zu erkennen war. Sie musste fest zupacken, damit der Stab ihr nicht durch die Finger schlüpfte. Lakmi wusste aus ihrer Erfahrung mit dem Wächtergolem, der sie zum Worum geführt hatte, dass ihre Sinne hier unten in dem unsicheren Licht oft in die Irre gingen. Und tatsächlich: Während sie, von TYCHO gezwungen, vorwärts ging, gab die vorher makellos glatte Wand einen Durchgang in einen quadratischen Raum frei. Er war klein, fast nur eine Nische in der Wand.

Lakmi trat ohne Zögern ein und sofort schloss sich die Tür. Die Wände erzitterten. Kurz hatte sie ein ungewohntes, hohles Gefühl im Unterleib, das allerdings sofort wieder verschwand. Irrte sie sich oder wurde sie mitsamt dem Raum in die Höhe gezogen?

[Hier geht es weiter …]

One thought on “Der Weg, der in den Tag führt – Fantasyroman (Kapitel 8 – Teil 10)”

Kommentar verfassen

Related Post

Entdecke mehr von Nikolaus Klammer

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen