Am Wegesrand (XVII): Mosel abwärts

Mein Argument war schwach, aber es kam von Herzen:

„Aber … Italien!“

Doch Frau Klammerle blieb hart:

„In diesem Jahr machen wir Urlaub in Deutschland.“

Punkt. Und zwar nördlich der Donau; in jenen von der römischen Kultur unberührten und barbarischen Landschaften jenseits des Limes, die ich nur betrete, wenn ich dazu gezwungen werde. Nicht nur geografisch liegen mir die Alpenländer und Rom viel näher – auch klimatisch, kulinarisch, literarisch, landschaftlich und – nicht zuletzt – seelisch.

Dort hinauf will ich eigentlich nicht, in die kalten, düsteren Wälder des Nordens, in die schwindsüchtigen Mittelgebirgslandschaften, von denen ich mich schon als Kind weigerte, ihre Namen auswendig zu lernen und in einer Landkarte des Erdkundelehrers einzuzeichnen. Ich möchte nicht zu den armen Verwandten jenseits des alten Eisernen Vorhangs – mein Soli reicht. Nichts zieht mich an die Ufer des mare hibernicum, wo nur die Tageslänge den Winter vom verregneten Sommer unterscheidet, wo mein Humor und meine Aussprache des Deutschen fassungsloses Unverständnis unter den Eingeborenen auslösen. Dort bin ich fremd, ein Alien, ein zwar prosperierter, aber doch heimatverlorener, wurzelloser Migrant. Nein, ich kann nichts mit dem rheinischen Frohsinn, mit der Berliner Schnauze und der Hamburger Arroganz anfangen, nichts mit der sächsischen Mundart und nichts mit Wattwandern und Reformation. Ich will nicht an Orte, die Bielefeld, Brunsbüttel, Husedom oder Puttbus heißen – doch genau in letzterem werden wir im Herbst Urlaub machen: Zuerst fahren wir nach Wittenberg, dann erkunden wir eine Woche die Ostseeinsel Rügen, auf dem Rückweg verbringen wir jeweils ein paar Tage am Müritzsee und in Berlin. Das ist alles schon von Frau Klammerle gebucht und organisiert.

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Wir hatten keine Reifenpanne. Nein, wir trugen keine Helme und auch keine gepolsterten Radlerhosen. Ein wenig Selbstachtung habe ich mir auch im Alter bewahrt.

Da Frau Klammerle meine Abneigungen sattsam kennt, läutete sie unseren „deutschen Sommer“ an Pfingsten mit einer homöopathischen Dosis ein: Wir radelten in sechs Tagen die Mosel hinab bis Koblenz, in Etappen von 40 – 50 km täglich. Das sind bei den gut ausgebauten, ebenen Radwegen links und rechts der fruchtbaren Mosel nur appetitanregende Halbtagesetappen, die noch genug Zeit lassen, die Ortschaften am Wegesrand zu erkunden und Burgruinen zu erklimmen. Trotz meiner Unkenrufe in den Wochen vorher war das Wetter zwar kühl, aber amorph und fahrradtourentauglich. Nur einmal benötigten wir kurz  unsere Regenkleidung. Bequem wie wir sind, ließen wir uns unser Gepäck von Hotel zu Hotel transportieren und stapelten es nicht auf die Gepäckträger. Wir begannen die gemütliche Fahrt in Trier, einem Ort, der sich zumindest ein wenig von seiner alten römischen Kultur bewahrt hat, auch wenn er noch immer jenen fernen Tagen nachzutrauern scheint, als er eine Weltstadt war. Das alles erinnert sehr an Augsburg und deshalb fühlte ich mich dort noch recht heimisch.

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Erstaunlich. Die Porta Nigra gibt es wirklich. Bislang kannte ich sie nur als Abbildung auf meinem alten Lateinbuch.

Das änderte sich ein kleines Stück hinter Trier. Die Mosel mäandert sich dort auf fast zweihundert Kilometern durch sanfte, terrassierte und mit Wein bewachsene Hügelchen aus schwarzem Schiefer, schlägt Haken wie ein flüchtender Hase und erreicht dabei Kulturgüter und pittoreske (ha!), mittelalterliche Fachwerks-Ortschaften, in denen sich in jedem zweiten Gebäude der Ausschank eines Weinguts oder eine Besenwirtschaft befinden. Das ist zwar der Fahrtüchigkeit des Radlers nicht sehr zuträglich, aber wirklich nett und überaus sehenswert. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass das ganze Gebiet ein Freizeitpark für Senioren, eine Art Disney-World für weinselige Rentner ist. Obwohl ich auch schon über Fünfzig bin, senkte ich in manchen Ortschaften, in die ich mein Fahrrad lenkte, den Altersdurchschnitt. In den Moselstädtchen herrscht übrigens noch Ruhe und Ordung. Spätestens ab neun Uhr abends sind die Rollläden heruntergelassen, die Bürgersteige hochgeklappt, die Lokale geschlossen und die Rentnerschar liegt besoffen in ihren Pensionsbetten.

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Wer ist eigentlich der Kerl mit der riesigen Axt im Hintergrund dieser Kreuzigungsszene, die ich im Wald oberhalb von Zell entdeckt habe? Und was hat er mit ihr vor? Will er Jesus fällen?

 Anders als im Allgäu oder gar auf den Höhenzügen der Schwäbischen Alp haben die Wirte an der Mosel schon mal etwas von Vegetarieren gehört und bieten auf ihren Speisekarten Fleischloses, wenngleich Ungesundes: eingelegten Winzerkäs, Gemüse-Flammenkuchen und erstaunlicherweise auch immer Kässpatzen, die doch in Rheinland-Pfalz so exotisch wie in Bayern Saure Eier in Grüner Sauce sein müssten. Ich verzichtete auf einen Geschmackstest.

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… gesehen auf der  Toilette in einem Café in Enkirch.

Wir kamen an unzähligen Campingplätzen vorbei, in der Hauptsache von Niederländern bevölkert, deren Sprache an diesem Fluss häufiger zu hören ist als der Dialekt der Einheimischen. Manche der stolzen Wohnwagenbesitzer hatten sogar ihre eigenen Gartenzäune und -zwerge mitgebracht, mit denen sie ihr gemietetes Fleckchen Erde am Flussufer begrenzten. Man sieht, an der Mosel war durchaus auch Exotisches und Beunruhigendes zu entdecken.

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Das deutsche Eck in Koblenz. Auf dem Bild finden gerade die Mosel, der Rhein und Frau Klammerle zusammen. Und ein Tip für alle, denen nach ihrer Tour Riesling ‚feinherb‘ zum Hals raushängt: In der Nähe ist ein schöner Biergarten.

Insgesamt betrachtet war die Radtour als Eingewöhnung in unseren deutschen Sommer gelungen. Aber nächstes Jahr, Frau Klammerle, da fahren wir wieder in den Süden, das musst du mir versprechen. Nichts gegen Riesling, Fachwerk und trübes Wetter, aber ich bin ein Rotwein-, ein Renaissance-, ein Sommermensch.

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