l Schreiben ist eine seltsame, unbequeme Tätigkeit. Es beginnt mit einem Vorwurf der Erkenntnis. Diesmal quält mich ein nahezu übermächtiger Vorwurf. Er ist mir fremd geworden. Vor ihm hat sich mein Verstand lange verborgen:
Ich werde von mir selbst schreiben. Das wird nicht leicht sein, nachdem ich so lange geschwiegen habe. Schon beim Niederschreiben dieser wenigen ungelenken Worte leide ich an meinem plumpen Stil. Jeder Satz fällt schwer wie Blei. Und lächerlich widersprüchlich behindern mich gerade die Umstände, die mich zwingen, Rechenschaft abzulegen, dies auch zu tun.
Was ist der wahre und ehrliche Grund, der mich verleitet hat, den Vorwurf „Ich“ auf dieses Papier zu kritzeln? Vielleicht ist die Frage selbst schon eine Antwort.
Die Tagesläufe beginnt er tastend.
Obwohl sein Schlaf tief war, ist er sofort wach und bei Sinnen. Augenblicklich konzentriert er sich auf seinen flachen, ruhigen Atem, der ihm so wichtig ist. Er macht deshalb immer Übungen zwischen seinem Erwachen und dem Aufrichten des Oberkörpers. Dann sucht er geduldig seinen Rhythmus. Er hebt und senkt bei jedem Atemzug vorsichtig den Brustkorb und nähert sich dem Punkt, an dem die Schmerzen beginnen. Jedes Einschnaufen bringt ihn ein winziges Stück heran. Der endgültigen Konfrontation weicht er jedoch aus. Obwohl er jeden Morgen mit dem Gedanken erwacht, heute den entscheidenden Kampf zu beginnen, lässt er sich von seiner Furcht besiegen. Schon wenn der Druck nur ein klein wenig das normale Pochen überschreitet, er für ein Nu die Rippen bohrend an der Lunge spürt, gibt er resigniert auf. Dennoch beharrt er in kindlichem Eifer auf seiner Übung. Sie ist sein Ernst. Er weiß noch: Einer wollte sie ihm ausreden, ein Verwandter, an den er sich kaum erinnern kann, irgend Einer, denn er ist oft verwandt. Er lacht über solch ein Ansinnen. Er weiß, er ist süchtig nach seinen Übungen. Er will ihnen nicht entfliehen, weil er sie braucht.
Spät erhebt er sich, um die Sonnenstrahlen zu meiden, die jetzt die zusammengezogenen Ränder der Vorhänge gleißend fransen und sich merklich seiner Ruhestätte nähern. Er geht dann ein paar betonte und zärtlich langsame Schritte um das Bett zum Tisch hinüber. Dieser Tisch ist eine liebe Gewohnheit. Er freut sich bereits während seiner Atemübungen auf seinen Tisch.
Auf der Tischplatte stützt er sich immer an der selben Stelle ab. Er benutzt dazu die nach außen abgewinkelte rechte Hand. Diese Stelle hat er dadurch abgenutzt. Statt des dunkelgrünen Furniers ist hier ein heller, ovaler Fleck. Zu Anfang, als der Tisch noch neu war, hatte er seinen Punkt mit Kreide markiert. Er liebt dieses schwere Lasten, sein stöhnendes sich auf die Hand kippen und dann durch den Arm und Tisch stützen lasse. Er hat diesen Tisch nur deshalb ins Zimmer gestellt, um sich an ihm stehend auszuruhen. Auch wenn er wie zufällig eine Vielzahl alter Zeitschriften auf ihm verstreut hat, war es der einzige Grund.
Nach vorne über die Tischplatte gelehnt wirkt er alt und krank. Er hat ein schweißiges, graues und halb gelähmtes Gesicht. Hinter den fast geschlossenen, flackernden Augen mit den faserigen Wimpern schimmert matt das ungesunde Rote des Augapfels hervor. Speichel rinnt ihm in einem beständigen Fluss aus den Mundwinkeln und nässt den schwarzen Nadelstreifenanzug, den er nicht einmal zum Schlafen auszieht und der nach Urin und Verdautem stinkt, dessen Geruch auch die Wohnung längst angenommen hat. Seine zitternden, unsicher tastenden Hände sind fett und fett geädert. Nichts außer seinem fleischigen Geschlecht, das er nächtelang beobachtet, ist sonst noch so fett an ihm. Die Gestalt ist mager, dürr, brüchig.
Er isst manchmal etwas, wenn er hier am Tisch steht. Es sind nur wenige Lebensmittel, die er findet. Meist sind sie verschimmelt und gefährlich scharf. Aber der Geschmack erreicht nie die Bedeutung seiner Gleichgültigkeit. Dann humpelt er weiter. Trotz der ewigen Dämmerung in diesem Zimmer ist es das Vorwärtstaumeln eines von der Helle einer starken Sonne geblendeten Menschen. Er tritt übrigens nie ans Fenster. Sorgsam meidet er den schmalen Strahl Licht, der ihm langsam durch das Zimmer wandernd folgt. Wenn es dämmert, kehrt er zurück zu seinem Bett, liegt und wartet auf den Schlaf. Er harrt mit pfeifendem Atem und betrachtet sein unruhiges Geschlecht.
Ich weiß das alles, denn ich habe ihn gesehen, habe durch ihn hindurch in einen Spiegel gesehen und einen Menschen entdeckt. Ich sitze jetzt auf dem herangezogenen Bett an seinem Tisch und schreibe über ihn.
Es gibt noch mehr Dinge, die ich von ihm weiß.
Das gehört dazu: Er ist.
2 Er ist. Wenn ihn ein Verwandter besucht, behauptet er, dieses Sein sei mehr, als er erwarten könne. Dabei weiß er um die Banalität dieses Satzes. Er sagt das nur, um die Verwandten zu beruhigen.
Dann erzählt er ihnen von dem Heiligen Buch, erzählt vom Mann und von einer Frau, die vielleicht krank, vielleicht auch nur müde war. Er deutet, legt aus. Er spricht von der Penisschlange des Mannes, der sich die Frau verweigerte, die ihm dafür ihre Brüste, die Früchte der Erkenntnis, reichte. Es sei zu früh gewesen, sagt er dann, und eben dies sei die eigentliche Vertreibung: Selbst- statt Arterhaltung.
Er hat längst begonnen, sich selbst zu glauben. So gern erzählt er diese Geschichte. Seine Auslegungen des Buches vertreiben die wenigen Besucher noch schneller als sein Gestank. Wenn er allerdings in den frühen Augenblicken des Erwachens, bevor er noch seine Übungen beginnt, ehrlich mit sich wäre, dann muss er zugeben, wie sehr er es genießt, seine Verwandten zu vertreiben. Einige wenige wissen Entgegnungen, oft sind sie höhnisch, manchmal ernsthaft, immer laut und kopfschüttelnd. Seine Argumente provozieren ärgerliche Widerworte. Aber er lässt nicht mit sich handeln. Er verschränkt die Arme. Er gibt sich überzeugter, als er tatsächlich ist. Er bleibt dabei ruhig. Seine Stimme klingt höher. Aber ruhig bleibt er, das ist er seinem Atem schuldig. Lange bleibt er in dieser Haltung, auch wenn sein Besuch längst gegangen ist.
Er hat noch die Nächte. Sie sind wichtig für ihn. Er liegt auf seinem Bett, oben auf der klammen, schmutzstarren Wäsche. Zuerst sieht er zur Decke, auf der die getrockneten Speichelreste kleben, die er in seinen Spielen hinauf gespuckt hat. Er sieht sie glänzen. Dann öffnet er hastig mit seinen fetten Händen die Hose, zieht gierig sein Geschlecht hervor. Er packt es fest mit der Linken, schüttelt es, bis es sich versteift. Das alles macht er, ohne hinabzusehen, ohne auch nur irgend etwas zu denken oder zu empfinden. Er tut es, weil er es in jeder Nacht tut.
Dann erst blickt er vorsichtig an sich herab, schaut die Erregung und schaut und schaut. So liegt er die Nacht hindurch, bis er endlich am frühen Morgen einschläft. Häufig gibt es auch Nächte, in denen ihn seine Faszination wachhält. Er manipuliert sich nur, wenn die Steife seines Geschlechts nachlässt. Nie hat er dabei einen Erguss, er meidet ihn ängstlich. Er liegt nur, den ganzen Körper hingestreckt, den Kopf durch ein Kissen erhöht und starrt auf sein zitterndes Geschlecht. Nur dies und die morgendliche Übung sind wichtig für ihn. Seine restlichen Bewegungen sind Reaktionen. Er reagiert auf die Umwelt, während er sich auf eine seiner Handlungen vorbereitet und ihnen allein Bedeutung beimisst.
So lebt er. Aber da ist noch eine Fotografie. Er sieht sie aber nur selten an. Er hat sich an sie gewöhnt. Sie ist da, entgeht jedoch seiner Aufmerksamkeit entkommen. Manchmal stellt er sich vor das Bild, versucht die Motive zu ergründen, die ihn bewogen haben, es aufzuhängen. Dann staunt er. ‘Viele erkennen und sehen doch nur das eine, weil sie e wollen’, denkt er dann. Der Satz gefällt ihm. Er lacht und vergisst das Foto, bis er es zufällig an der Wand wiederfindet. Es ist nicht groß, eine aus einer Zeitschrift herausgerissene Seite. Er hat sie wahrscheinlich einmal mit einer Nadel an der Wand über seinem Tisch befestigt. Er weiß nicht mehr, wann das war. Er kann sich tatsächlich nicht mehr erinnern, ob er das Foto wirklich aufhängte. Manchmal vermutet er, es hing hier bereits, als er die Wohnung zum ersten Mal betrat. Doch er macht sich selten Gedanken um solche Dinge, sie sind ihm nicht wichtig. Wichtig ist das Bild. Es ist eine Werbeaufnahme. In der unteren Hälfte steht viel Text. Einige Wörter und die Überschrift sind dick gedruckt und treten deutlich hervor. Das Foto zeigt ein Auto, ein glattes, poliertes und sauberes Gefährt, das ausgeglichen und hell der Bewegung harrt. Eine wenig bekleidete Frau liegt halb auf der Kühlerhaube.
Er würde das Bild vermissen, wenn es plötzlich nicht mehr da wäre. Das würde ihm sofort auffallen, auch wenn er es im Augenblick nicht beachtet. Es würde ihm wie der Tisch oder das Bett fehlen.
3 In der letzten Nacht wurde ich durch das heisere Bellen eines Hundes abgelenkt. Nachdem ich ihn erschlagen hatte, fand ich glücklicherweise wieder zurück.
4 Er hat einen Verwandten begraben. Er meint, es sei noch nicht lange her. Da seine Tage jedoch ohne Einschnitt vergehen, er nur im Spiegel ein Bild der Zeit sehen kann, mag er sich irren. Aber es ist für ihn nicht von Belang, nur die Tat zählt.
Er kann sich genau erinnern. Es war ein guter Tag, denn gleich am Morgen während seiner Übung war es ihm gelungen, ganz nah an den Schmerz zu treten. Glücklich lag er nach der Übung in seinem Bett, länger als an anderen Tagen. Seine Sonne hätte ihn dadurch fast gefangen.
Als er sich dessen plötzlich bewusst wurde, erhob er sich schnell, begann seinen Tageslauf verspätet. Um Zeit aufzuholen, schleppte er sich eilig durch das Zimmer, stützte sich nur kurz am Tisch auf und suchte dann in der Küche nach etwas Essbaren in seiner Reichweite. Dabei fand er den Verwandten. Der Mann lag in der Küche hingestreckt. Kurz wunderte er sich über die seltsame Verrenkung, die der Leib der Leiche machte; warum sie eingezwängt ausgerechnet in dem schmalen Zwischenraum von Herd und Kühlschrank lag, beide Hände in den Läufer gekrallt, blutig und von Schmutz starrend. In seiner ersten Reaktion tappte er trotzdem zum Kühlschrank, um etwas graue Wurst hervor zu holen. Ihm wurde aber noch rechtzeitig die Pietätlosigkeit seiner Handlung bewusst. Er schloss die Tür des Kühlschranks vorsichtig, nickte nachdenklich dem Verwandten zu seinen Füßen zu. Das blutverkrustete und in Schmerzen verzerrte Gesicht schien ihm verständnisvoll.
Er machte nicht gern, was jetzt zu tun war. Es war viel zu viel Arbeit für seinen alten und kranken Leib. Es brachte seinen Tagesplan noch mehr in Unordnung. Aber es musste getan werden, denn die Leiche lag ungünstig. Er würde jedes mal über sie steigen müssen, wenn er in das nächste Zimmer wollte. Er wusste aus Erfahrung, wie schädlich eine hebende Bewegung seiner Beine für seinen Atem war. Deshalb schlurfte er ja nur langsam mit den Füßen über die Dielen. Also wand er sich um und ging hinüber in den großen Raum mit der Maschine, dem Spiegel, und dem kleinen Schrank. Die klemmende Tür öffnete er so sacht, wie es ihm möglich war. Er wollte ein Knarren der Scharniere vermeiden. Er glaubte, ein lautes Geräusch würde seinen Verwandten stören. Er wühlte in den im Schrank liegenden Kleidungsstücken, bis er endlich den hellen Anzug fand, den er immer zu Beerdigungen trug. Er legte seine Alltagskleidung ab und lachte unterdrückt, als er auch seine besudelte Unterhose vom Gesäß streifte. Nackt zu sein, war befreiend, aber er gönnte sich noch keine Pause. Er schlüpfte in den hellen Stoff, drehte vor dem Spiegel, gefiel sich. In diesem Moment wusste er, dass dies ein wirklich guter Tag werden würde. Leider war es auch ein anstrengender: Er musste die Leiche in dem kleinen Raum, der an das Schlafzimmer grenzte, beerdigen. Den Parkettboden dieses Zimmers hatte er schon vor längerer Zeit verheizt. Dort kam die nackte Erde zum Vorschein.
Er wühlte erneut in dem Schrank und fand einen dreckverkrusteten, rostigen Spaten. Er konnte sich erinnern, dass er ihn schon mehrmals für den gleichen Zweck benutzt hatte. Er nahm den Stiel des Spatens auf die Schulter und schlurfte in den kleinen Raum. Dort suchte er sich eine geeignete Stelle nahe an der Wand und begann zu graben. Er ließ sich Zeit, denn diese Tätigkeit war seinem Atem gefährlich wie keine andere. Die Erde war weich und nachgiebig, aber er benötigte beinahe den ganzen Tag für das Ausheben der Grube. Obwohl er so langsam arbeitete, ermüdete er rasch. Spitz stach etwas beharrlich in seine Seite. Sein Puls raste und er keuchte hektisch. Als er endlich aus der knietiefen Grube kriechen konnte und den Spaten auf den ausgeschachteten Erdhaufen warf, kämpfte er lange mit seiner Erschöpfung und seiner Mutlosigkeit.
Er kroch zurück zu seinem Bett und wartete, bis sich seine pumpende Lunge beruhigt hatte. Darüber wurde es Nacht. Heute würde er kein Spiel mit seinem Geschlecht haben können. Jetzt folgte der schwierigste Teil seiner Bemühungen: Er würde den Leichnam aus der Küche zu der Grube schleppen. Sein Verwandter war dünn und längst ausgeblutet. Darüber war er froh. Allerdings machte ihm die Leichenstarre zu schaffen.
Zentimeterweise, mit langen Erholungspausen dazwischen, erledigte er sein Werk. Endlich konnte er den Toten in sein Grab gleiten lassen. Er richtete sich erleichtert auf. Tanzende Schwärze kochte um ihn herum. Er setzte sich auf den Erdhaufen, um erneut zu Kräften zu kommen. Erst in den Morgenstunden gelang es ihm. Er beendete seine Arbeit nun flink, füllte das Grab wieder mit Erde. Dann humpelte er zurück in den großen Maschinenraum, hin zu dem mannshohen Spiegel, den er wie eine Türe zur Seite klappte. Er gab dadurch den Blick auf einen Wandschrank frei, der mit Büchern gefüllt war. Der Alte achtete nicht darauf, was für ein Buch er griff. Es ging nur darum, mit einem Buch in der Hand ein paar ehrfurchtsvolle Worte zu sprechen. Das war Tradition.
Also stellte er sich vor den Grabhügel, klappte den dünnen Band auf und las mit getragener Stimme einen Absatz vor:
“Die populärste Sprache für Mikrocomputer ist ohne Zweifel BASIC (Beginner ‘s All Purpose Symbolic Instruction Code). Es gibt praktisch keinen Personalcomputer, der nicht in seiner Standardausrüstung mit dieser Sprache ausgerüstet ist oder für den keine BASIC-Version geliefert wird. Anfang der 60er Jahre wurde BASIC zu Lehrzwecken für den Einsatz auf Großcomputern entwickelt. Von Bill Gates, dem heutigen Präsidenten von Microsoft, wurde BASIC auf dem ersten Microcomputer, der die 8080-Prozessoren von Intel nutzte, als Interpreter zur Verfügung gestellt.”
Er brach ab, schwieg voller Pietät und ehrlicher Trauer. Dann sagte er: “Amen.”
Das war ein guter Tag.
5 Etwas in mir ist verwirrt. Ich bringe die Sätze nicht so deutlich zu Papier, wie sie in meinem Kopf entstehen. Alle Klarheit schwindet bei dem Versuch, sie zu fassen. Immer wieder stocke ich aufs Neue, bleibe ich in einer Beschreibung stecken, die die Wahrheit nur streift, manchmal auch lügt. Aber gibt so viele Dinge, die ich erzählen will. Ich will den Kern greifbar machen.
Habe ich schon vom Geruch geschrieben? Jedes der vielen Zimmer seiner Wohnung hat einen ganz besonderen, spezifisch eigenen Geruch. Ich traue mir zu, nur mit Hilfe meiner Nase blind heraus zu finden, in welchem Zimmer ich gerade bin.
Da ist zuerst das Schlafzimmer, das Zimmer, in dem er sich meist aufhält. Es riecht stark nach ihm, nach seinem besudelten Anzug, nach dem Verdauten, dessen er sich in der Ecke neben dem Tisch entledigt. Die Tür dort drüben führt in das Beerdigungszimmer. Dessen scharf pilziger Modergeruch wird von dem vom Schlafzimmer hereinziehenden Gestank überlagert. Die Küche riecht streng nach Seife, ein wenig auch nach Urin, da er sein Wasser regelmäßig im Waschbecken ablässt. Das Maschinenzimmer ist groß und leer, meist verschlossen. Der Geruch liegt dort abgestanden, in der Nähe des Schrankes faulig und süß. Dann gibt es noch einen letzten Raum, den er nie betritt, da seine hellen gläsernen Flügeltüren keine Vorhänge besitzen. Sie führen hinaus, zum Draußen, von dem er sich abgeschottet hat. Manchmal beugt er sich an der Tür zu diesem Zimmer herab, führt seine geblähten Nasenflügel an das Schlüsselloch und atmet tief den dampfigen Geruch von in der Sonne verbrennendem Gras. Durch diese Tür kommen seine Verwandten zu ihm.
Doch es gibt noch mehr Gerüche, vielerlei Gerüche, sie sind so vielfältig wie die unglaubliche Anzahl an Wandschränken und schwarzen Gängen, die sich hinter den Wänden verbergen. Früher erkundete er sie oft, aber er ist in ein Alter gekommen, in dem die Interesselosigkeit am allen Dingen, die nicht zu seinem Tageslauf gehören, seine Neugierde überwiegt. Zudem hat er nur selten etwas wirklich Bedeutsames auf seinen Wanderungen gesehen.
Vielleicht schreibe ich später darüber. Es ist noch etwas über den Geruch zu sagen. Er ist überall aufdringlich präsent, aber er selbst bemerkt ihn nicht, es sei denn, er müht seine Nase an das Schlüsselloch des Flügeltürsaals, dann erinnert er sich. Er geht selten zu dieser Tür. Er ist genügsam geworden und pendelt nur noch zwischen Bett und Küche hin und her. Sonst liegt er, schläft und beobachtet sich. Manchmal wird er durch die Begegnung mit Verwandten aus seinem Tagesrhythmus geworfen. So vergehen seine Tage.
Doch nun will ich endlich von dem Besuch berichten, der kein Verwandter war.
2 Antworten auf „Tradition – Teil 1 (Erzählung)“
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