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Der Weg, der in den Tag führt – Fantasyroman (Kapitel 8 – Teil 9)

Der Weg, der in den Tag führt
Eine Geschichte aus der Welt von »Brautschau«

Zwl

„Was ist dein Wunsch, General?“, fragte der Kopf, ohne die Lippen zu bewegen. Tote, stahlgraue Augen lasteten ohne eine erkennbare Regung auf dem Mädchen. Tote, stahlgraue Augen lasteten ohne eine erkennbare Regung auf dem Mädchen. Der kalte Blick riss das Mädchen aus ihren Gedanken. Vor diesem Dschinn musste sie auf der Hut sein; er war gefährlich, das spürte sie.

Lakmi hätte nicht zu sagen vermocht, woher die laute und gut verständliche Stimme kam. Wie auch der riesige Golem, der Lakmi an diesen Ort geführt hatte, redete der Dschinns in ihrer eigenen Sprache. Er sprach sogar in dem singenden, die Mitlaute vernuschelnden Dialekt Karukoras, den oberhalb des Marat niemand verstand. Konnte es aber sein, dass sie Worte nur in ihrem Kopf hörte? Sie räusperte sich und trat näher. Für eine Flucht war es längst zu spät.

„Wie ist dein Name, Dschinn?“

„Ich wurde früher EDY genannt. Ich bin übrigens kein Dschinn, sondern ein nur ein Backup“, erwiderte der Kopf. Seine Stimme klang dabei ein wenig ungeduldig, wie Lakmi fand. Sie ignorierte den zweiten Satz, den sie nicht verstanden hatte.

„Gut, EDY. Dann zeige mir den Weg, der in den Tag führt.“

Das Bild der wehenden Fahne auf dem Tisch verschwand. Stattdessen erschien dort eine Landkarte, die einen Ausschnitt der Toten Wüste von oben zeigte. Der Maßstab war recht groß gewählt. Lakmi konnte die Ufer des Meers und vor der Küste die Insel Sirtmar erkennen Am von ihr aus oberen Rand des Tisches machte sie die himmelhohen Mauern des Großen Südwalls aus, den der legendäre König Launin kurz vor dem Fall der Reiche aus den Felsen eines Gebirges als Grenze hatte errichten lassen. Er teilt auch heute noch die Welt von West nach Ost in eine zwei Hälften. Das auf der Landkarte rot schraffierte Gebiet dazwischen – es misst unfassbare 500 Meilen im Durchmesser –, das waren die Ebenen des Ewigen Krieges. Eigentümlicherweise knickte der nahezu unüberwindliche Festungswall des Königs hinter dem Helmgebirge scharf nach Süden ab und verlief sich dann mitten in den Ebenen. Wo der Große Wall im Nichts der ewigen Schlachtfelder endete – vielleicht durch die nicht enden wollenden Kriege der Golemarmeen geschliffen -, begann eine gepunktete, blaue Linie, die leicht ostwärts die Schlachtfelder querte und mitten in den Ebenen zu einer flachen Erhebung führte, auf der ein großes, rotes Viereck eine Stadt andeutete, die Lakmi größer schien als alle fünf Oststädte zusammen.

„Was ist das?“, fragte Lakmi und deutete auf das Quadrat.

„Das ist die Enklave“, antwortete EDY prompt. „Der Ort, den dein Volk Pardais nennt.“

„Und vom Ende des Südwalls führt ein sicherer Weg dorthin? Wie ist es dort?“

„Meine Augen sehen nicht nach Pardais hinein, General, denn das ist mir verboten. Aber die neutrale Enklave war einst ein sicherer, friedlicher Ort, zu dem sich die Zivilbevölkerung zurückziehen konnte, wenn die Schlachten tobten. Pardais war eine mächtige Festung. Einst endeten hier die Mauern des Südwalls.“

„Du weißt also nicht, ob dort noch Menschen leben?“

„Diese Information steht mir nicht zur Verfügung. Ich kann darüber nicht einmal eine Mutmaßung anstellen. Seit ich den Dienst aufgenommen habe, hat noch nie jemand Paradis verlassen oder besucht.“

„Ist der Weg denn sicher? Auch in der Nacht, wenn die Kriegsmaschinen aufeinanderprallen?“

„Wenn du einen Passagierschein hast und ihn an einem der Transittore benutzt, wird dich eine U.R:S. sicher zur Enklave bringen“, erwiderte EDY.

Lakmi erkundigte sich nicht, was eine „Urs“ sei. Sie interessierte sich für etwas anderes und deutete an den rechten Rand des Tisches, wo die Darstellung in einem verschwommenen Nebel endete.

„Was ist dort – ich meine, im Osten hinter den Ebenen?“

EDY zögerte.

„Auch diese Frage kann ich dir nicht genau beantworten, General. Verzeih mir meine Unzulänglichkeiten. Am Anfang des Krieges brach, wie du weißt, auch das Satnet zusammen und meine Drohnen können nicht so weit gen Osten blicken. Doch dort ist nach der Großen Welle ein Bruchstück des zerstörten Maní eingeschlagen, der die Kontinentalplatte zerrissen hat. Der Aufprall hat einen gewaltigen Krater erzeugt, der sich inzwischen wahrscheinlich mit Meerwasser gefüllt hat. Dort gibt es kein menschliches Leben mehr.“

Lakmi hatte genug gehört. Es schauderte sie bei der Vorstellung, wieviel Leid und Tod der Krieg der Vorgänger erzeugt hatte. Und zumindest hier war er noch immer nicht vorbei.

„Ich hätte gerne eine Abschrift dieser Karte.“

„Ich höre und gehorche.“

Prompt klappte an der Seitenkante des Tisches ein kleines Fach heraus. In ihm lagen eine Papierrolle und ein flacher, rechteckiger Gegenstand. Er war grün und etwas kleiner als Lakmis Handfläche.

„Dies sind ein Ausdruck der Karte und der Passierschein. Pass vor allem auf ihn gut auf, denn er ist ein Schlüssel, ohne den du die Enklave nicht erreichen kannst“, erläuterte EDY.

Lakmi nahm die beiden Gegenstände und verstaute sie in den Taschen ihrer Kleidung. Sie wollte sich schon verabschieden, da fiel ihr ein, dass sie einen Auftrag hatte. Beinahe hatte sie den Wunsch des Delphi vergessen.

„Ich benötige noch etwas, EDY. Gib mir den Stab der Macht, der sich in deinem Besitz befindet.“

Täuchte sich Lakmi oder erzitterte kurz der Boden unter ihren Füßen? Sie stolperte einen Schritt nach hinten. EDY kniff die Augen zusammen und sein glattes, dunkles Gesicht wirkte plötzlich misstrauisch und – ja -, auch ein wenig ängstlich. Seine Stimme dröhnte nun so laut in Lakmis Kopf, dass sie schmerzte:

„Wozu benötigst du den Stab, General? Wer hat dich beauftragt, ihn zu besorgen?“

Ein orangefarbenes Licht leuchtete an der Decke auf und auf der Tischfläche erscheinen Worte, die in einer Schrift geschrieben waren, die das Mädchen nicht kannte. War ein Alarm ausgelöst worden? Lakmi hatte den Eindruck, sie sein von einer zur anderen Sekunde in Lebensgefahr geraten. Vorsichtig wich sie weiter zurück zur Tür, die sich zischend hinter ihr öffnete.

Asgëir will den Stab und du gibst ihn mir!“, befahl sie trotzig, denn sie wusste: Sie durfte auf keinen Fall Schwäche zeigen, wenn der Dschinn ihr weiterhin gehorchen sollte.

Doch dann presste sie sich erschrocken die Hand gegen den Mund. Sie hatte vergessen, dass der Delphi ihr befohlen hatte, seinen Namen unter keinen Umständen zu verraten. Aber hätte sie ihn überhaupt verschweigen können, wenn EDY direkt in ihrem Kopf war und ihn ihren Gedanken wühlte? Sicherlich konnte er sie lesen.

„ Asgëir!“, schrie der Herr des Worums auf. „ Asgëir, der Unsterbliche, er ist hier – der verfluchte Widersacher, der sich mit Inet verbündet hat! Wehe! Fünf Stäbe, um einen zu formen. Wehe! Niemals darf mein Stab in die Hände dieses Ungeheuers geraten. Wachen! Ergreift den General! Er ist ein Verräter.“
Lakmi, die bereits durch die Tür fliehen wollte, drehte sich um. Schwere Schritte waren in ihrem Rücken zu hören. Nicht nur einer, der hünenhaften Kriegsgoleme und die beiden Türwächter standen in dem Gewölbe vor dem Worum, sondern vier oder fünf von diesen unbesiegbaren Metallriesen näherten sich mit nach vorne gestreckten, rotglühenden Fingerspitzen, doch sie traten nicht durch die Tür. Sie war offenbar ein Tabu, das sie nicht überschreiten konnten.

Lakmi sprang mit einem beherzten Hecht zur Seite. Gerade noch rechtzeitig! Lichtblitze zuckten und trafen nicht sie, die noch vor einem Wimpernschlag am Kreuzungspunkt der tödlichen Strahlen gestanden waren, sondern den runden Tisch hinter ihr, über dem EDYs aufgeblähtes und vom Zorn verzerrtes Gesicht schwebte.

„Ihr Narren! Feuer einstellen“, brüllte der Dschinn in Lakmis und wohl auch im Kopf seiner eisernen Soldaten, denn sie senkten sofort ihre Arme. Doch es war zu spät. Der Tisch färbte sich in kaltes Grau und aus den Löchern, die die Strahlen in seine Oberfläche geschmolzen hatten, stiegen dünne Rauchfahren empor. Wieder wurde der Erdboden unter Lakmi erschüttert, die sich gerade auf ihre Füße sprang und sich in eine Ecke des Worums flüchtete, wo sie von der Tür aus im toten Winkel stand und nicht befürchten musste, von den heißen Strahlen der Goleme getroffen zu werden. Schlagartig erlöschten alle Lichter in dem Worum.

„Ihr Narren …“, murmelte EDY, merklich leiser. Sein aufgeblähter Kopf flackerte und wechselte mehrmals die Farbe, dann verschwand er für einen Moment.

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