Bock des Monats – Mai

Der Mai-Bock. Der darf nicht fehlen, bevor ich in den wohlverdienten Urlaub radle. (1)

Da ja niemand meine Texte liest oder gar bezahlt, nirgendwo ein Reemtsma mit einer monatlichen Zuwendung auf mich wartet, kein Verleger meine Genialität entdeckt hat und mich der Feuilleton schnöde ignoriert, gehe ich auch einem Brotberuf nach, um meine Familie zu ernähren. Dieser Beruf führt mich viermal in der Woche in das türmereiche, ehemals österreichische und reichlich langweilige Günzburg. Von meinem Heimatdorf Diedorf aus ist das eine halbe Weltreise, die mich „im Wilden Westen“ zuerst über kleine Seitenwege bis Horgau, dann über die B10 bis Zusmarshausen (2), anschließend über die A8 bis zum Ziel führt, insgesamt sind das hin und zurück über 90 Kilometer. Mein alter, von häufigen Pannen geplagter Fiat hat gut 200.000 Kilometer auf der Anzeige.

Ortsansässigen ist die A8 als Europas längster Parkplatz bekannt. Seit ich die Strecke befahre –  bald sind es zwanzig Jahre – ist die unfall- und stauträchtige Autobahn durchgehend von Baustellen geplagt. Da werden aus den normalen 45 Minuten einfache Fahrt schon mal zwei Stunden. Die größte Baustelle ist im Moment der sechsspurige Ausbau der A8 zwischen Augsburg und Günzburg, an dem seit vier Jahren mehr oder weniger fleißig gearbeitet wird. Seit Anfang Mai ist deshalb die Auffahrt Zusmarshausen in Fahrtrichtung Stuttgart gesperrt und ich muss zusätzlich einen größeren Umweg auf mich nehmen.

Dann wurde von einem Tag auf den anderen in meinem Dorf eine wichtige Straße gesperrt, weil eine Brücke über die Schmutter marode ist. Es gibt zwei Ausweichstrecken, die ich fahren kann. Beide sind selbstverständlich Umwege: Die eine führt über die Schlaglöcher von Feldwegen (dabei habe ich mir die Radfedern meines Autos ruiniert), die andere über die vollkommen überlastete B300, die mitten durch Diedorf führt. Hier bilden sich jeden Tag kilometerlange Staus. Seit 35 Jahren kämpfen die Diedorfer vergebens um eine Ortsumfahrung. (3)

Nun hat sich die Gemeinde entschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen und eine Bürgerinitiative gegründet, die alle Diedorfer mobilisiert und letzten Mittwoch zum Sitzstreik und Volksfest auf der B300 aufrief. Alle Diedorfe kamen. Alle Diedorfer? Nun, zumindest einer – ich – kämpfte sich nach Feierabend durch alle Baustellen und Staus auf der A8, kurvte hinter Traktoren und Schleichern um die vielfältigen Umfahrungen und Umleitungen, machte noch in Bieselbach (4) halt, um für Frau Klammerle Grillfische zu kaufen und stand schließlich und endlich knapp vor Diedorf auf der B300 im Stau, den der fröhliche Bürgerstreik verursacht hatte.

diedorfumfWährend z. B. Frau Klammerle bei wundervollem und warmem Vorsommerwetter mit Bekannten, Freunden und Blasmusik auf der Straße feierte und Butterbrezen und Freibier konsumierte, saß ich mal wieder selbstmitleidig in meiner Schrottkiste, in selbstverständlich die Klimaanlage ausgefallen ist. Obwohl ich ebenfalls mit der Umfahrung sympathisiere, verfiel ich wegen des Verlustes von Lebenszeit in Trübsinn und Depression und weinte still in mein Lenkrad hinein.

Mein Leben: Ein Stau. Das wird einst der Titel meiner Autobiografie.

Deshalb geht mein Bock des Monats Mai an den Markt Diedorf und seine Bürgerinitiative.

bock

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(1) Der Moselradweg von Trier bis Koblenz. Eine Tour für Weicheier mit Tagesetappen von 35 – 40 km. Das Gepäck wird in die Hotels vorausgefahren. Ich werde selbstverständlich hier berichten, wie es war.

(2) Ein vergessener Ort der Europäischen Geschichte: Hier fand die letzte große Schlacht des dreißigjährigen Krieges statt. Noch heute braut die in Zusmarshausen ansässige Privat-Brauerei  aus diesem Grund ihr „Schwedenpils“. Was mal wieder beweist, wie pragmatisch die bayerischen Schwaben denken.

(3) Kürzlich wurde an der alten Via Claudia Augusta unweit von Diedorf ein römischer Meilenstein gefunden, auf dem zu lesen war, dass die Umgehung jetzt aber wirklich bald kommen würde.

(4) Der Ort heißt tatsächlich so. Bieselbachs einzige Sehenswürdigkeit ist ein durchaus beeindruckender spätgotischer Flügelaltar in einer kleinen, unscheinbaren Kapelle. Es gibt dort nicht einmal eine Wirtschaft.

One thought on “Bock des Monats – Mai”

  1. Der eigentlich Maibock lautet richtig: „wohlverdienter Urlaub“.

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