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Acht Fragen, die man einem Autor keinesfalls stellen sollte

[Ab und an werde ich meine Glossen auch noch als “Lesung” zum Zuhören einfügen. Ich hoffe, das gefällt dem einen oder anderen. Ich experimentiere noch und bin für Kommentare dankbar …]

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Acht Fragen, die man einem Autor nach der Lesung auf keinen Fall stellen sollte

Autoren (hier ist selbstredend immer auch die Autorin gleich welchen Geschlechts mitgemeint, denn ich werde niemals den unsäglichen Gendergap in meinen Texten einführen) machen nie freiwillig eine Lesetour quer durch die Buchhandlungen der Provinzstädtchen der Republik, sondern sie sind in aller Regel von ihrem Verlag dazu gezwungen worden, um Werbung für ihr neues Buch oder sich selbst zu machen.

Das geht selten gut. Vor einer überschaubaren Gruppe beflissener Leserinnen – in aller Regel sind es Buchhändlerinnen, Lehrerinnen oder gelangweilte Doktoren-Gattinnen kurz vor dem Klimakterium, denn “Lesen” ist heutzutage weiblich – gibt der Autor Ausschnitte aus seinem Werk zum Besten, die nur selten einen Eindruck vom ganzen Buch vermitteln können. Er weiß, dass er der schlechteste Vermittler seiner eigenen Texte ist, dass er nuschelt, ohne (oder mit zu viel) Betonung spricht, stottert, blättert, zögert und auch mal ganz den Faden verliert. Aber die meisten hören ihm eh bald nicht mehr zu, denn eine klassische Lesung hat viel Ähnlichkeit mit einer Predigt in der Kirche; die meisten klappen nach ein, zwei Sätzen ihre Ohren zu und lassen ihre Gedanken und Empfindungen wie Luftballons frei im Raum schweben.

Ganz wenige Autoren haben schauspielerische Talente und unterhalten ihre Zuhörer wirklich. Die meisten sind anstrengend und langweilig – fade, schüchtern, misantroph. Würde jemand schreiben und sich hinter seinen Werken verstecken, wenn er ein offener, freundlicher und sympathischer Zeitgenosse wäre? Wohl kaum. Der konservative Schriftsteller ist ein eher widerborstiges, menschenscheues Wesen, das seiner Berufung in einem kleinen abschließbaren Kämmerchen nachgeht, unauffällig im Verborgenen an seinen Sätzen feilt und sie in die Maschine tippt – voller „promethischer Scham“, um mit Günther Anders zu sprechen. Das Schlimmste ist ihm, direkt mit seinem Publikum konfrontiert zu werden und sich nach der Lesung noch der meist üblichen Diskussion ausetzen zu müssen. Denn selten will jemand über den Inhalt seiner Texte sprechen oder seine beeindruckende Sprachgewalt und die enorme Kraft, mit der er sein Thema beherrscht und den Finger in offene Wunden der Zeit legt. Nein, die meisten interessieren sich für Privates, Intimes, Peinliches.

Wenn du also, mein lieber Leser oder Zuhörer, nett zu mir sein willst, wenn ich demnächst in der Buchhandlung deines Vertrauens auftrete und Verwirrendes aus „Aber ein Traum“ oder dem “Geltsamer” vortrage, dann meide die folgenden acht Fragen. Da die Qualität der Antworten selten die Qualität der Fragen übersteigt, tust du nicht nur mir, sondern auch dir selbst einen Gefallen.

Wir beginnen mit dem Klassiker aller Publikumsfragen:

1. Wie kommen Sie eigentlich auf Ihre Ideen?

Was soll der Autor dazu sagen? Dass ihm die besten Ideen in der Badewanne oder auf dem Klo kommen, dass er zu viel gegessen und danach schlecht geträumt hat? Dass er das bei Dostojewski oder bei Facebook klaute? Seine Nachbarn mit einem Nachtsichtgerät beobachtete? Oder dass er schlicht ein psychotisches, menschliches Wrack ist, dem so etwas einfach zwischendurch einfällt? In die gleiche Richtung zielt die nächste Frage:

2. Wie kann Ihnen nur so etwas Abartiges einfallen?

Tja. Das hat man davon, wenn man sich vor Publikum prostituiert. Erzählt man etwas Monströses, wird man für ein Monster gehalten. Und schreiben männliche Autoren gar über Frauen, finden sie sich plötzlich in einem Gender-Minenfeld wieder, dem sie nicht mehr ausweichen können; egal, wohin sie sich wenden: Sie sprengen sich selbst in die Luft (siehe oben).

3. Wie autobiografisch sind Ihre Texte?

Ich weiß schon, das würdest Du gerne wissen. Aber den Teufel werde ich tun. Alles was ich mache, ist autobiografisch. Auch wenn ich reife Stachelbeeren pflücke und sie mit Gelierzucker einkoche, ist etwas von mir drin; ist dieses Glas Marmelade „autobiografisch“. Genau wie die Beeren durch ein Sieb gepresst werden, um Schalen und Kerne zu entfernen, fließt auch ein Text durch ein Gitter, nämlich durch das Raster das meiner Persönlichkeit. Meine Geschichten sind durchtränkt vom Gelierzucker meiner eigenen Meinung. Man sieht: Wenn alles autobiografisch ist, ist nichts, was ich schreibe, autobiografisch. Ich mache mir nicht die Mühe und arbeite jahrelang an einem Schlüsselroman, um anschließend bei einer Lesung den Schlüssel zu verschenken.

4. Wie stehen Sie eigentlich zur aktuellen Politik?

Es ist seltsam. Autoren wird immer einiges zugetraut. Sie sollen sich auf allen geisteswissenschaftlichen und sozialen Gebieten auskennen, ihr Wort eine moralische Instanz sein. Man sieht sie als Gutmenschen und belesene Intellektuelle. Tatsächlich ist das eher selten der Fall. Autoren sind keine Denker. Sie haben keine neuen Ideen, sie machen sie aber manchmal populär. Auch in Deutschland sollte es sich langsam durchsprechen: Schriftsteller sind Menschen wie du und ich. Die haben vielleicht gar nicht Kant oder Heidegger gelesen, wissen nichts Vernünftiges über das transatlantische Handelsabkommen oder die montenegrische Innenpolitik zu sagen. Aber sie haben eine Meinung und die findet sich in ihren Werken. Ist es sinnvoll für sie, ihre Weltsicht wie all die Facebooker und Twitterer wütend in alle Welt zu posaunen? Ich denke nicht.

5. Wie stehen Sie zur Rechtschreibung?

Autoren sind in der Regel Instinktschreiber, nur wenige haben Germanistik studiert. Ich behaupte frech, wer das getan hat, kann kein guter Schriftsteller sein, da ihn sein Wissen um die deutschen Sprachregelungen daran hindert, frei von der Leber weg zu schreiben. Ich kenne zum Beispiel keine Kommaregeln; ich setze an den Stellen Kommas, bei denen ich beim Vorlesen eine kleine Pause mache. Zu 90 % ist das an der richtigen Stelle. Den Rest soll ein Lektor machen.

6. Welche Vorbilder haben Sie?

Bitte! Da könnte man mich ja gleich fragen: Wo haben Sie ihre Ideen geklaut? Ich habe keine Vorbilder. Nie gehabt. Doofe Frage. Kein Autor hat Vorbilder. Vor ihm gab es niemanden, der ihm das Wasser reichen konnte.

7. Was halten Sie von Frau X oder Herrn Y?

Manche Autoren haben wütende Anhänger. Es sitzt seltsamerweise immer einer dieser “Fanboys” in meiner Lesung und bringt seinen Liebling aufdringlich ins Gespräch. Meist sind das Schriftsteller, denen ein wenig der Ruch der Trivialität anhängt. Stephen King ist dafür ein gutes Beispiel. Ich weiß nicht, wie oft ich schon über mein Verhältnis zu diesem Autor befragt wurde, obwohl ich nie auch nur eine Seite von ihm gelesen oder ihn irgendwie erwähnt habe. Leute! In meiner Lesung will ich nur über mich reden. Aber die folgende Frage will ich auf keinen Fall beantworten:

8. Was machen Sie eigentlich beruflich?

Diese Frage ist kein Witz, sondern ernstgemeint. Ihr begegnen alle Künstler irgendwann und Musiker sogar häufiger. Es mag zwar sein, dass der eine oder andere nebenzu einem Broterwerb nachgeht, um sich und seine Familie zu ernähren. Aber seine Kunst ist kein Hobby, auch wenn er nicht von ihr leben kann. Eher zählt der bürgerliche Beruf zu den Steckenpferden.

 

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