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Das goldene Kalb – Teil 4

Der Architekt war schon nach sieben Minuten da, leger mit Jeans und Regenjacke gekleidet und sich immer wieder absichernd umsehend. Er hatte seinen unsympatischen Hund bei sich. Wahrscheinlich war er das Alibi für seinen Spaziergang. Das Tier erkannte Liebermann sofort und knurrte drohend; dabei sah der Köter immer wieder zu seinem Herren auf und wartete voller Vorfreude auf den Befehl, sich endlich auf den Fremden stürzen zu dürfen.

»Haben Sie etwa schon die Pläne?«, fragte Haschek voller Hoffnung. Liebermann schüttelte den Kopf.

»Das wollte ich heute Abend nach Feierabend erledigen. Aber ich habe ich anderes Problem. Hören Sie, warum ist Ihr Detektiv noch immer hinter mir her?«

Hascheks Überraschung war echt, das konnte Liebermann sehen. Wer Karten spielte – selbst wenn er das so schlecht wie er machte -, musste Menschen einschätzen können.

»Der Detektiv? Aber was reden Sie denn da? Er hat mir doch die Unterlagen schon vor zwei Wochen gebracht. Wissen Sie, was mich eine Observation am Tag kostet? Das müssen Sie sich einbilden. Sie haben Verfolgungswahn.«

»Ich wäre wirklich froh, wenn Sie recht hätten. Nein, ich bin mir sicher: Hinter mir ist einer her. Sie haben dem Detektiv also keinen Auftrag gegeben?«

»Nein, selbstverständlich nicht. Bei dem, was wir vorhaben, brauchen wir doch keinen Zeugen. Das wäre ja absurd«, erwiderte Haschek entrüstet. Liebermann sah ihn von der Seite an. Dann nickte er. Er musste ihm glauben.

»Diese Sache entwickelt sich nicht so, wie es mir gefällt«, sagte er langsam. »Ich überlege, ob wir es nicht bleiben lassen sollten. Mit dem geheimnisvollen Schatten, den ich habe, ist das zu riskant.«

Haschek hätte keinen anderen Gesichtsausdruck gehabt, wenn Liebermann ihm in den Magen geschlagen hätte. Er ließ auch ein entsprechendes Ächzen hören und sah resigniert hinauf in den Regen.

»Martin, ich dachte, wir hätten das hinter uns. Wenn Sie mehr Geld wollen…« Er wurde von seinem Boxer unterbrochen, der ihn zu einem Baum zerrte, vor dem der Köter mit den Hinterbeinen in die Hocke ging und seinen zitternden Stummelschwanz in die Höhe richtete. Die beiden Männer sahen schweigend dem Tier bei seiner Anstrengung zu. Als die Bemühungen des Hundes endlich Erfolg zeigten, wanderten ihre Blicke höher und trafen sich. Hascheks Augen flehten. Auf seinen dicken Backen waren plötzlich rote, hektische Flecken. Liebermann sah, wie viel Angst der Dicke hatte.

»Gut«, sagte er. »Machen wir es eben anders. Geben Sie mir die Adresse dieses Detektivs. Vielleicht bilde ich es mir tatsächlich ein, vielleicht ist auch jemand anderes hinter mir her. Ich will sicher gehen. Haben Sie noch jemanden eingeweiht?«

Haschek schüttelte den Kopf. Seine Erleichterung war geringer, als Liebermann erwartet hatte. Seine Stimme war unwillig:

»Ich habe natürlich gestern noch eine Anzeige in die Zeitung gesetzt«, sagte er zynisch.

»Caligula!« Er zerrte den Hund weiter, der interessiert seine eigenen Exkremente beschnüffelte.

»Der Name ist meiner Frau eingefallen«, setzte er entschuldigend hinzu, dann gab er bereitwillig Auskunft. Der Detektiv hieß Albert Blücher und das Büro, für das er arbeitete, war im vorderen Teil der Ulmer Straße zwischen Wertachbrücke und dem Oberhauser Bahnhof, einem Stadtteil, der fest in türkischer Hand war. Eine Privatadresse des Mannes kannte Haschek nicht. Liebermann ließ sich eine Beschreibung von Blücher geben, die durchaus auf seinen Schatten, aber auch auf tausend andere Männer passte. Dann verabschiedete er sich mit dem Versprechen, dem Architekten am nächsten Tag seine Pläne zu bringen, mittags zwölf Uhr wieder hier vor der Sparkasse. Haschek wirkte nicht sehr zuversichtlich und sah Liebermann noch zweifelnd und in Gedanken verloren nach, als dieser längst schon aus seinem Gesichtsfeld verschwunden war.

Liebermann fuhr diesmal auf direktem Weg nach Oberhausen. Er wollte sich Sicherheit verschaffen, ob dieser Blücher ihn nun verfolgte oder nicht. Seine Hoffnung auf nähere Informationen wurde enttäuscht. Die Detektei war in einem Haus, an dem Liebermann sicher schon hundertmal vorbeigegangen war, ohne dass das Büro ihm aufgefallen war. Dabei hatte er sechs Jahre lang nur zwei Häuser weiter gewohnt. Allein die Wörter “Ermittlungen/Auskünfte” statt eines Namens neben einem Klingelknopf wies auf die Existenz einer Auskunftei hin. Diese Leute waren anscheinend die Diskretion selbst und hatten keine weitere Werbung nötig. Das Klingeln von Liebermann verhallte ungehört. Das war an einem Freitagnachmittag nicht weiter verwunderlich. Und Blücher stand sicher noch im Lauterlech in der Nähe seiner Haustür und wartete. Liebermann zuckte mit den Schultern.

Was hatte dieser Mann vor? Warum war er weiterhin hinter ihm her? War er überfleißig oder wollte er einen besonderen Profit herausschlagen? Eine weitere, allerdings nicht sehr wahrscheinliche Möglichkeit war, dass der Detektiv süberhaupt nicht sein Verfolger war und er daheim ein wohlverdientes langes Wochenende genoss. Vielleicht war der Schatten auch von den Männern geschickt worden, denen Liebermann Geld schuldete. Aber die neigten normalerweise zu weniger differenzierten Methoden. Außerdem hatte er sich durch eine Umschuldung eine Frist bis zum nächsten Ersten verschafft. Liebermann fuhr also mit dem 35er bis zum Pilgerhaus und machte die umgekehrte Tour durch die Hinterhoflandschaft seines Wohnblocks zurück in seine Wohnung. Als Erstes spähte er neugierig durch die Vorhänge aus dem Fenster auf die Straße. Er entdeckte niemanden, aber das hatte er auch nicht erwartet. Sein Schatten würde nicht auf offener Straße stehen.

Liebermann fiel erleichtert auf, dass über seinem ausgedehnten Ausflug endlich die Kopfschmerzen verflogen waren. Er begann sich auf die lange Wartezeit bis zum Abend einzurichten. Ein hektisches Lidzucken machte sich bemerkbar und er genoss es. Er hatte dieses unruhige Flattern sonst nur vor einem Spiel, bei dem es um große Summen ging. Er versuchte, sich die Zeit mit Lesen und dann mit Fernsehen zu vertreiben. Aber eine steigende Anspannung und Nervosität dehnte die Stunden.

Hatte Haschek recht? War es dieses Gefühl der Aufregung, das er wollte? Hatte der Architekt ihn so einfach durchschaut? Haschek kannte nur eine Seite von Liebermann. Gut, er suchte Abwechslung, denn sein Leben war langweilig und öde, ein eintöniger Ablauf, ein endloses Eintippen von Buchungen und Sortieren von Akten in der Ablage. Aber jemand wie er konnte heutzutage froh sein, wenn er überhaupt einen Job bekam.

Dazu fühlte er sich jedoch nicht geboren. Er verachtete seine soziale Stellung. Aber um das Leben zu führen, das er wollte, fehlte ihm einiges, stand ihm vieles im Weg. Weniger sein Charakter, mehr die mangelnde Schulbildung und die nicht vorhanden Beziehungen, die es ihm unmöglich machten, gewisse Kontakte zu knüpfen. Kurz, Liebermann wollte nach oben und es fehlte ihm das Geld. Er war arm, das war sein Dilemma, er spürte das den ganzen Tag. Es beengte ihn auf Schritt und Tritt. Deshalb spielte er auch, zumindest hatte er es anfangs getan. Inzwischen hatte sich das Spiel längst verselbständigt. Er war nach ihm so süchtig wie ein Säufer nach einer Flasche Schnaps. Mal gewann Liebermann, meistens verlor er. Das Glück war immer bei den professionellen Spielern und dem Haus. Pokern machte ihn noch ärmer und einsamer.

Dann lernte er Judith kennen. Sie waren sich zuerst im Alten Stadtbad begegnet und die attraktive Frau hatte sich zielstrebig an den überraschten Liebermann herangemacht. Diese unverhoffte Affäre betrachtete er als den größten Glücksfall, der ihm je passiert war. War er ehrlich, hielt er nicht viel von Judith. Ihre Schönheit war ihm zu streng und zu künstlich. Sie war launisch und jähzornig. Sie teilten sich nur die Langeweile ihrer Leben. Trotzdem bemühte sich Liebermann um die Frau des Architekten, denn sie besaß Geld und die Kontakte, die ihm fehlten. Sie war genau die Person, die ihm fehlte, seine Brücke zur guten Gesellschaft. Allerdings musste er bald feststellen, dass er von ihren vielfältigen Verbindungen wenig hatte. Liebermann war nicht gesellschaftsfähig. Das Verhältnis blieb im Verborgenen. Er war fürs Bett und nicht für den Theaterabend gedacht.

Aber mit Hascheks Geld war Judith großzügig. Sie war nicht so billig, Liebermanns Dienste mit Barem zu entgelten, aber sie machte ihm teure Schmuckgeschenke, die er schnell wieder veräußerte oder versetzte. Da dadurch seine Einsätze stiegen, kletterten auch seine Schulden in schwindelnde Höhen. Dazu schien sich Judith in der letzten Zeit von ihm abzuwenden. Offenbar wurde sie seiner langsam überdrüssig; anscheinend war die Zeit der Ablösung gekommen. Liebermann spürte, dass sie einen anderen Mann kennengelernt hatte, der für seine Stellung bei ihr eine ersthafte Bedrohung war.

Es lief alles darauf hinaus: Liebermann musste das Angebot des Architekten annehmen, wenn er gesund den nächsten Monat erleben wollte. Im Moment beliefen sich seine kurzfristigen Verbindlichkeiten ziemlich genau auf die Summe, die ihm Haschek für den “kleinen” Einbruch versprochen hatte.

Das Telefon riss ihn aus seinen Gedanken. Er hob ab und meldete sich, aber es wurde sofort wieder aufgelegt. Die Nummer auf dem Display war unterdrückt. Eine Weile lauschte Liebermann den statischen Geräuschen, die knisternd aus der Muschel drangen. Er war überzeugt: Dieser Anruf war kein Zufall. Jemand – vielleicht der Detektiv – hatte kontrolliert, ob er zuhause war.

4.
Freitag.
Abend

Kurz nach sechs Uhr wurde es dunkel. Es war den ganzen Tag regnerisch gewesen und die Dämmerung brach schnell herein. Liebermann bereitete sich gewissenhaft auf seinen Einbruch vor. Da er in seiner wilden Zeit vor ein paar Jahren schon einmal  ein paar Wohnungen aufgebrochen hatte, wusste er, was er tat. Er kleidete sich dunkel und unauffällig, steckte Handschuhe wegen der Fingerabdrücke ein, dazu eine Taschenlampe und verstaute den schweren Kuhfuß seitlich unter der Hose. Dessen obere Ende verdeckte er unter der Jacke. Wieder schlich er sich durch den Hinterausgang aus seiner Wohnung. Mit dem einen knappen halben Meter langen Brecheisen war es ziemlich schwierig, über Zäune zu klettern. Er musste dann auch ziemlich steif die Straße hinunter gehen. Aber er glaube nicht, dass er jemandem, dem er begegnete, ungewöhnlich erschien. Im Gegensatz zum Vormittag hatte er auch nicht das Gefühl, verfolgt zu werden.

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