Der Weg, der in den Tag führt
Eine Geschichte aus der Welt von »Brautschau«
Durch den Befehl des untoten Sadon zum Leben erweckt schoben die zehn funktionstüchtigen Goleme ihre wie von Quecksilber überzogenen, glänzenden Körper nach vorne, klapperten aufgeregt zwitschernd mit ihren dünnen Gliedmaßen und begannen erstaunlich flink, Straif ganz ähnlich wie die Wölfe vorhin einzukreisen. Die an ihrer Spitze glühenden Finger hielten sie dabei immer direkt auf ihn gerichtet, deuteten auf ihn. Waren dies Vorgänger-Waffen, die dem Krieger unbekannt waren?
Straif stand wie betäubt. Gegen solch eine Übermacht konnte er nicht siegen. Er überlegte fieberhaft. Wo war die Schwachstelle dieser grotesken Kreaturen? Es musste einfach eine geben! Aber zuerst musste er ihrem Ring entkommen, mit dem sie ihn fangen wollen. Noch war er nicht ganz geschlossen, denn zwei der Goleme konnten ja dem Auftrag ihres Meisters nicht gehorchen, weil die Zeit die Räder in ihrem Inneren hatte verrosten lassen. Sie verharrten weiterhin stumm und bewegungslos am Rand der Arena neben den summenden Maschinen. Aber dem Krieger blieben nur noch Augenblicke!
Gedankenschnell quetschte sich Straif durch eine der Lücken und entging nur knapp den nach ihm greifenden Klauenhänden. Er fiel halb gegen einen der kaputten Goleme und dieser kippte aus dem Gleichgewicht gebracht einfach zur Seite. Allzu standfest waren diese Gegner ja nicht, aber er durfte sie nicht unterschätzen!
Wie zur Bestätigung traf ihn in diesem Augenblick ein brennend heißer Schmerz an der Wade. Überrascht blickte Straif nach unten und sah vorne aus seinem Schienbein einen nadeldünnen, roten Lichtstrahl austreten, der wie ein dünner, gespannter Bindfaden von dem Finger eines der Goleme ausgehend, die Luft durchschnitt und dabei mühelos wie ein glühendes Messer durch einen Block Butter durch sein Bein gedrungen und vorne wieder ausgetreten war.
Der Lichtstrahl bohrte ein dampfendes Loch in die Maschine, die direkt vor Straif stand. Deren funkelnde Lichter erloschen mit einem Schlag. Während der Kämpfer vor Schmerzen schreiend auf die Knie stürzte, schlug die Maschine Funken und stand mit einem Mal rauchend in Flammen. Gleichzeitig erstarrte der Golem, der mit der Apparatur verbunden war, wieder zu einer Statue und seine grünen Augenlichter wurden grau.
Sadons Stimme überschlug sich:
»Verflucht! Wir brauchen den Bewahrer lebendig. Ihr sollt ihn fangen und nicht in Scheiben schneiden! Schließlich soll mein Geist später nicht in einem Krüppel hausen.«
Straif fasste sich stöhnend an die Wunde am Bein. Sie blutete nicht, denn der gefährliche rote Strahl hatte sie wie das erhitzte Werkzeug eines Arztes kauterisiert und sie war durch den eisigen Dampf, der weiterhin den Boden bedeckte, betäubt. Verzweifelt biss sich Straif auf die Lippen. Aber jetzt erkannte er, wie er Sadon besiegen konnte, auch wenn er noch nicht wusste, wie er es anstellen sollte. Wenn – wie ihm gerade vorgeführt worden war – dessen Geist nicht in dem regungslosen Leichnam, sondern wie bei den Golemen in der Maschine links von seinem Thron hauste, dann war Straif gerettet, wenn er diese irgendwie zerstören konnte. Sein Schwert, das er bei seinem Sturz hatte fallen lassen und außer seiner Griffweite in die Arena geschlittert war, schien ihm dafür nicht geeignet. Er benötigte so etwas Ähnliches wie den Todesstrahl dieser Goleme. Es war eine einfache Rechnung: Sie lebten in der Kälte, deshalb konnte Hitze sie vernichten.
Mühsam richtete er sich auf und stolperte weiter, an der eben erstarrten Menschmaschine vorbei. Dabei gab er ihr mit der flachen Hand einen Stoß gegen die eiserne Brust. Es klang metallisch und hohl und der Golem stürzte durch den Schlag zur Seite, riss dabei einen seiner Gefährten, der gerade nach Straif schnappen wollte, mit sich zu Boden. Wie ein Käfer lag er unter dem anderen begraben auf dem Rücken und zappelte mit seinen dünnen Gliedmaßen. Entweder hatten die Jahrtausende in der Eishöhle ihnen übel mitgespielt oder sie waren von ihren Erbauern nicht besonders stabil konstruiert worden; wäre der Strahl aus ihren Fingern nicht gewesen, dann hätten sie für Straif vielleicht gar keine so große Gefahr dargestellt und er hätte sie einfach überrumpeln können. Aber allein ihre Übermacht – acht von ihnen waren noch beweglich und rückten wieder bedrohlich auf ihn zu – konnte ihn erdrücken.
»Wie lange soll ich noch warten?«, ließ sich Sadon wieder hören. Erklang da zum ersten Mal Unsicherheit in seiner Stimme?
Straif sammelte sich. Er suchte den ruhenden Punkt in seinem Inneren, um sich zu ihm zurückzuziehen und das Chaos um sich herum auszublenden. Das hatte er in den Jahren seiner Ausbildung zum Krieger des Baums immer und immer wieder geübt. Das nächste Augenzwinkern würde entscheiden, ob er diesen Kampf überlebte oder zur willenlosen Puppe wurde, die an den Fäden von Sadons Maschinengeist tanzte.
Jetzt!
Straif wurde ganz Reflex und Instinkt. Er tauchte unter dem Arm eines Golems hindurch, sprang weiter nach vorn und schlug dabei ein Rad, landete mit beiden Füßen auf der rutschigen Oberfläche der brennenden und qualmenden Maschine vor sich, nur um sich einen Moment später zur Seite durch die Luft zu drehen. Tödliche rote Strahlen aus den Fingern der Omegas durchschnitten vergeblich die Stelle, an der er eben noch balanciert hatte und brachten die Wand dahinter orange glühend zum Kochen. Straif aber stand längst nach einem weiteren Salto im Rücken der grausigen Mumie auf den Armlehnen ihres Throns.
Das alles ging so geschmeidig und flink in Bruchteilen von Sekunden vor sich, als würde Straif einen täglich geübten Geschicklichkeitsparcour absolvieren. Doch die scheinbare Leichtigkeit, mit der er sich einem Murlan gleichend durch den Raum bewegte, täuschte. Der an vielen Stellen seines Körpers blutende und schwer verwundete Krieger hatte bei seinem tänzerischen Ausweichmanöver seine letzten Energien verbraucht und die schwerste Herausforderung stand ihm noch immer bevor. Immerhin würden die Goleme mit der Mumie, hinter die er sich wie hinter einen Schild duckte, nicht mehr wagen, auf ihn zu schießen.
Sadons Flüche und wirre Wortfetzen ausspeiende Stimme überschlug sich erneut und er kreischte wie ein Tobsüchtiger. Straif konzentrierte sich ein weiteres Mal. Sein nächster Sprung musste die Entscheidung bringen!
Er stieß sich von der festen Schulterlehne des Throns ab und streckte gleichzeitig die Beine nach vorne, donnerte dann mit den Sohlen seiner Stiefel gegen den Rand der Feuerschale, die neben dem Gerät stand, aus dem Sadons tollwütige Stimme erklang. Dabei schickte er an alle Götter, die ihm in der Schnelle einfielen, ein verzweifeltes Stoßgebet, dass die Schale nicht zu fest ihn ihrem steinernen Fundament verankert war.
Einer dieser heidnischen Götter musste tatsächlich auf der Seite des mutigen Kriegers stehen, denn durch den Stoß kippte der helllodernde Brand tatsächlich aus und ein wahrer Bergrutsch aus glühenden Kohlen und einer hitzig flammenden Flüssigkeit ergoss sich auf den Boden und flutete wie eine Welle am Strand gegen die Maschine.
Straif konnte nicht beobachten, welche Wirkung sein Angriff hatte, denn er fiel schwer auf den Rücken und schlug sich beim Sturz den Kopf an Sadons Sitz an. Halb betäubt rollte er nach hinten und entging deshalb ein weiteres Mal knapp den Todesstrahlen der Goleme, die blubbernde Löcher in die Stelle bohrten, auf der er gerade noch gelegen hatte. Dadurch wurde die ölige Flüssigkeit, die über die Stufen in die Arena rann, stärker entfacht und entzündete den Mantelsaum von Sadons Avatar, der wie eine mit Petroleum verschmierte Fackel augenblicklich in Flammen aufging. Der Untote machte noch wie ein Schlafwandler einen tappenden Schritt nach vorne, bevor er grotesk langsam, sich dabei wie ein entflammtes Blatt im Wind drehend, von seinem Podest kippte und in sich zusammenbrach.
Dann zerplatzte mit einem Donnerschlag die überhitzte Maschine, mit der der Avatar Sadons bisher verbunden gewesen war und seine kreischende Stimme verstummte endlich. Sie wurde nach einer Sekunde gespenstischer Stille von einem ohrenbetäubenden Sirenenlärm abgelöst, den offenbar die verwirrten Goleme verursachten.
Sie versuchten zuerst noch, den auf sie zurollenden Kohlen und dem brennenden Öl auszuweichen, die die sich nach oben biegenden Bodenplatten, die sich in einen zähflüssigen Teer verwandelten und entsetzlich stanken, in qualmenden Brand steckten. Als hätten sie den Befehl dazu bekommen, begannen sie alle auf einmal, sich wie irrsinnig geworden im Kreis zu drehen, stürzten schließlich übereinander und bildeten ein unbeschreibliches Chaos aus Blechleibern, Insektenbeinen und mechanischen Ärmchen.
Eine weitere der Maschinen explodierte plötzlich und … gerade als sich Straif wieder aufrappeln wollte … noch eine – diesmal direkt in seiner Nähe. Er wurde von der Wucht des Flammenstoßes wie ein geworfener Stock gegen die Wand neben dem Ventilator geschleudert. Deren Eisüberzug begann bereits zu schmelzen und Wasser lief in kleinen Rinnsalen an ihr herab. Die leuchtenden Bänder an der Decke zerplatzten und Funken und Glassplitter regneten zu Boden. Überall brannten nun die Gerätschaften und die Schläuche, die sie verbanden und sie stießen einen schwarzen und beißenden Qualm aus, in dem die Flammen unheimlich irrlichterten.
Hatte es vorhin noch so ausgesehen, als würde Straif erfrieren oder von Wölfen oder Golemen zerrissen werden, standen jetzt die Chancen gut, dass er entweder verbrennen oder in dem fetten, wirbelnden Ruß ersticken würde. Straif wollte auflachen, aber sein Mund erzeugte nur ein gequältes Husten. Diese Fülle an Todesgefahren wurde ihm langsam zu grotesk, um sie noch ernst nehmen zu können. Seine Lage war viel zu unwirklich. Der Tod sollte sich endlich mal entscheiden, auf welche Weise er ihn unter die Wurzeln des Ygdras schicken wollte, wo die verstorbenen Krieger des Baumes in der Halle der Helden ein ewig währendes Festmahl feierten.
Er keuchte. Wie viele Atemzüge konnte er noch machen, bis der Rauch ihn betäubte?
Eine Antwort auf „Der Weg, der in den Tag führt – Fantasyroman (Kapitel 7 – Teil 6)“
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