Nikolaus Klammer Alltägliches,Der Autor,Garten,Leben,Literatur Der Frost der Tage – eine Depression

Der Frost der Tage – eine Depression

Was für ein Morgen.

Ein eisiger Hauch glitzert in der Sonne über dem amorphen Schneefeld, das noch vor Kurzem mein gepflegter Garten war. Jetzt ist es eine zwar trügerisch schöne, aber überaus lebensfeindliche Landschaft, auf die ich durch die beschlagene Terrassentür sehe und mich dabei selbst umarme. Nur an wenigen Stellen durchbrechen schwarze, erfrorene Pflanzenstängel wie zum Trotz das weiße Leichentuch, deuten als flüchtige Skizze die Orte an, an denen noch im Herbst üppiges Grün austrieb und reiche Früchte trug. Der Garten ist ein Grab von Hoffnungen und Träumen.

Denn es könnte auch ein Blick durch ein Dimensionsfenster sein, hinaus auf eine andere, fremde Welt auf einem anderen Planeten in einem anderen Universum zu einer anderen Zeit: Eine Landschaft der Seele. Es ist meine Landschaft. Ich bin mein Garten.

Confess

Ich sehe durch das Glas und erkenne: Dort draußen breitet sich mein Inneres vor meinen Augen aus. Ich sehe in mich. Auf den Frost der Tage, die kommen. Kurze, starre Tage, erfrorene Hoffnungen unter hohem Schnee. Eisige Kälte dringt müde durch die unzureichend abgedichteten Türrahmen. Sie greift verlangend nach mir und ich fasse mich noch fester. Gut, dass ich diesen Moment nicht an die Arbeit verschwenden muss, sondern nutzen kann, um über mich nachzudenken.

Ich war nachlässig in der letzten Zeit, achtete viel zu wenig auf mich. Meinen  Körper habe gering geschätzt, seine Warnungen ignoriert, den Geist nicht gefordert, ihn zur Geisel von billigem Vergnügen und Ablenkung gemacht. Zog mich zurück aus einer Welt, die gerade in letzter Zeit so viel Hass und Dummheit und Gewalt vor meinen Füßen erbrach. Ich wollte das alles nicht sehen, nicht glauben. Das sollte mich nicht erreichen, kein Teil meiner Wirklichkeit werden. Ich flüchtete deshalb in einen Winterschlaf, igelte mich ein, zog die Decke über den Kopf, aß und trank viel zu viel, verbrachte hundert Stunden im Spiel.

Auf irgend eine seltsame Weise stecke ich noch im letzten Jahr fest, fühle ich mich aus meiner Zeit gerissen, habe ich 2015 noch nicht erreicht. Ich taumelte wie ein Schlafwandler durch durch den Januar, erreichte den Februar nur mit Mühen. Ich habe leichtfertig Lebenszeit verschenkt. Das rächt sich nun mit Schmerzen, körperlichen und seelischen. Auch ein Meister der Verdrängung scheitert einmal an dem Berg, den er vor sich herschiebt. Und nein. Sisyphos darf man sich nicht als glücklichen Menschen denken.

In ein paar Tagen jährt sich mal wieder mein Geburtstag, doch diesmal ist dieser Termin kein Anlass zur Freude. Diesmal ist er ein Blick hinaus auf eine trostlose, winteröde Landschaft, aus der meine Träume und Ideale, meine Hoffnungen und Wünsche wie abgestorbene Pflanzenreste aus dem Eis ragen. Ein Blick auf eine Zukunft, an der ich eigentlich nicht teilhaben will. An der ich keine Freude haben werde.

Und jetzt? Mache ich mir einen Tee.

Denn es ist an der Zeit. Ich will wieder Herr meiner Tage werden. Wenn nicht heute – wann dann? Ich mag gestolpert, ja hingefallen sein. Und ich habe mich dabei verletzt. Aber ich werde mich wieder aufrichten, weitermachen, weiterleben, weiter schreiben. Ich will noch auf viele Berge steigen. Auch auf den, den ich vor mir herschiebe. Denn unter dem Schnee ist doch noch so viel Leben, warten noch so viele ungesehene Dinge. Alles drängt bereits an die Oberfläche. Ich muss nur den ersten Schritt tun. Der Winter mag herrschen, aber eigentlich hat er bereits verloren. Zumindest diese Runde geht noch einmal an mich.

Der Winter ist kein Abschluss. Er ist ein Beginn – heute, an diesem Tag.

Nutzen wir ihn.

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