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Der Weg, der in den Tag führt – Fantasyroman (Kapitel 8 – Teil 6)

Der Weg, der in den Tag führt
Eine Geschichte aus der Welt von »Brautschau«

Zwl

Vier Stäbe, um einen zu formen. Vier Stäbe, das Reich zu schaffen. Wehe, Serdan, das Alter greift nach dir. – Aber dies wird dir gleichgültig sein und nichtssagend. Denn es ist eine andere Geschichte und ich habe durchaus nicht vor, sie heute zu erzählen(1). Was für dich wichtiger ist: Unter den Kavernen dieser alten Stadt, in deren Überresten wir uns befinden, gibt es in der Tat einen Schatz. Da habe ich die Wahrheit gesprochen. Doch dieser Schatz ist nicht aus Gold und er hat für jemanden außer mir keinen Wert. Und nur du kannst ihn holen. Aber nicht, weil der Durchgang für mich selbst zu eng wäre. Ich könnte durch ein Mauseloch schlüpfen; schau mich an, ich bin nur noch ein Skelett, dem noch ein wenig Haut über den Knochen spannt. Es gibt einen anderen Grund, aus dem ich nicht in die Schatzkammer gelangen kann, die früher Worum, also „Raum des Krieges“ genannt wurde. Das kannst nur du, als Kind des jüngeren Blutes. Ich habe so lange auf dich gewartet.“

Lakmi hatte dem Alten aufmerksam zugehört und versucht, seinen Worten zu folgen. Log er sie diesmal nicht an? Sie wusste es nicht.

„Und weshalb kannst du diesen Worum nicht selbst betreten?“, fragte sie. Asgëir lächelte bitter.

„Weil es der Worum meines Feindes ist. Ich bin … ich war einer der vier Generäle, die die Schlacht in der Toten Wüste begonnen haben und nie beenden konnten. In dem Kriegsraum, in den du eindringen sollst, gibt es allerdings einen Gegenstand von unüberwindlicher Macht, der die Schlacht sofort beenden könnte.“

„Du lügst mich wieder an. Du kannst nicht einer der Generäle sein, die die Heere dort draußen befehligt haben. Diese Schlacht tobt seit tausenden von Jahren, das weiß in Karukora jedes Schulkind. So alt kann niemand werden! Oder …“, ihr kam ein erschreckender Gedanke, „… bist du selbst ein Daimon oder Golem?“

Asgëir lachte.

„Aber nein. Ich weiß, das ist für dich schwer zu glauben und es ist mir auch gleichgültig, ob du es tust, Mädchen. Aber damals, ihr nennt sie, glaube ich, die Zeit Launins, in den goldenen Jahren nach dem Untergang der Vorgänger, war der Tod beinahe besiegt und ewige Jugend kein Märchen mehr. Doch dieses Geschenk wurde nur wenigen gemacht, den Reichen, den Mächtigen, den Herrschern und unter diesen konnten es sich nur die wenigsten leisten. Soweit mir bekannt, gibt es nur noch vier von uns … vielleicht fünf. Wir haben uns von hier in alle Winde verstreut. Aber wir sind nicht hier, damit ich dir alte Geschichten erzähle, sondern um eine Schlacht und einen Krieg zu beenden, der schon viel zu lange dauert. Du musst dazu in den Worum, denn mich würden die Wächter an seiner Tür nicht einlassen.“

„Aber warum hast du mir das nicht gleich erzählt? Warum hast du mich betäubt und mich gefesselt?“ Lakmi hob anklagend ihre mit einem groben Strick zusammengebundenen Hände. „Und warum hast du mich in diesen kahlen Raum verschleppt?“

„Hättest du mir denn geglaubt?„Hättest du mir denn geglaubt? Würdest du dich denn nicht sofort auf mich stürzen, wenn ich deine Bande lösen würde? Du bist jung und kräftig und ich nur ein altes Klappergestell. Ich könnte mich deiner nicht erwehren. Und was diesen zugegeben ungemütlichen Raum angeht – nun, du liegst direkt auf dem Eingang zu den Katakomben, die zu dem Worum führen.“
Lakmi nickte langsam.
„Du hast recht. Deine neue Geschichte klingt noch verlogener als deine alte und ich würde dir die Augen auskratzen, wenn ich es könnte. Doch sage mir: Warum sollte ich dir helfen? Was hätte ich davon? Ich habe wenig Lust, mein Glück an diesen Wächtern auszuprobieren von denen du erzähltest. Nur weil … mein Blut … anders ist als deines. Sie müssen recht schrecklich sein, wenn du dich vor ihnen fürchtest.“

„Für dich ist das ganz ungefährlich, glaube mir. Die Wächter werden dir gehorchen. Du sollst nicht leer ausgehen. Dort unten im Worum liegt auch eine Karte, die dich quer durch die Schlacht der Maschinenheere unbeschadet nach Pardais bringen wird. Da willst du doch hin, oder? Es ist der Weg, der in den Tag führt.“«

Ein Raunen und Flüstern ging durch den hohen Saal, in dem atemlos Alis Geschichte gelauscht wurde. Auch der Namenlose und neben ihm die schöne Miladi richteten sich in ihren Stühlen auf. Allein Ómer trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte. Er wartete auf die ihn aus seiner Qual erlösenden rituellen Schlussworte, mit denen Alis sein Märchen beenden und damit das verabredete Signal für den Beginn der Palastrevolte geben würde. Er lauschte im Gegensatz zu den anderen nur mit halbem Ohr und vertröstete sich mit dem Gedanken, endlich dem eigenhändig erwürgten Namenlosen die Goldmaske vom bleichen Kindergesicht zu reißen und sie in einer großen Geste seine Tochter überreichen zu können. Schließlich trug sie den Thronfolger unter ihrem Herzen und würde unter Ómers Aufsicht als Regentin die Staatsgeschäfte übernehmen. Und mit all den ausländischen Würdenträgern und Honoratioren in dem Speisesaal würde es gegen diesen Staatsstreich keinen Widerstand geben – zumal überall die von Ómer bestochenen Soldaten standen.

Wenn nur dieser Alis endlich damit aufhören würde, von einem Märchen zum nächsten zu flanieren. Schon die Geschichte von diesem Nordmann war dem Großvezir viel zu lang gewesen, aber der alte Märchenerzähler schien ihm tausend und eine Nacht zu brauchen, bis er endlich zum Ende kam!

Alis schien Ómers wütenden Blick zu bemerken, denn er sah mit einem spöttischen Lächeln auf und wandte sich direkt an den Vezir und seine Gäste.

»Es gäbe viel über jene geheimnisvolle Karte zu berichten, die den Weg zu der Stadt weist, die der Krieg und die Zeit verschont haben, in deren Kanälen Milch und Honig fließen und in der das Leben ewig währt. Die Karte ging von Hand zu Hand und immer wieder verschwand sie für Jahrhunderte, tauchte dann wieder unter den ungewöhnlichsten Umständen auf. Es heißt, die Karte sei heute irgendwo im elfenbeinernen Palast versteckt. Doch all diese Geschichten will ich nicht heute erzählen, sondern sie mir für ein anderes Mal aufsparen. Für diese Nacht mag uns genügen, wie die Karte in die Hand von Lakmi kam, jener später so berühmten Reisenden, die man auch die „Unerschrockene“ nannte In dem Moment, in dem wir sie eben vor unserer kleinen Unterbrechung verließen, sah es nicht danach aus, als würde sie ihr Abenteuer mit Asgëir, dem geheimnisvollen Warter, heil und gesund an Geist und Körper überstehen können. Doch sie selbst hat uns die Geschichte, die ich euch erzähle, in einem ihrer vielen Bücher hinterlassen.

Der verlogene Unsterbliche hatte ihr zwar einen Schatz versprochen, wenn sie für ihn in den Worum eindrang, aber er traute ihr nicht so weit, als dass er sie von allen ihren Fessel befreit hätte. Er nahm ihr nur die Fußstricke ab und achtete dabei darauf, außerhalb der Reichweite ihrer Beine zu bleiben.

„Steh auf“, sagte Asgëir, „und gehe zurück zur Wand.“

Er hielt jetzt eine kleine Pistole in der Hand und zielte mit ihr auf Lakmi. Obwohl solche Vorgängerwaffen in Karukora verpönt waren und nach dem Gesetz des Namenlosen nur von den höchsten Rängen der Treuwacht getragen werden durften, erkannte das Mädchen den ungewöhnlich geformten Gegenstand sofort und sie beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen.

„So ist es recht. Meine Waffe mag zwar uralt und auch rostig sein, aber sie wurde von mir immer gepflegt, geölt und ist vollkommen funktionstüchtig. Auf diese Entfernung kann ich überhaupt nicht vorbei schießen.“

Ohne Lakmi aus den Augen zu lassen, beugte Asgëir sich herab und kehrte mit seiner freien Hand den Wüstensand am Boden zur Seite. An dieser Stelle kam ein Bügelgriff zum Vorschein, den er ergriff und an dem er mit sichtbarer Anstrengung zog. Und tatsächlich gelang es ihm, eine etwa drei auf drei Fuß große Bodenplatte zu lockern und sie mit einem letzten Kraftakt zur Seite zu schieben.

Lakmi trat neugierig einen Schritt nach vorne und spähte in das dunkle Loch, das sich nun unter ihr auftat.

[Hier geht es weiter …]


(1) siehe: “Zauberlehrlinge”, Roman aus der Welt von Brautschau

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