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Das goldene Kalb – Teil 20

Die drei saßen lange einfach nur da und jeder beschäftigte sich mit seinen eigenen, düsteren Gedanken. Martin grübelte über die Identität des unbekannten Erpressers und Mörders. Schon seit einer ganzen Weile hatte er das Gefühl, der Lösung ganz nah zu sein. Erneut ging er im Gedächtnis die Personen durch, die zu der Geschichte gehörten und dann wusste er es plötzlich. Die Antwort stand vor ihm, sie traf ihn mit einem Zusammenzucken, war ein körperlich spürbarer Schock. Er konnte sich nicht täuschen. Er war sich absolut sicher. Es konnte keinen Zweifel geben.

Vor Aufregung verschüttete er ein wenig Kaffee in die Untertasse. Er stellte sie klappernd vor sich auf den Tisch. Er musste wohl so aussehen, als wäre ihm ein Gespenst begegnet, denn die beiden Anderen starrten ihn erstaunt an.

»Ich hab es«, sagte Martin. »Jetzt hab ich es. Es ist alles ganz einfach: Wer konnte ohne Weiteres in das Sonnenheimbüro? Wer weiß, wie wichtig Hascheks Pläne sind und dass sie sich in dem Büro befinden? Wer hat einen Grund, sie an sich zu bringen und diesen Peter Schmuck als einzigen Mitwisser umzubringen? Ich bin mir sicher: Der Einbruch war gestellt, er sollte nur den gezielten Mord vertuschen. Und es war eine Person, die Blücher sofort erkannte, als sie aus dem Haus an der Frölichstraße vor mir davon lief. Deshalb hat er ihn unter die Lupe genommen und musste seine Neugierde mit dem Leben bezahlen. Wer hat ein Interesse daran, möglichst bald zu verschwinden, um unterzutauchen und braucht daher Geld? Es ist immer derselbe Mann. Nur er kann es sein.«

Martin wand sich direkt an den kopfschüttelnden Architekten, der auf diese Weise versuchte, den Alkoholdunst aus seinem Kopf zu bringen. Während er noch zweifelte, schien Goschad langsam ebenfalls zu verstehen. Er hatte sich vorgebeugt und lauschte interessiert.

»Wie heißt der Partner von Schmuck noch mal, diese zweite Sonnenheimmakler?«, fragte Martin.

»Ja … Waggerle. Waggerle. Den Vornamen habe ich gerade vergessen. Aber … «

»Da gibt es kein Aber! Beschreiben Sie ihn«, forderte Martin Haschek auf.

»Ich habe ihn nur einmal gesehen, denn er war ja nur ein stiller Teilhaber, der Geld in die Agentur eingebracht hat. Er hielt sich immer im Hintergrund. Ich glaube, Waggerle ist Immobilienkaufmann in einer Münchener Firma. Schmuck hat mich auf einer Veranstaltung mit ihm bekannt gemacht. Das war … ich weiß nicht mehr, wo … «

»Ja?«, hakte Martin nach. »Sie sollten uns doch erzählen, wie er aussieht.«

»Nun, was soll ich sagen? Ich bin kein guter Beobachter. Ich weiß nicht … Er war dem Anlass angemessen gekleidet. Dunkle, kurzgeschnittene Haare, ein breiter, wuchtiger Kopf. Wenn ich so nachdenke … Er ist nicht sehr groß, nicht größer als ich jedenfals, aber so weit ich das abschätzen kann, ist er sehr sportlich gebaut, ein … Bodybuildingtyp. So schätze ich ihn ein

»Das ist er. Sie haben den Mann beschrieben, der mich vor meiner Wohnung angegriffen hat.«

»Aber es ist doch nicht möglich. So weit ich weiß – und mein Informant ist sehr zuverlässig – ist Waggerle ist irgendwo mit dem Auto in Portugal unterwegs und macht Urlaub.«

»Na und?«, mischte sich jetzt Goschad ein. »Eine vorgetäuschte Reise ist doch ein wunderbares Alibi. Er mordet und erpresst und ist eigentlich gar nicht da. Und wenn er alles hinter sich gebracht hat, fährt er vergnügt nach Portugal, wo er sich angeblich ja schon befindet. Er sst sich in irgendeinem abgelegenen Bauerndorf von der Polizei aufstöbern und weiß von nichts. Deshalb musste auch Blücher sterben, der ihn erkannt hatte. Niemand darf wissen, dass er in Wirklichkeit in Augsburg und nicht an der Algarve ist

Haschek lehnte sich zurück, fasste sich an die Stirn.

»Sicher … jetzt ergibt das alles einen Sinn“, stotterte er. „Klar, ich wusste doch, dass ich seine Stimme kenne, als ich mit ihm telefonierte. Warum bin ich da nicht selbst darauf gekommen? Es liegt doch auf der Hand. Ich bin ein Idiot, ich hätte es wissen müssen … «

»Machen Sie sich nichts draus. Es hätte nichts geändert«, unterbrach Martin die Selbstanklage. »Wir wissen zwar jetzt, wie unser Gegner heißt und unser Phantom hat einen Namen. Das ist aber auch schon alles. Er wird dadurch nicht ungefährlicher. Zwei Menschen, die seinen Namen kannten, hat er schon beseitigt. Mir wird ganz schwach, wenn ich daran denke, wie knapp ich davor war, sein drittes Opfer zu werden.« Das war die Wahrheit, Martins Knie wurden ihm plötzlich weich und er hatte ein flaues Gefühl im Magen. »Recht besehen, hatte ich unwahrscheinliches Glück.«

»An der Situation ändert sich nichts«, ergänzte Goschad.

»Aber vielleicht ich ihn ihn ein wenig aufschrecken, wenn ich ihm bei seinem nächsten Anruf seinen Namen ins Gesicht schleudere. Vielleicht kriegt er es dann mit der Angst zu tun und lässt mich in Ruhe … Vielleicht … «, stotterte Haschek. Während er sprach, hatte er Zweifel an seinen eigenen Worten.

»Nein, das hat keinen Sinn. Das würde höchstens seine Geldforderung in die Höhe schrauben. Außerdem muss er vermuten, dass wir früher oder später auf ihn kommen«, sagte Martin. Goschad gähnte unterdrückt und fuhr sich über die Augen.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte er und sah demonstrativ auf seine Armbanduhr. »Ich muss noch ins ICEHAUS zur Abrechnung. Danke für den Kaffee, Martin.« Er nahm den letzten Schluck aus seinem Whiskyglas, in dem eigentlich kein Alkohol mehr war, sondern nur noch das Wasser der fast aufgelösten Eiswürfel schwamm. Dann erhob er sich langsam und streckte sich. »War ein langer Tag. Was machen wir morgen? Vormittags will ich nicht geweckt werden.«

Haschek sah ihn staunend an, er schien durch den plötzlichen Entschluss des Diskothekenbesitzers überrascht zu sein. martin ließ mich von dessen Müdigkeit anstecken, gähnte in den Handrücken.

»Ich weiß nicht genau«, zuckte er mit den Schultern. »Wie gesagt, wir müssen warten, bis sich Waggerle wieder bei Haschek meldet. So lange können wir nichts tun als warten.« Goschad nickte zustimmend.

»Also warten wir.« Er wand sich zu dem Architekten. »Haschek, wenn Sie möchten, fahre ich Sie jetzt noch nach Hause.«

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht .. «

Es gelang dem Architekten erst beim zweiten Anlauf, in die Höhe zu kommen. Als er stand, wankte er leicht nach vorn und zurück, schien sich dessen aber nicht bewusst zu sein. Er ging einen zittrigen Schritt, stieß gegen den Tisch. Fast stürzte er vornüber. Bei dem Versuch, sich zu fangen, ließ er sich wieder nach hinten auf das Sofa fallen, das unter seinem Gewicht fast menschlich stöhnte. Er war stockbetrunken. Erstaunlich, wie schnell das jetzt gekommen war. Jetzt sah er nur noch hilflos umher. Goschad erbarmte sich und nahm ihn – genau so wie vor ein paar Stunden Martin – unter den Arm, führte ihn mit sanfter Gewalt zur Tür. Er hatte Erfahrung mit Menschen in diesem Zustand. Haschek lachte Martin zum Abschied zu und winkte dämlich.

»Bis morgen«, sagte Goschad. »Wir treffen uns am Besten am frühen Nachmittag in Hascheks Haus. Da können wir überlegen, wie wir weiter vorgehen. Und schlaf dich aus. Wer weiß, was morgen alles passiert

»Pessimist«, sagte Martin und schloss die Tür hinter den beiden, lehnte sich gegen sie. Draußen war ein rumpelndes Geräusch zu hören. Goschad fluchte ordinär. Dann war es still – sehr still plötzlich. Martin ging ins Wohnzimmer zurück und blickte auf die Reste des Abends.

Waggerle, natürlich, er war es! Trotzdem stimmte irgendetwas noch nicht. Da gab es noch einen Punkt. Martin wusste, er hatte eine Kleinigkeit vergessen, eine, die sehr wichtig war. Vergeblich zermarterte er sich den Kopf. Es war zu ärgerlich: Es lag ihm auf der Zunge, es war ganz nah bei ihm, ich musste es nur noch ausspucken. Und immer, wenn er glaubte, dass ich er den Gedanken hatte, ihm im nächsten Augenblick diese Kleinigkeit wieder eingefallen würde, wenn er dabei war, das entscheidende Wort zu formen, war es plötzlich wieder weit weg, unenträtselbar.

Er konnte lange nicht einschlafen Das lag nicht nur am Kaffee, sondern an seinem unruhigen Geist. Es war dieser Gedanke, etwas Bedeutendes vergessen zu haben, der ihn um die Ruhe brachte.

Aber was konnte das sein, was nur?

10.
Montag.
Mittag

Die Pistole!

Blücher hatte eine Pistole gehabt, als er Martin in sein Büro entführt hatte. Haschek hatte die Waffe nicht bei der Leiche gefunden, die er doch durchsucht hatte. Zumindest hatte er davon nichts gesagt. Klar. dass ein Detektiv bewaffnet sein musste – vor allem, wenn er einem Mörder auf der Spur war. Wo war sie also hin gekommen? Warum hatte er sie in seinem Kampf gegen Waggerle nicht benutzt? Er wäre doch wohl einem Mann, von dem er annehmen musste, dass er ein skrupelloser Killer war, nie ohne Pistole gefolgt. Hatte er sie vergessen? Verlegt? Konnte das sein? In Blüchers Büro hatten die drei keine Waffe gefunden. Hatte Sie ihm jemand gestohlen? Aber wer?

Und – verdammt noch mal: Woher wusste der Detektiv eigentlich, wann und wo Haschek mit dem Erpresser verabredet war?

Martin schreckte hoch, saß aufrecht in seinem Bett. Es war längst Tag, schon eine ganze Weile, wie er durch einen Blick auf die Uhr feststellte: Es war kurz vor zwölf Uhr. Sein Arbeitgeber würde sich ganz schön wundern, dass er seit zwei Tagen kein Lebenszeichen mehr von ihm hatte. Wenn Martin kein ärztliches Attest besorgte, genügte das wahrscheinlich für einen Rausschmiss. Aber das konnte ihm egal sein. wenn er die Million von Haschek erbeuten konnte. Dann hatte er genug Geld, um mit geschickten Einsätzen beim Spiel eine Weile auszuhalten. Dann konnte er auf diesen langweiligen Job bei der Postbank scheißen. Wie er es sich schon immer gewünscht hatte. Was hatte ihn geweckt? Die Pistole, richtig. Das war die Kleinigkeit gewesen, die ihm in der Nacht die Ruhe geraubt hatte. Er konnte diese wichtige Sache nur noch nicht einordnen. Er war in diesem Augenblick einfach zu dumm oder zu schlaftrunken, um das Offensichtliche zu erkennen.

Langsam stand er auf. Sein Körper war ausgelaugt. Er hatte den Rücken hinunter und die Beine hinab einen schweren, bei jeder Bewegung schmerzenden Muskelkater – wohl die Nachwehen von beinahe zwei Tagen verkrampften Sitzens gefesselt auf einem Stuhl. Zudem war da ein widerlicher, fauler Geschmack auf seiner Zunge, sein Atem stank widerwärtig nach ihm. Doch nach dem Waschen war sein Kopf zum ersten Mal seit Längerem klar und erholt. Das allein genügte. dass er sich besser fühlte. Er zog sich an und entschied sich, sich eine Zeitung zu besorgen. Da es bereits Mittag war, hatte sein künstlernder Nachbar die seine bereits in Sicherheit gebracht und er musste zum Kiosk ein paar Häuserecken weiter gehen, um sich eine besorgen.

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