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Ohrenbetäubendes Gezwitscher

Nein, ich werde nie die Regeln und Gesetze der sozialen Medien begreifen. Sie erscheinen mir so komplex und hermetisch wie ein Hegel-Text – vielleicht nicht so bedeutend, aber doch so kompliziert und undurchschaubar. Ein wenig erinnern mich Facebook und Co. immer an die staubtrockene Serengeti, auf der riesige Zebra-, Antilopen- und Gnuherden kadavergehorsam ihren Leitbullen auf komplizierten Wegen zu den wenigen Wasserstellen folgen oder ihnen hinterherhoppeln, dorthin, wo es sich die Löwen und Alligatoren schon gemütlich gemacht haben und auf ihre Nahrung warten.

So hielt ich es im letzten Sommer für eine gute Idee, mir ein Twitterkonto einzurichten, das in erster Linie dazu dienen sollte, das Erscheinen meiner Blogartikel zu ‘zwitschern’. Ab und an, wenn ich Lust dazu habe, versuche ich mich auch daran, mich mit der Begrenzung von 140 Zeichen zu begnügen und meine Botschaften, Erkenntnisse und Weisheiten in alle Welt zu versenden. Meist scheitere ich freilich an dieser Vorgabe, denn ich bin eben nur ein geschwätziger bayerischer Epiker, dem jede Kurzgeschichte unversehens zum Roman gerät. Ein aufs Nötigste beschränkter Satz ohne Ein- und Beifügung, Nebensätze, Adjektive und Adverbien gelingt mir nur alle ein-, zwei Monate, wenn ich einen besonders guten Tag habe.

Nun, natürlich läuft mein ‘Tweet’ nicht gut, das heißt, im hektischen Geplapper von Twitter gehen meine Nachrichten verloren wie eine wertvolle Münze, die ins Meer fällt. Mir ist schon klar, warum. Meine Nachrichten sind letztendlich überflüssig und vermehren nur das Geschwätz. Sie werden nicht weiter beachtet. Warum auch? Wer interessiert sich schon für das telegrammkurze Gestammel eines Unbekannten, wenn einen die Weltgeschichte überrollt und ein C-Promi eine neue Frisur hat? Niemand. Ich auch nicht. Das Risiko ist auch sehr groß. Schließlich opfert man auf gut Glück kostbare Lebenszeit, da will man schon sicher sein, dass es sich auch lohnt. Niemand kauft die Schokolade eines ihm unbekannten Herstellers, wenn er sich seine vertraute Milka besorgen kann. Da weiß er wenigstens, was ihn erwartet.

Das alles änderte sich am letzten Wochenende für eine kurze Zeit. Ich will es mal meine fünf Minuten Socialmedia-Prominenz nennen. Und das kam so:

In der ZEIT vom Donnerstag las ich ein Interview mit dem Bildhauer- und Malerpapst Markus Lüpertz, in dem er frohgemut über alles und jeden schimpfte und mit Häme überzog. Ausgesprochen lesenswert und amüsant. Dabei merkte er nebenzu an, er würde auf Fotografien grundsätzlich ernst in die Kamera blicken, weil in Deutschland lächelnde Menschen als Künstler nicht ernst genommen würden. Er lebt wahrscheinlich nach dem Motto von Thomas Mann, dass ein Künstler immer so seriös wie ein Bankdirektor wirken müsse. Ich twitterte daraufhin, mir wäre nun klar, warum ich ein so erfolgloser und ungelesener Autor sei. Schließlich lächle ich ja grundsätzlich auf jedem Foto.

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Würden Sie diesem Autor eine Tafel Schokolade abkaufen? Oder gar einen Roman von ihm lesen?

Erstaunlicherweise wurde diese kleine Bemerkung am Samstag von der ZEIT ‘retweeted’, also in ihrer eigenen Twitterpräsenz verlinkt. Das Ergebnis war erstaunlich. Nachdem sich an einem normalen Tag höchstens fünf oder sechs Personen für meine Tweets interessieren, griffen noch am Samstag über 4000 (!) Interessierte auf meine kleine unbedeutende Anmerkung zu. Das sind mehr Zugriffe, als ich sie auf meinem Blog in einem ganzen Jahr habe.

Bemerkenswert war auch, dass diese Begeisterung für mein Aperçu so gut wie keine Auswirkungen auf „Aber ein Traum“ selbst hatte, für das ich eigentlich Werbung machen wollte. Dort dümpelten auch in meinen fünf Minuten Internetberühmtheit meine Texte, Geschichten und Glossen mit zehn Zugriffen (mindestens 3 davon sind Suchmaschinen-Bots) am Tag vor sich hin. So weit ging das Interesse dann doch nicht. Also keine Angst, lieber unbekannter Leser, wir sind noch unter uns und inzwischen interessiert sich auch niemand mehr um meinen Twitteraccount. Die Herde ist bereits bei der nächsten Wasserstelle. Das Leben geht weiter.

Aber für ein paar Minuten war ich berühmt im Netz. Ist doch auch etwas.

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