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Glaubt mir – er beißt nicht

Alle Dichter wollen weniger gelobt und fleißiger gelesen sein.
Gotthold Ephraim Lessing

Es widerstrebt mir, den scheinheiligen Tanz ums goldene Kalb und den Feuilleton-, Medien-, Verlags- und Buchhandelsrummel um runde Geburts- oder Sterbedaten unserer Dichter und Denker mitzumachen. Man lobt sie routiniert und wohlvorbereitet an ihren Jubiläen, um dann bereits ein paar Tage später die nächste Sau durchs mediale Dorf zu hetzen. Die Erinnerungen und Ehrungen werden des überschwänglichen Feierns müde wie Christbaumschmuck im Januar eiligst zurück in den Keller geräumt, bis die nächste runde Zahl droht. Gelesen werden diese Autoren trotzdem nicht.

Aber für Arno Schmidt (1914 – 1979) muss ich eine Ausnahme machen, weil er mir wirklich am und manchmal auch auf dem Herzen liegt: Schließlich ist Schmidt der herausragendste und humorvollste, der intelligenteste und zugleich provozierendste Autor, Essayist und Übersetzer, der von uns Deutschen nach dem 2. Weltkrieg mit Nichtbeachtung und Interesselosigkeit abgestraft wurde. Hierzulande werden keine unbequemen Autoren mehr eingesperrt oder mitsamt ihren Bücher verbrannt, man ignoriert sie einfach, ordnet sie bequem in ihren historischen Kontext ein (1) und vergisst sie. Oder man wirft ihnen – auch das ist typisch deutsch – “Nestbeschmutzung” vor; was den Autor noch nachhaltiger vernichtet, als ihn einfach zu erschießen. Arno Schmidt passierte beides. Er wurde als genialer Außenseiter zu einer wenig beachteten Fußnote im Kapitel “Nachkriegsliteratur der BRD” degradiert und sein bitterböser Kulturpessimismus und sein verzweifeltes Aufreiben am Deutschen Untertanenwesen als defätistisches Nachhakeln eingestuft.

Schmidts Wohnhaus in Bargfeld, in seinem Stil fotografiert.
Schmidts Wohnhaus in Bargfeld, in seinem Stil fotografiert.

Sicherlich war an dem fehlenden Nachruhm auch der ärgerliche Streit um die Rechte an seinem Werk schuld. Das führte dazu, dass eine Zeitlang nur atemberaubend teure Nachdrucke der in den 50er und 60er Jahren im Fischer-Verlag veröffentlichten Bücher oder zu ebenfalls gesalzenen Preisen die von der Arno-Schmidt-Stiftung herausgegebenen Gesamtausgaben erhältlich waren.(2)

Und ich gebe es gerne zu: Es ist nicht leicht, Arno Schmidts Welt zu betreten, er macht es dem Leser und auch sich selbst nicht einfach. Keiner schreibt wie er. Schmidt ragt wie ein Mount Everest aus den seichten Vorgebirgen der deutschen Nachkriegsliteratur in sauerstoffarme Höhen. Er ist einzig, aber ganz und gar nicht artig. Sein – formulieren wir es mal euphemistisch – eigenwilliger Umgang mit Grammatik und Zeichensetzung, seine am stream of consciousness und den Wielandschen und Jean-Paulschen satzungethümen Bleistiftwüsten geschulter, synästhetischer, oft monologsischer Stil, in dem manchmal jedes Wort und oft auch jedes Satzzeichen eine Anspielung an ein- bis zwei mitgedachte Literaturquellen (3) und unbewusste freudianische Fehlleistungen sind, seine – der Generation, zu der er gehört, geschuldeten – muffigen sexuellen Fixierungen (man kann von einer Vorliebe für Alt-Herren-Witze reden) wirken wie eine fest verschlossene Tür in sein Gedankengebäude, die nur mit äußerster Anstrengung und aller Geduld und Aufmerksamkeit geöffnet werden kann. Das lohnt sich allerdings. Hat man sich erst einmal an die anspielungsreiche und exzentrische Ausdrucksweise gewöhnt, kann Schmidt süchtig machen. Und diese Liebe hält ein ganzes Leben an.

Schmidt2Arno Schmidt
Schwarze Spiegel
(suhrkamp BasisBibliothek 2006)

Zum Einstieg in sein überbordendes Werk sei hier seine feine kleine Erzählung “Schwarze Spiegel” angeführt, eine erstaunlich klassische Science-Fiction-Geschichte, von der es in der zeitgenössischen deutschen Literatur viel zu wenige gibt, weil hierzulande Genrewerke nicht ernst genommen und als Unterhaltung abgetan werden. (4) Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase liest sich diese Anti-Utopie flüssig und spannend und enthält doch alles, was ein Schmidt-Œuvre ausmacht. Eine weitere gute Möglichkeit, Schmidt kennenzulernen, sind seine Radioessays über meist vergessene Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts, in denen er die Ergebnisse seiner literaturarchäologischen Arbeiten als appetitanregende Häppchen serviert. Dass Johann Karl Wezel oder Karl Philipp Moritz heute wieder gelesen werden, ist der Schmidtschen Radio-Werbung zu verdanken, einige seiner weiteren, äußerst lesenswerten Entdeckungen gibt es beim 2001-Verlag in der Reihe “Haidnische Alterthümer”. Arno Schmidt war auch ein fleißiger Übersetzer englischer und angloamerikanischer Literatur. Hier seien eine kongeniale, stellenweise neudichtende Poe-Übertragung erwähnt, seine Verdienste um John Fenimore Cooper, Jules Verne oder auch Karl May, die in Deutschland als Jugendbuchautoren verschätzt und deren Werke verstümmelt wurden oder seine zugegebenermaßen exzentrischen Bulwer-Lytton-Übersetzungen, die allerdings nur antiquarisch erhältlich sind.(5)

Obwohl es Arno Schmidt Zeit seines Lebens nicht einfach fiel, von seinem literarischen Schaffen zu leben und er im Alter immer zynischer und bitterer wurde, gibt es doch eine Sache, um die ich ihn aufrichtig beneide. Er fand in dem außerordentlich intelligenten und belesenen Millionär Jan Philipp Reemtsma (6) einen Förderer, der ihn mit einem Geldbetrag unterstützte und damit aller materieller Sorgen enthob. Schmidt konnte sich in seinen letzten Lebensjahren in seine Zettelkästen und seine Literatur vergraben und ich nehme an, dass er genau dort glücklich war.

Wenn ich nicht unbedingt muss, dränge ich mich keinem mehr auf : ich habe im Zimmer weit größere Freiheit;
und die Welt der Kunst & Fantasie ist die wahre, the rest is a nightmare.
Arno Schmidt, Julia, oder die Gemälde

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(1) Arno Schmidt gilt vielen als eher zweitrangiger James-Joyce-Epigone, der oft noch schlechter lesbar ist als sein Vorbild. Die haben sich noch nie an Joyce im Original versucht. Arno Schmidt ist zumindest in einer Sache dem kurzsichtigen Iren überlegen: Er ist nie langweilig.

(2) Man versuche nur einmal, von Schmidts Haupt- und Meisterwerk “Zettels Traum” eine für Normalverdiener erschwingliche Ausgabe zu erhalten.

(3) Ein Link zur Schmidtschen Referenzbibliothek. Die meisten der Bücher sind urheberrechtsfrei und stehen als PDFs eingescannt zum Download zur Verfügung. Viele von ihnen gibt es allerdings auch bei den üblichen Verdächtigen als ordentlich überarbeitete EPUBs.

(4) Hier sei auf Franz Fühmann verwiesen, dessen Saiäns-fiktschen leider komplett vergessen ist. Über ihn und den Einfluss, den er auf meine Literatur hat, müsste ich auch einmal schreiben.

(5) Ich lese gerade in der Übertragung von Schmidt mit wachsender Begeisterung “Was wird er damit machen” von Edward Bulwer-Lytton. Diese alte zweibändige dtv-Ausgabe habe ich in einem Tübinger Antiquariat entdeckt. Bei mobileread gibt es – freilich in zeitgenössischen Übertragungen – einige weitere der Romane des viktorianischen Autors, den Schmidt sehr verehrte.

(6) Es sei an dieser Stelle wärmstens sein brillantes Buch “Im Keller” empfohlen, in dem er die Erfahrungen beschreibt, die er während und nach seiner Entführung machte.

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