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Alle Jahre wieder: Selbstmitleid

Der Alpsee im Winter 2013

Niklas, jetzt mal ehrlich: Was bringt dir deine alljährliche Januars-Winterdepression eigentlich?

  • Ich habe ordentlich zugenommen und eine Gewichtsklasse erreicht, die ich lange hinter mir wähnte. Inzwischen habe ich eine strenge Diät begonnen, von der ich hoffe, durch sie wieder einige Pfunde zu verlieren. Wahrscheinlich ist das nur ein frommer Wunsch.

Erkenntnis: Vierzehn Tage nichts essen bringt einen nicht um, aber auf viele neue, manchmal bonbonbunte Ideen. Fasten bessert zwar nicht die Laune, aber man ist auf andere zornig und nicht mehr auf sich selbst.

Konntest du dich wenigstens als Literat weiterentwickeln, erkältet und eingemummt in meinem Zimmer sitzend und in einer Vielzahl von neu erworbenen Büchern blätternd?

  • Ich habe versucht, meine Philosophiekenntnisse aufzufrischen. Ob es am Nachlassen meiner geistigen Fähigkeiten oder am Schleim in meinen Bronchen oder an der stickigen Luft in den überheizten Räumen lag: Ich scheiterte daran, meine Lektüren zu verstehen und zu durchdringen – Bücher von und über Denker, über die ich früher leichthin dozieren konnte.

Erkenntnis: Ich habe über die Jahre Angesammeltes schneller vergessen, als ich mir Wissen angeeignet habe. Ich verdumme langsam, aber stetig: Leben und Lernen – ein Minusgeschäft, das schnurstracks in die Demenz führt.

Wie war dann diese Zeit für dich?

  • Ich war in einer Art Winterschlaf, aus dem ich nicht erwachen wollte und auch nicht konnte. Wie somnambul lief ich durch die Welt und sah der Zeit beim Vergehen zu. Das kann sie gut und schnell, sie ist ein zuverlässiger Marathonläufer. Es ist schon wahr – ab einem bestimmten Alter ist alle drei Monate Weihnachten und früher war das Wetter besser.

Erkenntnis: Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Als Meister des Vor-mir-her-Schiebens (neumodisch: Prokrastination) hat sich im letzten, verlorenen halben Jahr literarisch bei mir überhaupt nichts getan. Die bislang eher vergebliche Anstrengung, diesen Blog wieder in Gang zu bringen, ist ein Versuch, das zu ändern und ich werde jetzt mit hoffentlich neuer Kraft an meine Texte gehen.

Hast du Vorsätze für das neue Jahr?

  • Mir wurde klar, dass ich einige Freundschaften sträflich vernachlässigt habe, manche über Jahre hinweg. Je länger das Schweigen dauerte, um so schwieriger war es für mich, einen neuen Anfang zu wagen – bis ich es ganz ließ. Dadurch habe ich wichtige Freundschaften verloren. Selbstverständlich hätten sich auch die anderen mühen können, aber denen ging es wohl wie mir. Zum nahen Geburtstag will ich sie trotzdem alle einladen, ein großes Fest feiern. Vielleicht findet ja der eine oder andere diesen Blog. Er ist auch eine Flaschenpost.

Erkenntnis: Alte Bande rosten nicht – sie verfaulen.

Und? Wo stehst du im Moment?

  • Im Moment ziehe ich mich gerade wie Münchhausen an meinem eigenen Zopf aus dem Sumpf meiner Missstimmung, die momentane Kälte und die Hoffnung auf einen baldigen Frühling hilft. Ihn empfinden wohl die meisten als Befreiung, Erlösung. Und schnell vergisst wir dabei, dass er nicht für immer siegreich ist, sondern nur für ein knappes, halbes Jahr. Dann – im September, Oktober – dann kommt wieder die Depression.

Erkenntnis: Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. (R. M. Rilke)

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Anmerkung: Selbstverständlich ist meine schlechte Stimmung, die ich hier recht leichtsinnig eine Depression nenne, keine klinische, sondern Jammern auf hohem Niveau. Gegen die Probleme, die andere Leute haben, sind die meinigen gering, ja, lächerlich unbedeutend. Sie könnten für manche, die echte Depressionen haben, beleidigend sein. Aber es sind halt meine und deren Auswirkungen bekomme ich eben am stärksten zu spüren.

One thought on “Alle Jahre wieder: Selbstmitleid”

  1. Jeder hat ein Recht darauf sich auch mal schlecht zu fühlen. Diagnostiziert oder nicht. Die gute Nachricht in deinem Fall: Es wird wieder besser 😉

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