Sapher gab seinen Benutzerschlüssel auf der Tastatur ein. Dann legte er die Papiere mit dem Schriftbild nach oben in die für sie vorgesehene Vertiefung an der Oberseite des Kopierers und drückte die grüne Taste nieder. Das Gerät gab ein rasselndes, wie atmendes Geräusch von sich und begann, die Vorlagen zu schlucken. Kurze, grelle Lichtblitze leuchten durch den Schlitz der Abdeckung auf. Der Beamte sah sich verstohlen um, war sich aber schon sicher, dass er bei seiner Tat nicht ertappt werden würde. Die ersten Kopien landeten im Auswurf. Er nahm eines der vervielfältigten, noch warmen Blätter in die Hand und sah darauf.
Dr. Werner Hesz, stand dort maschinengeschrieben, sprich: Hätsch mit kurzem ä; le roi de solei. Er ist der falsche Mann am falschen Ort, besitzt aber das richtige Parteibuch. Er ist das klassische Paradigma, wie man sich durch die Duz-Freundschaft mit für einen wichtigen Stadträten und durch das Delegieren sämtlicher Aufgaben seines Amtes auf einem Posten hält, für den man denkbar ungeeignet ist. Hesz hat es trotz seiner bemerkenswerten Dummheit geschafft, diese höchstbezahlte, kündigungssichere Stellung zu erreichen, womit einmal mehr bewiesen wäre, dass Intelligenz im Staatsdienst eher hinderlich ist. Die nur durch sein Missmanagement und seinen Nepotismus verursachten Ausgaben kosten die öffentliche Hand m. E. jährlich eine halbe Million Mark. Über das schmuddelige und abstoßende private Leben dieses alternden Hulot, dem jede Schandtat zuzutrauen ist, sei der gnädige Mantel des Schweigens gelegt. Vielleicht wäre etwas mit seinem drogensüchtigen Sohn Siegfried zu beginnen.
Sapher ballte eine Hand zur triumphierenden Faust und die fast unbezähmbare Lust, lauthals zu lachen, stieg in ihm hoch. Dr. Werner Hesz war der Direktor der Behörde. Endlich, dachte er, habe ich etwas gegen Klammer in der Hand. Das kann diesem aalglatten Menschen das Genick brechen. Von nun an wird er vorsichtiger sein müssen, wenn er mit mir seine Spiele macht. Welch ein glückliches Schicksal hatte ihm diese Papiere in die Hände gespielt? Sapher wischte sich den Schweiß von der Stirn, blickte sich erneut um.
An den Nachmittagen im Sommer wurde es im Amt trotz der überall herabgelassenen Jalousien fast unerträglich stickig. Die meisten Fenster von Saphers Abteilung zeigten fast genau nach Süden und waren wegen der hoffnungslos überlasteten Klimaanlage nicht zu öffnen. Von Stockwerk zu Stockwerk stieg die staubige Wärme, die anstelle einer Kühlung in die engen Räume geblasen wurde; und Sapher saß im zehnten, direkt unter den kupfernen Dachschrägen, die sich an wolkenlosen Sommertagen unter der direkten Sonneneinstrahlung wie eine Herdplatte erhitzten und nicht gerade zur Klimaverbesserung beitrugen.
Sapher, der sich längst mit der Saunahitze seines Arbeitsplatzes abgefunden hatte, versuchte so gut es ihm eben gelang, sich mit ihr zu arrangieren: Er trug unter seinem Jackett, das er mittags auszog und in den Schrank hängte, dünne, kurzarmige Hemden, dazu helle, leichte Stoffhosen, die dennoch nach einer Weile verschwitzt am Leder seines Stuhles haften blieben, und keine Socken in den Schuhen. Er hatte einen kleinen, batteriebetriebenen Ventilator vor sich auf dem Tisch stehen, der jedoch nur die warme Luft in Bewegung hielt, ohne allzu viel Erleichterung zu schaffen. Nachmittags um drei, wenn die angestaute, knochentrockene Hitze in dem Büro ihren Höhepunkt erreichte und Sapher deshalb regelmäßig stechende Kopf- und Halsschmerzen quälten, sein Arbeitseifer fast völlig zum Erliegen kam und er begann, immer häufiger auf die Uhr zu sehen, deren Zahlen sich nur langsam dem Feierabend näherten, dann stand er in seinem Schweiß, der scharf roch und einen breiten, feuchten und dunklen Streifen auf dem Rücken seines Hemds bildete.
In diesem Sommer war die Hitze noch weitaus schlimmer als in den Jahren zuvor: Ein konstantes Azorenhoch sorgte seit nun nahezu drei Wochen für rekordverdächtige Mittagstemperaturen von über dreißig Grad, die das Leben nur in einem Freibad oder einer Kühltruhe ertragbar machten. Der veraltete Personalcomputer auf Saphers Tisch war so überhitzt, dass man an der Netzseite der Systemeinheit, wo sich eine Lüftung vergebens bemühte, Spiegeleier hätte braten können und sich die Systemabstürze des ohnehin überlasteten Netzwerkes häuften. Das war besonders ärgerlich, wenn Sapher nachmittags noch Briefe oder Berichte zu schreiben hatte. Zwar hatte er sich angewöhnt, seine Arbeiten in kurzen Intervallen zu speichern, wurde aber trotzdem immer wieder von den Zusammenbrüchen überrascht. Diese Sisyphos-Vergeblichkeit seines Mühens hatte ihn schon in so heftige Wutausbrüche getrieben, dass die halbe Abteilung bei ihm zusammengelaufen war. Klammer schüttelte dann immer mitleidig den Kopf und versprach ihm für das nächste Halbjahr einen Pentium, der dann aber wegen der knappen Budgetdecke doch nicht angeschafft wurde. Der Doktor selbst verweigerte sich übrigens der Computertechnik; er diktierte seiner Sekretärin oder schrieb auf einer elektrischen Schreibmaschine, die fast schon Museumswert hatte.
Sapher verfluchte täglich, dass er seinen Jahresurlaub schon zu Ostern verbraucht hatte. Die Arbeitstage im Amt waren eine Qual. Zwar teilte er dieses Leid mit allen, deren Zimmer nach Süden ausgerichtet waren, aber diese Erkenntnis half nur wenig, die Hundstage zu überstehen.
Heute war es jedoch ein wenig besser gewesen, da er die erste Stunde seines am Freitag nicht langen Nachmittags im angenehm kühlen Kellerarchiv der Behörde verbracht hatte, um nach der Akte des Herrn Katasakinthokiakis zu suchen. Wie er schon erwartet hatte, hatte er vergeblich geforscht. Er hatte nur die Unterlagen über einen gewissen Konstantin Papadopoulos Kavafis aus dem letzten Jahr finden können. Der hatte zwar am gleichen Tag wie der Grieche der Rothschädl Geburtstag, allerdings war er in einer anderen Stadt – nämlich in dem ägyptischen Alexandria – geboren. Sapher hatte damals den Fall bearbeitet, das sah er an seiner Unterschrift. Aber er konnte sich aber jenes Mannes nicht mehr entsinnen. Der war anhand seiner Akte auch nur ein einziges Mal in seinem Büro gewesen und hatte sich dann nie wieder gemeldet. Ein Brief, den ihm Sapher daraufhin geschickt hatte, war zurückgekommen. Die Adresse stimmte nicht, ein Mann mit diesem Namen schien laut Einwohnermeldeamt auch gar nicht zu existieren: Fall abgeschlossen. Dass jemand mit einem angenommenen Namen in der Behörde erschien, kam nicht allzu oft vor, war aber auch nicht ungewöhnlich. Es war deshalb seit einiger Zeit im Gespräch, Ratsuchenden nur mehr gegen die Vorlage ihres Ausweises Informationen zu gewähren.
Sapher hatte die Akte nicht mit nach oben genommen, weil er glaubte, dass die beiden ein und dieselbe Person waren, das war trotz des Zufalls des identischen Geburtstages eher unwahrscheinlich. Aber mit dem Schriftstück hatte er einen Grund, die Rothschädl aufzusuchen und ihr nicht nur einen abschlägigen Bescheid per Telefon geben zu müssen.
Als der Beamte dann in sein Zimmer zurückgekehrt war, war ihm, als würde er gegen eine Wand aus Hitze und Bürogerüchen rennen. Sofort schoss ihm Schweiß aus allen Poren. Er versperrte hinter sich die Tür, dann hob er den Arm und schnüffelte, den Kopf senkend, an seiner Achsel. An Tagen wie diesem schaffte es sein Deodorant nur bis Mittag und ein dunkler, feuchter Fleck bildete sich auch schon an seinem Hemd. Kritischer als sonst fühlte er sich unsauber. In seinem augenblicklichen Zustand konnte er unmöglich die Rothschädl aufsuchen, die ihm heute einfach nicht aus dem Kopf wollte. Aber er wusste einen Abweg. Für den Fall, dass er nachmittags zu einem Vorgesetzten oder Kollegen musste oder seine Frau ihn nach der Arbeit abholte, hatte er sich vorbereitet: Es war immer einen Deostift und ein frisches Hemd im Schrank. Klammer, der wie Immanuel Kant, dessen robuste Gesundheit er besaß, niemals schwitzte, ganz, als habe er keine Schweißdrüsen, hatte in seinem Büro hinter einer spanischen Wand ein kleines Waschbecken, das Sapher benutzen konnte. Der Doktor war heute den ganzen Nachmittag auf einer Besprechung und hatte seine Vorzimmerdame zum Stenographieren mitgenommen. Sapher hatte schon ab und an, wenn sich Klammer nicht in seinem Büro aufhielt, diese Waschgelegenheit benutzt, um sich zu erfrischen. Dort war hier weitaus angenehmer als in den Toiletten der Behörde, die auch vom Publikum besucht wurden.
Sapher nahm deshalb Hemd und Deo und trat durch die Verbindungstür in Klammers Reich. Hier war es ein wenig kühler, weil die Fenster nach Osten zeigten, allerdings an einem Hitzetag wie dem heutigen nur unwesentlich. Es herrschte die abgestandene, traumwandlerische Ruhe eines leeren, staubigen Zimmers im Sommer und obwohl es ein Büro wie jedes war, war es doch geprägt von Klammers Persönlichkeit, die so stark war, dass sie sogar auf Möbelstücke seines täglichen Umgangs abfärbte. Sapher spürte seine Nähe, obwohl der Doktor nicht da war. Der leere Ledersessel verriet die Formen von Klammers Körper, die Möbel atmeten einen nicht unangenehmen Sandelholzgeruch, der von ihrem jahrelangen Kontakt mit Klammers After-Shave zeugte und das Zimmer deshalb vom üblichen Aktendeckelmief der restlichen Räumlichkeiten der Behörde ausnahm. Als einziges Einrichtungsstück, das nicht vom Staat gestellt war, hing ein unattraktives, düsteres, aber wertvolles Ölgemälde des vor ein paar Jahren durch seinen spektakulären Mord an dem damaligen städtischen Kulturreferenten Pauli zur lokalen Berühmtheit gewordenen Malers Jochen Nix an der Wand. Aus einigen Bemerkungen Klammers schloss Sapher, dass er Nix vor dessen Tat persönlich gekannt hatte und dieses Bild ein Geschenk des geistesgestörten Künstlers war.
Sapher wusch sich rasch und zog sich um. Als er zufrieden mit seinem wiederhergestellten Erscheinungsbild und bereits am Hinausgehen war, ließ ihn eine kleine Veränderung der normalen Ordnung des Raumes, die ihm beim Eintreten entgangen war, stutzen. Der niedrige, fahrbare Rollschrank Klammers stand nahe beim Sessel und war halb geöffnet. Sapher hatte dieses Möbelstück bislang immer gut verschlossen gesehen und angenommen, dass sein Vorgesetzter in ihm Dinge bewahrte, die privater Natur waren. Es sah Klammer eigentlich nicht ähnlich, zu vergessen, diesen Schrank zu schließen. Er hatte Sapher gegenüber noch nie eine Gedankenlosigkeit offenbart, aber ausgerechnet heute war es schließlich doch geschehen.
Es waren in dem Spalt, den der Schrank offenstand, einige gebundene Bücher, Schnellordner und eine Flasche Cognac zu sehen. Sapher lauschte kurz. Alles war still, nur der Wasserhahn hinter der spanischen Wand tropfte. Klammers Rückkehr war nicht zu erwarten. Er hatte seine abgegriffene, graue Aktentasche mit sich genommen und erfahrungsgemäß würde er nach der Besprechung, die sich bis in die Abendstunden dehnen würde, sofort in den Feierabend gehen. Vielleicht, so hoffte Sapher wenigstens, wurde dadurch die ihm unangenehme Verabredung für den Abend unmöglich. Jemand anderes würde ebenfalls nicht in das Büro kommen, da die Tür zum Zimmer der Sekretärin, neben der Verbindung zu Sapher der einzige Weg hinein, gewohnheitsmäßig verschlossen wurde, wenn Klammer nicht da war. Falls die Vorzimmerdame überraschend zurückkehrte, würde Sapher sie hören und konnte rechtzeitig das Büro seines Vorgesetzten verlassen. Mit Kribbeln im Bauch trat der Beamte näher an den Schrank und besah sich den Inhalt genauer. Das Bewusstsein, etwas Unerlaubtes zu tun, kitzelte ihn wie ein Kind, das heimlich Bonbons nascht.
Klammer weiß so viel von mir, dachte er, und ich praktisch nichts von ihm. Hätte er heute früh nicht diese Komödie mit mir gespielt, hätte ich jetzt sicher kein Interesse. So aber zwingt er mich, meine Position zu ihm zu verbessern und mir ein paar Trümpfe zu besorgen, versuchte Sapher sich selbst von der Rechtmäßigkeit seiner Neugier zu überzeugen. Es gelang ihm nicht ganz. Er wusste sehr genau, dass ihm verboten war, von diesem Baum der Erkenntnis zu kosten, seine Eltern hatten für ein entsprechend engmaschiges Gewissensnetz gesorgt. Trotzdem begann er, den Inhalt des Schranks einer peinlich genauen Untersuchung zu unterwerfen. Schon als Kind war Saphers Neugier stärker gewesen als seine Gewissensbisse und er hatte sich brennend für das Innere der Schränke und Schubladen anderer Leute interessiert und die seiner Eltern waren ständigen heimlichen Durchstöberungen ausgesetzt. Sie hatten ihn auch mehrmals dabei erwischt, dass er ihr Schlafzimmer auf den Kopf stellte und dabei Dinge zu Tage förderte, die zwar seine Phantasie anregten, aber natürlich nichts für ihn waren. Obgleich Sapher heutzutage nur mehr selten etwas Bemerkenswertes entdeckte, war es doch die Regel, dass er, wenn er bei Freunden oder Bekannten war, nebenzu in deren Schränke spähte, wenn sie ihn allein ließen oder er die Toilette aufsuchte. Welche psychologischen Gründe hinter diesem Verhalten steckten, hätte er nicht zu sagen vermocht und er wollte sie auch nicht kennen.
Leider waren die Gegenstände, auf die er in dem offenliegenden Regal stieß, enttäuschend. Die Bücher waren juristische und volkswirtschaftliche Werke, wahrscheinlich der Stadtbibliothek entliehen. In den Heftern ruhten alte, verblichene Berichte aus Klammers Zeit als Sachbearbeiter, die er aus für Sapher unerfindlichen Gründen an diesem Ort aufbewahrte, statt sie dem Reißwolf oder dem Archiv anzuvertrauen. Auch die halbleere Schnapsflasche war nicht weiter bemerkenswert, sondern trotz des Alkoholverbots in der Behörde ein alltäglicher Anblick. Das Glas, das neben dem Cognac stand, war unbenutzt. Sapher kannte die Flasche, sie kam zum Vorschein, wenn jemand in der Abteilung Geburtstag hatte oder ein Jubiläum feierte. Er hätte sich den Doktor auch nur schwer als heimlichen Säufer vorstellen können.
Einen Moment zögerte Sapher, dann schob er den Schrank ganz auf. Er erschrak über den Anblick, der sich ihm bot, so heftig, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug. Da lagen ein Ordner, der in Klammers Handschrift mit Beurteilungen betitelt war – und eine automatische Pistole! Nach dem ersten Schock über den unvermuteten Anblick einer Schusswaffe stellte Sapher allerdings fest, als er sie schließlich zitternd und übervorsichtig in die Hand nahm, dass es sich nur um eine täuschend echt nachgeahmte, grau-metallen glänzende Wasserpistole handelte, die aus dem Lauf tropfte. Weshalb der Doktor solch ein Spielzeug im Schrank hatte, noch dazu mit Wasser gefüllt, war ihm ein weiteres in der langen Reihe der Rätsel, die Klammer umgaben. Sapher legte das Waffenimitat irritiert zur Seite und nahm den Ordner, blätterte ihn auf.
Dies war nun wirklich ein bemerkenswerter Fund! Klammer hatte hier kurze Aufzeichnungen über viele Beamte der Behörde gesammelt und es waren – soweit Sapher beim ersten oberflächlichen Überlesen erkennen konnte – bissige, teilweise boshafte, aber immer zutreffende Beurteilungen, die, wenn sie bei den Beschriebenen Bekanntheit erlangt hätten, einiges Aufsehen erregen und bedeutenden Ärger für Klammer darstellen würden. Natürlich suchte Sapher zuerst nach sich selbst, fand jedoch nur ein beinahe leeres Blatt, das als einzige Eintragung seinen einmal unterstrichenen Namen und dahinter ein Fragezeichen aufwies. Bereits die nächste Seite barg einen Absatz über die Rothschädl. Aufgeregt setzte sich Sapher in Klammers Besucherstuhl und las.
Eva Rothschädl, stand dort, dann ein Ausrufezeichen, seit knapp zwei Jahren im Amt, Mitte zwanzig, als ‘Simone’ geeignet. Sie ist immer auf dem Weg nach oben, denn sie ist fleißig, gut erzogen, wortgewandt und karrieresüchtig. Da sie aber noch jung und dazu eine Frau ist, bleiben ihr einige Türen verschlossen und sie müht sich häufig im Leerlauf um ihren Aufstieg. Auch ihre außerordentliche Attraktivität ist eher ein Hindernis. Sie ist leicht aufbrausend und reizbar, aber selten auf Dauer beleidigt. Sie spielt gern und ist unter Berücksichtigung aller Dinge, die ich von ihr weiß, als Muse begabt. Ihr Eifer ist in der Behörde fehlgeleitet. Ich habe sie deshalb Sontheimer vorgestellt und er hat Gefallen an ihr gefunden, denn er sammelt begeistert Frauen ihrer Art.
Sontheimer? Sapher überlegte. Sontheimer. Ihm war, als müsse ihm dieser Name etwas sagen. Ein Beamter vielleicht? Nein, er kam jetzt nicht darauf, in welchem Zusammenhang er den Namen schon einmal gehört hatte. Vielleicht fiel es ihm später wieder ein, wenn er Ruhe zum Nachdenken hatte. Er senkte den Blick wieder auf den maschinengeschriebenen Text. In diesem Moment ging in seinem Büro das Telefon. Er hörte das Klingeln deutlich durch die nur angelehnte Tür. Trotzdem erschrak er, als wäre er bei seinem verbotenen Blick in Klammers Unterlagen ertappt worden. Er war unschlüssig, was er tun sollte. Natürlich hätte er gerne weitergelesen, der Text über Eva war noch ein paar Sätze länger, aber der Anruf war sicher wichtig. Also rannte er doch in sein Zimmer, stürzte ans Telefon und meldete sich atemlos. Seine Frau war am Apparat.
»Das hat ja gedauert«, sagte sie statt einer Begrüßung. Erleichtert ließ sich Sapher in seinen Drehstuhl fallen. Er hielt noch immer Klammers Ordner in der Hand. Schuldbewusst schob er ihn eilig in die Ablage unter seinem Schreibtisch. Er mahnte sich innerlich zur Ruhe.
»Ich war nicht im Zimmer. Worum geht’s?«, fragte er und zwang sich zu einem oberflächlichen, gutgelaunten Gesprächston. Er gelang ihm nur unzureichend und Gitta, die jede seiner Stimmungen genau kannte, fühlte es sofort.
»Was hast du, wieder einmal Ärger mit deinem Chef?«
»Ich? Nein. Alles ist ruhig hier. Jeder wartet auf das Wochenende. Nur die Hitze macht mich müde«, rechtfertigte er sich. Obwohl seiner Frau anzuhören war, dass sie seiner Ausflucht keinen Glauben schenkte, ging sie auf ihn ein.
»Ja, heute ist es wieder schlimm, es wird jeden Tag heißer. Hoffentlich kommt bald mal ein Gewitter. Aber ich rufe dich nur an, weil ich dich später abholen will. Ich bin mittags in der Stadt geblieben und telefoniere aus einem Café. Wann machst du heute Feierabend? Wenn es nicht zu spät wird, könnten wir noch fürs Wochenende zum Einkaufen fahren – wir brauchen Getränke und Brot.«
»Wahrscheinlich kann ich heute pünktlich Schluss machen. Klammer ist in einer Besprechung. Ich denke, ich bin kurz nach halb vier am Parkplatz.« Gitta arbeitete seit ein paar Monaten halbtags als Verkäuferin in einer kleinen Boutique in der Innenstadt und es kam häufig vor, dass die beiden gemeinsam nach Hause fuhren, da sie nur ein Auto besaßen, das in der Regel er benutzte, weil die Verkehrsverbindung nach Waldkirch am Abend denkbar schlecht war.
»Prima, bis später dann. Ich liebe dich«, sagte Gitta und unterbrach das Gespräch abrupt, bevor Sapher etwas erwidern konnte.
»Ich dich auch …« Er sah abgelenkt in den leeren Raum und legte den Hörer auf die Gabel. Anschließend nahm er den Ordner wieder in die Hand und stand auf, um ihn im ersten Impuls der Scham zurückzulegen. Dann aber holte er die etwa dreißig losen Blätter aus ihrer Aktenhülle, die er wieder unter seinen Tisch legte, rollte sie und verließ sein Büro. Er schlenderte um ein gleichgültiges Aussehen bemüht links den Gang hinab, wo in einer kleinen Nische ein viel benutztes Kopiergerät stand. Er musste warten, weil ein Kollege vor ihm einige Unterlagen duplizierte, war aber gelassen und selbstsicher genug, um mit ihm ein alltägliches Gespräch zu führen und über einen Scherz zu lachen.
Zehn Minuten später war alles geschafft: Klammers Original lag in dem Regal, in dem Sapher es gefunden hatte, die Wasserpistole oben drauf. Der Schrank war wieder in der alten Weise halb geschlossen und die Raubkopie bewahrte der Beamte in seiner Aktenmappe auf. Er sah auf die Uhr, es war kurz vor drei. Er roch erneut nach Schweiß. Dass er heute noch zu Eva ging, war ausgeschlossen; der Montagmorgen wäre auch viel günstiger. Eifrig begann er, sich den kurzen Rest der Arbeitszeit damit zu vertreiben, seine Post zu bearbeiten.