Nikolaus Klammer der in den Tag führt,Der Weg,Fantasy,Fortsetzungsroman,Literatur,Märchen,Phantastik,Roman,Science Fiction Der Weg, der in den Tag führt – Fantasyroman (Kapitel 8 – Teil 4)

Der Weg, der in den Tag führt – Fantasyroman (Kapitel 8 – Teil 4)

Der Weg, der in den Tag führt
Eine Geschichte aus der Welt von »Brautschau«

Zwl

Der Lehrer hatte weiter erzählt, dass niemand wusste, ob es jenseits der Ebenen des Ewigen Krieges noch etwas anderes als verbrannte, zu Glas erstarrte Erde und giftige, aktive Luft gab. Denn seit Menschengedenken war niemand mehr dorthin gegangen oder gar lebend von dort gekommen, um davon zu berichten. Der Osten war so vollkommen aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden, als hätte er niemals existiert. Jenseits der niemals endenden, wütenden Schlacht der drei Armeen, die auf den Feldern vor Lakmi tobten, gab es nichts außer eben dem Gerücht von einer einzigen glücklichen Stadt – von Paradis. Obwohl sie noch nie jemand erblickt oder bereist hatte, wurde behauptet, sie allein sei dem pfeifenden Tod entkommen. Paradis, allein der Name war Verheißung. Es war der Ort, an den sich der erste Namenlose am Ende seiner Tage zurück gezogen hatte. Die Stadt war ohne Zeit und Sorgen, alle Bewohner wandelten in ihren glänzenden Mauern geborgen in ewiger Jugend und Schönheit,waren in Frieden und Liebe einander zugeneigt und es hieß, dass dort der Tod keine Macht mehr über das Leben hatte. Lakmi war davon überzeugt, dass es Paradis nicht gab, sondern nur ein schönes Märchen war, von dem die Bewohner Karukoras träumten, wenn sie die Erinnerung an einen ein weiteren, arbeitsreichen und grausam heißen Tag in ihrer Wüstenstadt des Nachts auf ihre Diwane drückte und sie im Rauch des Hâsh ihrer Wasserpfeifen für ein paar Stunden Vergessen und Hoffnung suchten.

Nein, Lakmi war nicht an der sagenhaften Stadt und auch nicht an der endlosen Schlacht der eisernen Armeen interessiert. Es war nur der eigentümliche Stolz eines immer wieder benachteiligten Mädchens, das sich jahrelang hinter seinen Brüdern hatte einreihen müssen, der sie bewogen hatte, in diese letzte übrig gebliebene Himmelsrichtung aufzubrechen. Uns so stapfte sie entschlossen durch den wie Mehlstaub dünnen und trockenen Sand der Toten Wüste, in der sich längst alle Wege verloren hatten und nur noch der Kampfeslärm und die Sonne die Richtung anzeigten.

Hier, nur noch wenige Meilen vor dem Rand der mörderischen Schlacht, wo Granaten- und Kanonenbeschuss den Boden erschütterten und ein scharfer Geruch nach Verbranntem die Luft schwängerte, das Dröhnen der gewaltigen Kampfmaschinen, die wie die legendären Elefanten ihre grauen Rücken über die Dünen erhoben, ohrenbetäubend wurde, gab es längst kein Leben mehr. Die Wüste war tatsächlich so tot wie ihr Name, alles Getier und jeder Pflanzenbewuchs war längst geflohen oder vernichtet.

Doch Lakmi war in dieser grauenvollen Einöde nicht allein: Vor ihr, in einer kleinen Senke, in die ein ausgehöhlter und verwitterter Felsklotz seinen rechteckigen Schatten warf, war ein Zelt errichtet worden und ein kleines Feuer brannte vor ihm. Eine in weite, schwarze Wüstengewänder gehüllte Erscheinung saß an dem Lager und erhob sich, als das Mädchen sich vorsichtig umsehend zu ihr hinunter stapfte. Die große Gestalt nahm ihren Mundschutz ab und lächelte einladend. Auf Lakmi wirkte sie wie ein vollbärtiger Mann, den die Wüste frühzeitig hatte altern lassen und tausend feine Falten in sein wettergegerbtes, lederdunkles Antlitz geschliffen hatte. Doch die erstaunlich hellen, grünen Augen wirkten jung und strahlten erfreut.

Lakmi hatte schon einige Geschichten über Wüstengeistern gehört, die Wanderer in ihrem Reich mit Trugbildern verwirrten, in die Irre führten und sie in ihre unterirdischen Wohnstätten lockten, wie sie den Ärmsten ihre Seelen entrissen, von denen sie sich ernährten. Doch der Mann, der bei seinem Lager geduldig auf ihr Näherkommen wartete, sah ihr nicht wie solch ein Daimon aus; auch wenn sie eigentlich keine Ahnung hatte, wie sie sich einen vorzustellen sollte. Er schien ihr ein Bendâh zu sein, ein Angehöriger eines Nomadenvolkes, desseen Stämme in der Grauen Wüste im Westen von Karukora lebten. Sie konnte sich nicht erklären, wie es ihn ausgerechnet hierher verschlagen und warum er sein Lager so nah am Schlachtfeld aufgeschlagen hatte.

„Mögen die Winde der Wüste immer in deinem Rücken wehen“, sprach sie ihn an und verneigte sich in dem respektvollen Abstand zu ihm, den die Sitten forderten. Auch der Fremde verbeugte sich.

„Tritt näher und setze dich zu mir an mein Feuer. Iss von meinen Speisen, trinke mein Wasser und ruhe als Gast unter meiner Zeltplane“, erwiderte er dem Gesetz der Gastfreundschaft gehorchend, das bei allen Wüstenstämmen galt und heilig war.

„Mein Name ist Asgëir Mostar“, stellte er sich dann nach einem abschätzenden Blick vor. Asgëir Mostar war kein Nomandenname; er klang in den Ohren des Mädchens rau und herb wie Kieselsteine, die die Wellen des Marat aneinander reiben.

„As … Asgëir, ich heiße Lakmi und bin die Tochter von Lafar, dem Bürstenmacher und seiner Frau Nigar. Gleich meinen Brüdern bin ich auf der Wanderschaft, um mein Glück zu suchen.“

Asgëir nickte bei dieser Antwort kommentarlos, als wäre es vollkommen normal, in die Tote Wüste zu ziehen.Er setzte sich wieder Platz an seinem Feuer, über dem in einem Blechtopf eine wohlriechende Suppe köchelte und bedeutete Lakmi, sich zu ihm zu gesellen. Das Mädchen nahm die Einladung gerne an, denn mit der Abenddämmerung wurde es schnell empfindlich kalt.

Das Lager war durch die gleißend hellen Lichtkegel, die über die Ebenen des Ewigen Krieges tanzten, taghell ausgeleuchtet und Asgëir schien nichts zu verbergen.

„Und da führt dich dein Weg zum Glück ausgerechnet hier her an den Rand vom Nirgendwo? Was für ein seltsames Schicksal für ein so schönes Mädchen wie dich. Ich hätte jemand anderen erwartet.“

Lakmi spürte, wie sie errötete.

„Aber was ist das für ein günstiger Schicksalspfad für mich. Ich bin ein Bendâh vom freien Stamm der Lisboa und war ihr Delphi“, fuhr Asgëir fort.

Delphis, das waren die Heilkundigen und Schamanen der Nomaden, das wusste Lakmi. Viel mehr war ihr aber über ihre Lebensweise und Sitten nicht bekannt. Die Bürger von Karukora hatten mit den ihr Vieh – in der Hauptsache Ziegen und dürre Rinder – von Oase zu Oase ziehenden Bendâh, die sich auch manchmal als Karawanenbegleiter verdingten, wenig zu schaffen. Diese Nomanden betrachteten sich nicht als Untertanen des Namenlosen, sondern als ein freies und unabhängiges Volk ohne Herrscher und Herren. Sie waren jedoch in der Hauptsache im Süden oder in der westlichen Grauen Wüste zu finden und nicht hier, wo es keine Wasserstellen und keine Nahrung für den Stamm und sein Vieh gab.

Lakmi sah sich erneut um. Der Delphi war allein. Sie sah auch kein Reit- oder Transporttier. War er von seinem Stamm verstoßen worden? Ihr war durchaus aufgefallen, dass Asgëir in der Vergangenheitsform gesprochen hatte, als er über seinen Beruf des Schamanen geredet hatte. Als hätte sie ihre Gedanken ausgesprochen, nickte Asgëir wieder.

„Vor dreizehn mal zwölf Tagen hatte ich einen Traum“, begann er langsam und zögernd, als müsse er sich an diese Worte erst heran tasten. „Maraia, die Allbarmherzige, sprach in ihm mit mir. Ich solle allein nach Osten wandern, bis zu der Stelle, an der der Frieden endet und der Krieg beginnt. Hier solle ich mein Lager aufschlagen und auf den Wegfinder warten. Der Stamm der Lisboa ist arm und er konnte kein Reittier entbehren; aber der Pâsha Berda – unser Fürst – ließ mich schweren Herzens ziehen, denn der Ruf der Tränenreichen ist heilig und darf nicht ungehört verhallen. Doch niemand war glücklich, als ich mein Felleisen mit dem Allernotwendigsten packte und mich auf den mir vorbestimmten Weg machte. Ich will dich nicht mit den Beschwernissen und Gefahren meiner Reise langweilen, aber schließlich gelangte ich an diesen Ort und begann im Vertrauen auf die Allbarmherzige zu warten. Oh, das ist ein schrecklicher Ort – nicht für Menschen gemacht, obwohl hier einmal sehr viele lebten.“

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