Anmerkungen zu „Pasenows Schöpfung“ – Teil 1

Vorbemerkung. Wen mein Gejammer nicht interessiert, darf gleich zum Ende der Klammer springen. (Ich will nicht klagen, sondern nur schnell eine Tatsache dokumentieren, mit der ich mich inzwischen abgefunden habe: Die Zugriffszahlen auf diesen Blog tendieren langsam nahezu gegen Null, würden nicht regelmäßig ein paar bloggende Kollegen wie michaelaschreibt oder simonsegur ab und zu ihre „Gefällt mir“ und den einen oder anderen Kommentar hinterlassen, wäre ich hier vollkommen alleine. Ich bin also hier in meinem selbstgezimmerten WordPress-Häuschen recht einsam, obwohl ich die Türen weit aufgemacht habe, Einladungen in der realen und in der digitalen Welt verteilte und aus Werbegründen einen ‚google+‘-, einen Twitter- und sogar einen Facebook-Account eröffnete. Nun, vielleicht bin ich ein schlechter und unhöflicher Gastgeber, bevormundend und sicher auch arrogant, zu sehr ichbezogen und egozentrisch. Vielleicht munden meine allzu üppigen Speisen nicht – man wirft mir oft vor, meine Sprache sei veraltet und gestrig -, vielleicht sind die Weine verpanscht und sauer und die Betten hart und unbequem in meinem Häuschen. Vielleicht ist es einfach nur das falsche Angebot am falschen Ort. Wer will schon Klammer lesen, wenn er Kafka, Koeppen oder Kermani lesen kann. Da mir nur äußerst selten etwas ins Gästebuch geschrieben wird, weiß ich nicht, woran es liegt und kann auch nichts ändern.

Ich zuckte eben virtuell mit den Schultern. Denn auf der anderen Seite kann ich mich hier vollkommen ungeniert in der fleckigen Jogginghose auf meiner Wohnzimmercouch fletzen, in den Polsterritzen nach alten Popcorn-Resten kramen und mich im Schritt kratzen. Sieht ja keiner außer der NSA. Ich habe nach zwanzig Jahren Stille endlich wieder zurück zum Schreiben gefunden und ein leeres Blatt ist mir kein Horror mehr. Das ist mein persönlicher Erfolg des Blogs. Der Roman Aber ein Traum, wegen dem ich diese Seiten vor einigen Jahren eher zufällig gegründet habe, gedeiht, obwohl er sich nun meine Aufmerksamkeit mit einigen anderen Texten teilen muss, die zeitgleich entstehen; fette Romane wie „Meister Siebenhardts Geheimnis“ und „Dr. Geltsamers erinnerte Memorien“ und deren Fortsetzungen.)

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Deshalb ist es eine Form von mentaler Onanie (1), wenn ich heute an meinem eigenen Text etwas Hermeneutik betreibe, nämlich an der umfangreichen Erzählung Pasenows Schöpfung, die ich momentan donnerstags in – wie ich glaube – mundgerechten Häppchen blogge und wie alle anderen meiner Texte, die hier erscheinen, dabei noch einmal herumschleife und überarbeite. Beim „Pasenow“ habe ich beispielsweise den kompletten, viel zu abrupten Schluss verändert, aber zu dem komme ich erst in ein paar Wochen.

Obwohl die Hauptfigur, der herzkranke und übergewichtige Literaturkritiker Claus M. Bergmann außer seinem Zynismus nichts mit mir gemein hat, gibt es den Ort Pasenow in der Mecklenburger Seenplatte (2) wirklich. Dort besaßen die Großeltern meiner Mutter einen großen Bauernhof, der zu DDR-Zeiten einer LPG angegliedert wurde. Nach dem Fall der Mauer fielen das Wohnhaus und die Ländereien wieder in den Besitz des inzwischen in Berlin ansässigen Teiles meiner Familie, was diesem nur Ärger, Behördengänge und finanzielle Aufwendungen einbrachte. Inzwischen ist außer einem schmalen Streifen Land neben der Straße alles verkauft und verschenkt. Durch diesen unverkäuflichen Wegrain hat die Gemeinde einen Bewässerungskanal gelegt und Alleebäume gepflanzt. Irgendwann einmal wird jene „Heimaterde“ teilweise in meinen Besitz gelangen, was mich dann eine jährliche Grundsteuer kosten wird, die ich an meine Söhne weitervererben werden muss. Auch die Gemeinde will diesen Streifen Land nicht geschenkt und er ist so schmal, dass man nicht einmal darauf zelten kann. Wahscheinlich werde ich einmal heimlich meine Asche dort verteilen lassen, auf dem einzigen Stück Erde, das ich jemals besessen habe. Es gibt schlechtere Orte, sich zur ewigen Ruhe zu betten:

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„Pasenows Schöpfung“ ist aber in erster Linie eine Geschichte, bei der es um Verlust geht, den Verlust von Träumen und Idealen. Sie gehen verloren, weil die Hauptfigur entwurzelt wurde und keinen Ort und auch keinen Menschen mehr fand, den sie Heimat nennen konnte. Ein Schriftsteller, glaube ich, braucht wie kein Zweiter Heimat, auch wenn das nicht unbedingt ein realer Ort oder Mensch sein muss. Er kann Heimat auch in sich finden. Seine Heimat ist dann die Erinnerung an die ersten zwanzig Jahre seines Lebens, die, wenn er an sie zurückdenkt, viel länger währten, als die vierzig, fünfzig, sechzig, die er seitdem gelebt hat. Heimat ist ihm auch die Sprache, sie ist die Kleidung, die er trägt, die Speise, die ihn nährt, die Decke, die ihn wärmt, sie ist seine erste und oftmals auch einzige große Liebe. In dieser Heimat ist er nie einsam. Verliert er sie oder wird sie ihm zerstört, stirbt der Schriftsteller. Sein Körper mag weiterleben, aber seine Blätter bleiben unbeschrieben …

«“heimat ist erinnerung ein ort an dem ich verweilen und ruhen kann sie ist der platz zwischen dem abend und der nacht ein trügerisch grauer ort weithin verschwimmen die umrisse der wogenden getreidefelder aber die vom walde aufsteigende kühle hat mich nicht erreicht hier sitze ich der ich noch keine schatten kenne und lausche den büschen die leise von stille und dauer erzählen. alle konflikte finden ihr ende und der morgen das morgen ist fern.“

Bergmann hätte umblättern müssen, um weiterzulesen. Doch das brauchte er nicht. Er konnte den Rest auswendig hersagen.

Die Vergangenheit ist in mir geborgen. Sie hat Erbarmen mit mir. Sie ist ein sicherer Ort. Gestern ist die Heimat, in der ich leben will“, flüsterte er und legte das Buch zufrieden zurück an seinen Platz.»

Pasenow2

______________

(1) Hoffentlich wird mir Sibylle Lewitscharoff diese „halbwesenhafte“ Tätigkeit verzeihen, falls sie durch Zufall beim googlen nach sich selbst auf diesen Text stößt. Trotz ihrer pittoresken Meinungen weiß ich sie als Autorin ehrlich zu schätzen. Ohne es zu wissen, hat sie in den 90ern einen hübschen kleinen Roman über mich geschrieben.

(2) Hermann Broch hat in seiner „Schlafwandlertrilogie“ einen Roman und eine Hauptfigur „Pasenow“ genannt. Ob das Zufall war, oder der Autor den kleinen Weiler kannte, der 1999 in die Ortschaft Helpt eingemeindet wurde, habe ich nicht herausfinden können. Die Schlafwandlertrilogie allerdings ist ein verborgenes, wenig gelesenes Schatzkästlein und ein Geheimtipp für Literatursüchtige, durchaus vergleichbar mit Musils oder Döblins Meisterwerken. Zudem ist die Trilogie wesentlich leichter verdaubar als Brochs umfangreiches Hauptwerk „Der Tod des Vergil“, ein aus Monologen aufgebautes Traumbuch, das stark von der Freudschen Psychoanalyse geprägt ist.

9 thoughts on “Anmerkungen zu „Pasenows Schöpfung“ – Teil 1”

  1. Keine Sorge, die Jogginghose habe ich hier vollkommen metaphorisch verwendet. Ich besitze überhaupt keine, dazu bin ich viel zu unsportlich und teile in diesem Fall ausnahmsweise die Meinung von Karl Lagerfeld: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“
    Grüße, Nikolaus.

  2. Könntest ja auch einen Lebensstil wie Charles Bukowski pflegen. – Zu deiner Klage: Pablo Neruda z.B. erregte sich darüber, daß er von einem Kollegen sogar auf dem Klo bedrängt wurde, sein neuestes Gedicht anzuhören. Schriftstellern bleibt oft nur ihresgleichen, und niemanden hassen sie mehr.

  3. Tja, ich bin eben Nikolaus Klammer und nicht Alfons Andernaj. Siehe z. B.: https://klammerle.wordpress.com/2016/02/01/nutzlose-menschen-roman-teil-neun/. Im übrigen glaube ich, dass die wohlbekannte Aussage, ein Schriftsteller sei aus Neid des anderen Wolf, nur Kolportage ist. Mit den Autoren, die ich kenne, verstehe ich mich gut. Auch wenn ich schon mit der Aussage konfrontiert wurde: „Ich schreibe zwar nur Lyrik und keine Romane, aber wenn ich es täte, wären sie viel besser als deine.“

  4. Laut dem Heiligen Ranicki können Lyriker gar keine Romane schreiben. Muß ja jetzt auch nicht stimmen, aber ich hielt mich bisher weitgehend daran. – Vielleicht ist es sehr angebracht, die alten Sprüchlein und Dogmen zurück zu lassen.

  5. Noch schlimmer sind Prosa-Autoren, die sich an Lyrik versuchen. Aber ich stimme dir zu, lassen wir die alten Sprüche hinter uns. Entscheiden wird das kein Kritikerpapst – die sind mit MRR, Mayer, Raddatz und meinetwegen auch Karasek* ausgestorben -, sondern zum Schluss allein der Leser, der die literarische Kopfgeburt goutiert – oder eben nicht.

    Der Vollständigkeit halber, weil’s hierher passt, ein letzter Link auf mich selbst, der mit dem Ernst, in dem er geschrieben ist, gelesen werden sollte: https://klammerle.wordpress.com/2013/05/15/die-10-gebote-fur-den-erfolgreichen-schriftsteller/ und noch einen schönen, schneereichen Samstag. (Ich muss jetzt mit dem Abendessenkochen anfangen – ich habe heute Abend Gäste)

    * Wie sehr sie fehlen, kann man bei der mehr als grusligen Neuauflage des „Literarischen Quartetts“ sehen.

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