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Der Weg, der in den Tag führt – Fantasyroman (Kapitel 8 – Teil 3)

Der Weg, der in den Tag führt
Eine Geschichte aus der Welt von »Brautschau«

Zwl

Das jüngste Kind von Lafar und Nigar war ein fröhliches Mädchen mit kohlenschwarzen, lebendigen Augen und einer unzähmbaren, eisenholzfarbenen Lockenmähne, die ihr wie ein schäumender Wasserfall auf die Schulter floss. Sie war wild und unbekümmert und dabei so hübsch und liebreizend anzusehen, dass selbst die vertrockneten Herzen der hartgesottensten und verbittertsten Greise bei ihrem Anblick heiß und lebendig schlugen und sich an ihrer Schönheit erwärmten.

Obwohl Lakmis Mädchenknospe eben erst auf das Wundervollste erblühte, war sie ein Wildfang und beteiligte sich wie selbstverständlich an den Spielen und Streichen ihrer Brüder – war meist sogar die Anstifterin. Niemals zog sie einen ihrem Geschlecht angemessenen Sarê oder ein Mädchenkleid an, sondern hatte sich schon in ihrer Kindheit angewöhnt, die abgelegten Pluderhosen und Hemden ihrer älteren Brüder aufzutragen. Da sie, bis sie zwölf Jahre alt war, von allen außerhalb ihrer Familie für einen Knaben gehalten wurde, wurde sie auch nicht, wie es angemessen gewesen wäre, von ihrer Mutter erzogen. Sie ging wie ihre Brüder in die Armenschule des Handwerkerviertels, wo sie durch ihren wachen und regen Geist auffiel und sich die Bildung eines jungen Mannes aneignete. Sie konnte rechnen, lesen und schreiben, war aber eine schlechte Köchin, in allen Arbeiten des Hauses unerfahren und konnte weder Nähen noch Stricken.

Doch da griff das Schicksal ein, diese blinde und manchmal auch blindwütige Tochter der Allerbarmerin, und es geschahen zwei Dinge, die Lakmis Lebensweg in eine andere Richtung drängten. Zum einen – ich erwähnte es bereits – erblühte sie zu der bezaubernden Wüstenblume, die sogar in die Lumpen eines Bettlers gehüllt ihren Liebreiz und ihr Geschlecht nicht mehr hätte verbergen können und zum anderen erkrankte ihr Vater und wurde bettlägrig. Dies geschah gerade zu einem Moment, in dem ihre Lehrer sich entschlossen hatten, das so ungewöhnlich begabte Mädchen nach Kräften zu fördern und sie deshalb bei der Verwaltung des Namenlosen vorsprachen, wo man nach einem alten herrscherlichen Edikt die Armenschulen mit Spenden und hervorragende Schüler und deren Familien mit Stipendien und anderen Zuwendungen unter die Arme griff.

Es war nicht die Regel, dass solch ein Schulantrag für ein Mädchen gestellt wurde, obwohl es Frauen damals in der wohltätigen Bingh-Herrschaft grundsätzlich gestattet war, die höheren Lehranstalten und die Universität zu besuchen und sich sogar an den Al-Beqr-Prüfungen zu versuchen. Wenn man den Aufzeichungen trauen darf, soll es während der ersten Dynastie sogar die eine oder andere Vezirin gegeben haben. Denn so wie der erste Namenlose aus der Mitte des Volkes getreten war, so wussten die Vezire und Beamten der Bingh, dass gerade unter den Ärmsten und den Glücklosen oftmals der wahre Reichtum Karukoras schlummerte. Es waren nicht die goldenen Paläste, nicht die Spezereien und Handwerkskünste, weder der Hofstaat noch der Adel, sondern die einfachen, hart arbeitenden und jeden Tag aufs Neue um ihre kärgliche Brotsuppe kämpfenden Menschen, die der wahre Schatz des Juwels der Wüste ausmachten. Denn hatten nicht sie die Paläste erbaut, mit ihren schmutzigen Händen voller Blasen und Wunden erst diesen makellosen Edelstein geschaffen?

Doch der Antrag der Lehrer, Lakmis Eltern zu unterstützen und ihr den Besuch einer weiterführenden Schule zu ermöglichen, kam zu spät. Denn Lakmi musste ihrer Mutter bei der Pflege des kranken Bürstenmachers und der Weiterführung seines Geschäfts helfen und dies war eine Aufgabe, die die beiden rund um die Uhr beschäftigte. Die gehorsame Tochter beendete von einem Tag auf den anderen ihre Schulbesuche, legte die Knabenkleidung ihrer Jugend ab und ein schäbiges Hauskleid an, ließ die wilden Spiele im Staub der Gassen. Die Nachbarn sahen sie nur noch beim Wasserholen vom öffentlichen Brunnen oder für Besorgungen des ärmlichen Haushalts ihrer Eltern aus dem Haus treten. Immer folgten ihr allerdings dabei ein paar verliebte Jungen aus dem Viertel und auch aus den reicheren Teilen der Stadt, denn ihre Schönheit hatte sich herumgesprochen. Die verliebten Knaben warfen ihr heimlich Blicke zu und wurden ihr recht lästig, da sie versuchten, mit ihr anzubändeln. Doch alle ihre Unternehmungen waren vergeblich; Lakmi sah bei ihren Gängen durch das Viertel kaum auf und wurde ihr einer der jungen Männer doch zu aufdringlich, musste er damit rechnen, dass ihm das kräftige Mädchen ein blaues Auge schlug.

Schließlich kam der Tag, an dem Lafar seine Söhne Masur, Seqr und Jasde zu sich rief, jedem eine Bürste gab und die drei auf die Suche nach dem wahren Glück in die Ferne schickte. Nachdem sich ihre Brüder verabschiedet hatten und die Tränen vergossen worden waren, trat nun auch Lakmi in das Krankenzimmer ihres Vaters und setzte sich zu ihm auf die Kante seines Lagers.

»Und? Hast du für mich keine Bürste?«, fragte sie. »Darf ich mich nicht ebenfalls auf den Weg machen und mein Glück suchen?«

Lafar machte Ausflüchte, beschwor seine Tochter, Vernunft anzunehmen. Die Welt dort draußen wäre nichts für ein Mädchen ihres Alters, sie wäre grausam und hinter jeder Biegung des Weges lauerten für Frauen die Schande oder die Sklaverei. Ihr Platz sei an der Seite ihrer Mutter, die ohne sie weder ein noch aus wisse und allein nicht das Bürstengeschäft weiterführen könne. Ob sie wolle, dass ihre Eltern verhungerten? Doch Lakmi ließ sich nicht beirren:

»Seqr ging nach Norden, Masur nach Süden und Jasde nach Westen. Eine Himmelsrichtung ist noch übrig und diese werde ich beschreiten. Ob mit deinem Segen oder ohne ihm, ob mit oder ohne Bürste: Im Osten liegt ein Pfad für mich und ich werde ihn beschreiten!«

Der Vater entsetzte sich:

»Dort sind die Tote Wüste und die Felder des Ewigen Krieges. Im Osten lauert nur der Tod auf dich, mein Kind. Ich werde niemals zustimmen und dich ziehen lassen!«

Lakmi nickte bitter. »Dann ist alles gesagt und mir bleibt nur noch, mich von Mutter zu verabschieden. Lebe wohl und halte das Versprechen, das du meinen Brüdern gegeben hast. Erwarte sie und auch mich übers Jahr und einen Tag wieder zurück.«

Seufzend und schweren Herzens verließ das Mädchen das Krankenzimmer, kleidete sich zum ersten Mal seit langem mit der zurückgelassenen Kleidung ihrer Brüder und packte ihre wenigen Habseligkeiten. Sie schulterte ihr Felleisen, umarmte die verzweifelte Nigar und verließ das Haus. Es war nicht Lakmis Rucksack, der sie niederdrückte: Denn schwer wiegen nicht die Dinge, die wir mit uns tragen, sondern jene, die wir hinter uns gelassen haben.

Da es damals kein Stadttor gab, das aus Karukora hinaus in die Tote Wüste führte, war Lakmi gezwungen, einen großen Umweg zu gehen. Noch lange begleiteten sie deshalb in der Ferne die Türme, Kuppeln und Fahnen ihrer Heimat und quälten mit ihrem vertrauten Anblick ihr wundes Herz. Schließlich konnte sie ihnen aber doch den Rücken zuwenden und als sie sich einmal umdrehte und zur untergehenden Sonne hinüber sah, da lag Karukora hinter einer der schmutzig-grauen Dünen der Wüste verborgen. In dieser wolken- und mondlosen Nacht weinte Lakmi unter dem eisigen Blick der tausend mal tausend Sterne, die wie Diamanten in schwarzem Lavasand glitzerten.

Doch am nächsten Morgen waren die Tränen getrocknet und sie ging mutig auf das ferne Dröhnen und Beben zu, das sie wach gehalten hatte und sie zu den Feldern führte, auf denen sich drei unsterbliche Armeen seit den letzten Tagen der Vorgänger wie wütende Hornissenschwärme bekriegten und doch keinen Sieger fanden. Einer der Lehrer an der alten Schule des Mädchens hatte erzählt, es sei an der Stelle, an der sich heute die Tote Wüste befand, einmal ein sanftes Gebirge mit dunklen Wäldern, kühlen Seen, lichten Weiden und prosperierenden Dörfern gewesen und die Landschaft sei von einem dichten Netz aus fischreichen, klaren Flüssen durchzogen gewesen, die sich alle in den wasserreichen Marat ergossen, der allerdings damals nicht in den Südlichen Ozean, sondern in ein anderes Meer floss, das zu jener Zeit weit entfernt im Osten lag. Für Lakmi war dies nur eine weitere jener unglaubwürdigen Erzählungen gewesen, der sie nur mit halben Ohr lauschte, während sie verträumt hinüber zu den feurig roten Blüten der Hibiskusbüsche im Hinterhof sah und mit der Müdigkeit kämpfte, weil sie wieder die ganze Nacht lang mit ihrer Mutter Wäsche gewaschen und Weidenzweige in warmem Seifenwasser gelaugt hatte, bis sie braun geworden waren. Das alles hatte mit ihrem Leben nichts mehr zu tun.

[Fortsetzung nächsten Mittwoch …]

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